Ideologisch-weltanschauliche Haupttendenzen: weitere Ideologien

Bewahrung des Alten unter behutsamen Veränderungen: Konservatismus

„Die beiden großen Konkurrenzideologien zum Liberalismus waren der Konservatismus (der nach Ansicht einiger Historiker sogar älter ist als der Liberalismus) und der Sozialismus.“ (Bauer 2004, S. 71f.)1 Wir verfolgen hier bezüglich des Konservatismus eine Auffassung, die ihn als „Reaktion der alten Elite, des Adels, der Kirche und eines Teils der höheren Beamten auf die stürmischen politischen Ereignisse“ begreift. Diese „Reaktion“ bedeutet aber nicht Negierung jeglicher Veränderungen:

Konservative akzeptierten, wenn auch widerwillig, die Notwendigkeit gesellschaftlicher und politischer Veränderungen, aber sie legten Wert darauf, dass diese bedächtig und behutsam durchgeführt wurden. Zwei Ideen standen im Mittelpunkt ihres Denkens. Zum einen die aus der Romantik stammende Vorstellung, dass die Gesellschaft kein künstliches Konstrukt, kein Vertrag ist, sondern ein historisch gewachsenes Ganzes, das an verschiedenen Orten unterschiedliche Institutionen hervorbringt, die sich an den jeweiligen Bedürfnissen orientieren. Zum anderen musste Autorität patriarchal sein: der König war zu seinem Volk und der Adlige zu seinen Bauern wie ein Vater zu seinen Kindern.

(Altena/van Lente 2009, S. 152)2

Abb.: Der Sonntagsspaziergang. Gemälde (1841) von Carl Spitzweg (1808–1885), einem typischen Vertreter der Biedermeier-Zeit. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Auch der Konservatismus bot Ordnungs- und Prozessvorstellungen an, die auf Öffentlichkeit und ihr Verhältnis zu anderen Institutionen anwendbar waren. Obwohl sich längerfristig-historisch gesehen der Konservatismus gegenüber dem Liberalismus in der Defensive befand, sollte er sich in der Revolution von 1848 durchaus als stark erweisen. „Ein wichtiger Grund dafür war der konservative Charakter der meisten Kirchen, die noch immer eine große Autorität bei der Bevölkerung hatten.“ (Altena/van Lente 2009, S. 152)

Gleichheit auch im Eigentum: Sozialismus

Der Sozialismus hatte seine soziale Basis in der erstarkenden Arbeiterschaft, die begann, sich als eigene Klasse (Proletariat) sowie gewerkschaftlich-politisch als Arbeiterbewegung zu formieren und zu artikulieren. Geistesgeschichtlich kann er als eine Fortsetzung bzw. Variante des Radikalismus3 verstanden werden, der sich ausgehend von den Jakobinern in der Französischen Revolution entwickelt hatte. Die Sozialisten fokussierten allerdings auf die Eigentumsverhältnisse.

Denker wie Robert Owen, Charles Fourier und Henri de Saint-Simon arbeiteten in den 1820ern utopisch-sozialistische Vorstellungen aus, wie Ungleichheiten in den Eigentumsverhältnissen überwunden werden könnten. Erste Organisationsformen (notgedrungen als Geheimgesellschaften) entstanden in den 1830ern. In den 1840ern schufen Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) wichtige geistig-systematische Grundlagen der sozialistisch-kommunistischen Weltanschauung, die eine Revolution für unvermeidlich hielt. 1847 veröffentlichten sie das berühmte „Kommunistische Manifest“.4 Dieses kann als nach der Bibel vermutlich wirkungsmächtigstes Kommunikat der Menschheitsgeschichte gelten.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „Der ebenfalls zum Liberalismus und zur liberalen Bewegung in Konfrontation stehende politische Katholizismus wäre als eigene Variante dem Konservatismus zuzuordnen.“ (Bauer 2004, S. 71f.)

2 „König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen fasste diese Ideen 1848 treffend zusammen. Auf den Vorschlag, eine Verfassung einzuführen, antwortete er, dass er zwischen sich und dem Volk kein Blatt Papier wünsche. Der künstliche Charakter einer Verfassung und der väterliche Charakter der königlichen Autorität waren damit treffend charakterisiert.“ (Altena/van Lente 2009, S. 153)

3 „Die Radikalen wollten ebenso wie die Liberalen eine Verfassung, aber sie waren auch für das allgemeine Wahlrecht für Männer, die Abschaffung der Monarchie und einen gewählten Präsidenten. Häufig waren sie streng antiklerikal, hin und wieder atheistisch. Das bestehende System musste gestürzt werden, zur Not mit Gewalt. Radikale bildeten in den 30er und 40er Jahren zahlreiche Geheimgesellschaften, denen viele arbeitslose Intellektuelle und Arbeiter angehörten.“ (Altena/van Lente 2009, S. 152)

4 Vgl. Vogler/Vetter 1975, S. 212, und Altena/van Lante 2009, S. 152.