Messe Leipzig in der DDR

Einleitung

Vom Weltmesseplatz zum „Schaufenster des Sozialismus“ …

Abb.: Nordeingang des Messegeländes zur Frühjahrsmesse 1983. Foto: ADN-Zentralbild. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1983-0315-111, Lehmann, Thomas, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Nach 1945 gelang es Messeamt, Militärregierung und weiteren Akteuren, Leipzig als Messestandort neu zu etablieren. In Leipzig präsentierten sich die RGW-Staaten und suchten Kontakt zum Westen.1 Die Messe übte „Demonstrations- und Präsentationsfunktion“ für die DDR aus (Bentele 1997, S. 145).

Leipzig entwickelte sich während des Kalten Kriegs zum Treffpunkt zwischen Ost und West. Die Frühjahrs- und Herbstmessen trugen jedoch seit Ende der fünfziger Jahre zunehmend den Charakter von Leistungsschauen, geprägt von politischen Ritualen des sozialistischen Blocks.

(Leipziger Messe GmbH ca. 2002, S. 24)

Leipzig lebte im Takt der Frühjahrs- und Herbstmessen. Die ganze Stadt, ihre Anstrengungen zur Verschönerung, ihre kulturellen Höhepunkte waren auf diese zwei Termine im Kalender ausgerichtet. Selbst die Studienjahresabläufe der ansässigen Hochschulen waren dem Messerhythmus untergeordnet, dies ermöglichte unter der Ressourcen-beschränkten DDR-Planwirtschaft durchaus effiziente Mehrfachlösungen: Das Seminargebäude der Universität diente als Pressezentrum der Messe, die Studentenwohnheime als Messehotels2, die Studierenden arbeiteten als Hilfskräfte der Messe etc.

In den wenigen Messetagen des Jahres zeigte die Pleißestadt und Sachsenmetropole eine Geschäftigkeit und Internationalität, die – gemessen an DDR-Verhältnissen – beispiellos war. Der dafür betriebene Aufwand blieb nicht ohne Ergebnis und zeitigte vor allem in den ersten Jahrzehnten der DDR-Existenz bei mindestens einem Teil der ausländischen Gäste durchaus beabsichtigte Wirkungen. Allerdings machten sich zunehmend auch die Widersprüche zwischen Ausnahmezustand und Normalität, zwischen zeitweiser Weltläufigkeit und sonstiger Provinzialität, zwischen Wunsch und Wirklichkeit bemerkbar.

… und „Guckloch in die Welt“

Abb.: Westautos auf dem Markt vor dem Alten Rathaus, wenige Tage vor Beginn der Jubiläumsmesse 1965. Foto: ADN-Zentralbild. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-D0226-0001-003, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Bis in die letzten Jahre waren die Messen und das Flair der Messestadt aber für DDR-Bürger als „Guckloch in die Welt“ attraktiv. Aus der ganzen Republik ergossen sich – vor allem mit Messesonderzügen angereiste – Besuchermassen durch die Messehäuser der Innenstadt und über das Gelände der Technischen Messe am Völkerschlachtdenkmal (heute Altes Messegelände). Nirgendwo und niemals sonst in der DDR war es so einfach, konzentriert und legal möglich, in realen Kontakt zu Menschen und Errungenschaften westlicher und exotischer Länder zu gelangen. Viele Besucher machten einen regelrechten Sport daraus, Warenproben, Werbeartikel, bunte Prospekte über Güter, Land und Leute sowie ausländische Buch- und Presseerzeugnisse zu erhaschen.3 Nicht wenige dieser Eindrücke und Informationen wirkten auf das realsozialistische Gesellschaftssystem subversiv.

Nicht zufällig war Leipzig, wo es während der Buchmesse West-Leseware gab und wo der Blick in die große weite Welt leichter fiel als in anderen Städten der DDR, der Ausgangspunkt für die Montagsdemonstrationen, die während der Herbstmesse 1989 begannen.

(Leipziger Messe GmbH ca. 2002, S. 25)4

Es wäre allerdings zu einseitig, die Auswirkungen des Kontaktes zur „großen weiten Welt“ auf den Leipziger Messen allein als destruktiv für das DDR-Gesellschaftssystem zu beschreiben. Tatsächliche oder vermeintliche Spitzenexponate sowie Vertragsabschlüsse der heimischen Wirtschaft wirkten auch System-stabilisierend. Die durch den ausländischen Besuch der Messe damit mehr oder weniger zwangsläufig verbundene wirtschaftliche und politische Anerkennung erfüllte viele Leipziger und DDR-Bürger mit Stolz. Umgekehrt führten Begleiterscheinungen des Messegeschehens, die mit Gerechtigkeits- und Moralauffassungen des DDR-Alltags kollidierten – wie beispielsweise deutlich teuere Gaststättenpreise, Nepp oder westliche Großprotze bzw. östliche Prostitution -, vor allem bei traditionalistischen Milieus auch zur Solidarisierung mit dem DDR-Wertesystem.5

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Rodekamp 1997, S. 356. RGW = Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (der sozialistischen Staatengemeinschaft), die Wirtschaftsorganisation des ehemaligen Ostblocks, im damaligen Westjargon Comecon genannt.

2 Die Wohnheimzimmer mussten von den Studierenden geräumt werden, persönliche Utensilien konnten in so genannten „Kofferräumen“ deponiert werden. Einer der Autoren kann hier auf persönliche Erfahrungen verweisen.

3 Vgl. dazu auch Lange 1994, S. 32ff.

4 Vgl. auch Wohlfarth 1994, S. 2. Speziell zur Geschichte der Buchmesse siehe Saur 1999.

5 Vgl. dazu auch Lange 1994, S. 33.

 

Bildnachweis für Beitragsfoto (ganz oben): Blick zur Petersstraße, links Messehaus am Markt. Leipziger Jubiläumsmesse 1965. Foto: Zentralbild Horst Sturm. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-D0302-0001-020, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/