Messe in der DDR der 1970er- und 1980er-Jahre

Der Aufbruch Anfang der 1970er-Jahre führte in den wirtschaftlichen Niedergang

Abb.: DDR-Möbelindustrie auf der Herbstmesse 1981 in Halle 15. Foto: Ralf Pätzold, ADN-ZB. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-Z0907-115, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Mit dem Wechsel von der Ulbricht- zur Honecker-Ära in der DDR (VIII. Parteitag der SED 1971), Fortschritten in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten (Grundlagenvertrag) und vor allem dem internationalen Entspannungsprozess (KSZE-Konferenz Helsinki etc.) brachten die 1970er-Jahre neue Chancen und Hoffnungen. Nicht zuletzt durch die internationale diplomatische Anerkennungswelle schien die DDR gestärkt.

Ambitionierte innenpolitische Ziele der DDR und ihrer Staatspartei SED („Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, „Steigerung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung“, Wohnungsbauprogramm, sozialpolitische Maßnahmen etc.) waren ohne hartes Geld und begehrte Waren aus dem Westen nicht zu erreichen.

Die DDR-Führung nahm das damalige Angebot der Bundesregierung, den innerdeutschen Handel zu erweitern, dankbar an. (…) Aber obwohl der Handel sprunghaft anstieg, ging die Rechnung nicht auf, denn in der Entwicklung der Arbeitsproduktivität konnte man mit der BRD nie mithalten. Die Exportpläne konnten nicht erfüllt werden, während die Importe stiegen. So führte der Anfang der 70er Jahre eingeschlagene Weg in die Schuldenkrise. (…) Mit dem Wissen darum, dass die DDR seit Anfang der 1970er Jahre in immer stärkerem Maße von dem Exportgeschäft mit der BRD und anderen kapitalistischen Ländern abhängig wurde, wird deutlich, welche große Bedeutung eine so erzkapitalistische Einrichtung wie die traditionsreiche Leipziger Messe auch in einer Planwirtschaft hatte.

(Schreiber 1999, S. 669)

Rückblickend betrachtet ist die Wendesituation von der Ulbricht- in die Honecker-Ära paradox: Vielen Zeitgenossen erschien die Ablösung des „alten Mannes“ Ulbricht durch den „jungen Hoffnungsträger“ Honecker als relativer Fortschritt, mindestens wirtschaftlich gesehen war es aber wohl genau umgekehrt.1 Hatte Ulbricht mit dem – wenn auch dann abgeschwächten – NÖSPL versucht, Aufschwung aus eigener Kraft zu erzeugen, lieferte ihn Honecker für die Bevölkerung zunächst durchaus spürbar – aber mit geliehenem Geld aus dem Westen und damit auf Sand gebaut. Wirtschaftlich gerieten die 1980er-Jahre in der DDR dann zu einer Niedergangsphase, was aber gegenüber der Welt mehr oder weniger erfolgreich kaschiert werden konnte.

Wer viele Geschäfte und Schulden macht, sorgt sich um seinen Handlungsspielraum und seine Reputation

Die „Schaufenster“- und damit politische Funktion der Messe wurde wohl vor allem in den 1970ern ausgebaut. Dabei zog die DDR alle ihr möglichen Register der Inszenierung, was auch „Kulissenschwindel für die Weltöffentlichkeit“ oder „Smalltalk zwischen Kommunisten und Kapitalisten“ einschloss, wie Schreiber (1999, S. 670ff.) darstellt.2 Ein zentrales Instrument bildete dabei der traditionelle Messerundgang der Partei- und Staatsführung.3 Der ritualisierte Ablauf, aber auch bewusst gesetzte Akzente (wer besucht in welcher Reihenfolge wen und wen nicht bzw. sagt was oder was nicht) erfolgte strategisch durchkomponiert. Weil das alle wussten, konnte aber ein nicht beabsichtigter „Fehler“ oder Zufall auch strategisch falsch interpretiert werden.

Die DDR-Politik nutzte den Anlass und Ort der Leipziger Messe, um ihr wichtige formelle und informelle Treffen mit westlichen Politikern und Wirtschaftskapitänen zu arrangieren. Das galt gerade auch in den 1980er-Jahren, in denen eine „neue Eiszeit“ zwischen den Blöcken drohte (NATO-Doppelbeschluss etc.).

Förderlich für die DDR-Kommunikationsstrategie war, dass auch das Interesse der Welt und des Westens an der DDR zunahm. Die Zahl der Geschäftsleute, Journalisten und Besucher, die nach Leipzig kamen, stieg. Nicht wenige ausländische und westdeutsche Politiker und Wirtschaftsleute buhlten um die Gunst der DDR-Oberen.4

Während der Leipziger Frühjahrsmesse 1984 fand eine Reihe von wichtigen politischen Gesprächen über die Blockgrenzen hinweg statt. Die starke Reisetätigkeit westdeutscher Politiker in diesem Jahr nach Leipzig animierte Journalisten nicht nur zu Wortschöpfungen wie ‚Pilgerfahrt‘, ‚Politikerinvasion‘ oder ‚politischer Großauftrieb‘, sondern führte im Handelsblatt auch zu einer dementsprechenden Karikatur, in der Erich Honecker sich im Mittelpunkt eines Gruppenbildes mit bekannten westdeutschen Politikern findet.

(Bentele 1997, S. 145)

Auch ein „Gruppenbild“: CSU-Chef, bayrischer MP und BRD-Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß mit SED-Chef und DDR-Staatsratsvorsitzendem Erich Honecker auf der Frühjahrsmesse 1987

Abb.: Links im Vordergrund neben Strauß CSU-Generalsekretär Gerold Tandler. Im Hintergrund von links nach rechts: DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski, SED-Sekretär für Wirtschaftsfragen Günter Mittag und Bundesfinanzminister Theodor Waigel. Foto: ADD-ZB. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0226-315, Mittelstädt, Rainer, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Die Leipziger Messe als Kommunikation und die Kommunikationsmaßnahmen der Messe zielten auf internationale Reputation, die in der Tat erhöht werden konnte.

Das Ziel war die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Westen. Im Rückblick scheint dieses Kommunikationsziel der Leipziger Messe erreicht worden zu sein, denn Anfang der 1970er Jahre begann sich im Westen das DDR-Bild zu ändern. Der Staat zwischen Elbe und Oder war nicht mehr die ‚Zone‘, sondern wurde als ein moderner Industriestaat wahrgenommen – zwar ohne westliche Demokratie, aber auf seine Art erfolgreich. Die Propaganda der DDR stieß dabei in der Bundesrepublik auf fruchtbaren Boden.

(Schreiber 1999, S. 676)

Organisation und Personal der Kommunikationsarbeit

Spätestens ab den 1970er-Jahren handelte es sich bei „Öffentlichkeitsarbeit“ um einen eingeführten und gebräuchlichen Begriff. So war beispielsweise von „wissenschaftlich-technischer Öffentlichkeitsarbeit“ die Rede, für die eine spezielle Arbeits- bzw. Operativgruppe der Regierungskommission Leipziger Messe zuständig war (Otto 2015, S. 159f.).

Wie schon für 1966 nachgewiesen, gab es auch in den 1980ern im Leipziger Messeamt eine Abteilung für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit5 mit insgesamt wohl ca. 50 Leuten. Diese (…)

gliederte sich in den 1980er Jahren in die Struktureinheiten Presseabteilung, Werbeabteilung, den Messeverlag und den Besucherservice. In der Presseabteilung arbeiteten insgesamt ca. 15-16 Angestellte, der Leiter der Presseabteilung, sechs Journalisten und zwei Mitarbeiterinnen des Akkreditierungsbüros, ein Mitarbeiter für die Bildredaktion, das technische Personal, die Sekretärin des Leiters und die Sekretärin der Chefredaktion (…).
In der Werbeabteilung waren ca. zehn bis zwölf Mitarbeiter, fast genauso viele Mitarbeiter wie in der Presseabteilung, tätig. Im Besucherservice arbeiteten ca. acht Mitarbeiter und im Verlag ca. 20. Der Messeverlag produzierte den Messekatalog und das Messejournal für jede Messe.
Da der technisch-administrative Aufwand der Vervielfältigungstechnik damals so hoch war, hatte jeder Journalist in der Presseabteilung noch eine Sekretärin.

Die Presseabteilung war untergliedert in die Bereiche: Bildarchiv, das Akkreditierungsbüro sowie einen Bereich für die Organisation des Auf- und Abbaus des Pressezentrums.

(Otto 2015, S. 181)

Während der Messe verstärkten ca. 30-40 Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität die Presseabteilung des Messeamtes.6 „Neben den Journalisten wurden Dolmetscher während der Messen angestellt, die die Presseinformationen in vier bis fünf Sprachen übersetzten. Ergänzend zum Messeradio existierte das messeeigene Fernsehen, das im Pressezentrum auf großen Bildschirmen ausgestrahlt wurde.“ (Otto 2015, S. 181)

In der Universität Leipzig wurde ab 1974 das Internationale Pressezentrum für die akkreditierten Journalisten untergebracht (…). Im Pressezentrum gab es einen Presseshop, in dem die Journalisten Zeitungen aus den nicht-sozialistischen Ländern (…) kaufen konnten. Daneben existierte noch ein Leseclub, in dem überregionale Zeitungen der Bundesrepublik Deutschland zur Rezeption, jedoch nicht zum Verkauf ausgelegt wurden (…). Einen weiteren internen Kreis der akkreditierten Journalisten stellte der Messeclub dar, der ein integrativer Bestandteil des Pressezentrums war. Zum Messeclub hatten nur 250 von ca. 2000 Journalisten Zugang. Der Club war vorrangig ausländischen Journalisten, Chefredakteuren und leitenden Wirtschaftsjournalisten der DDR-Medien vorbehalten.

(Otto 2015, S. 172)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Und wohl auch politisch: War Ulbricht ein „deutscher“ Kommunist, so ordnete sich Honecker stärker den Interessen der Sowjetunion (vor Gorbatschow) unter.

2 Vgl. auch die Satire von Seidel/Wilhelm 1994, S. 38ff.

3 Der DDR-Regierungsrundgang soll als „Muster“ den Besuch des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chruschtschow „mit eindrucksvollem Gefolge“ auf der Messe 1959 haben. Rodekamp 1997, S. 356. Vgl. dazu auch Biskupek 1994, S. 35ff.

4 Schreiber 1999, S. 675.

5 „Es gab einen Chef, der nannte sich offiziell ,Leiter der Presseabteilung‘ und während der Messen ,Direktor des Internationalen Pressezentrums‘.“ (Otto 2015, S. 181)

6 „Diese Nachwuchsjournalisten waren für die Produktion des Messe-Reports zuständig, der täglich während der Leipziger Messe in Deutsch und Englisch erschien.“ (Otto 2015, S. 181)