Ideologisch-weltanschauliche Haupttendenzen: Leitideologie der Epoche

Ideologische Prinzipien und Werte beeinflussen staatliche Medienpolitik und Öffentlichkeitsarbeit

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten sich wichtige weltanschaulich-gesellschaftspolitische Gedankenkomplexe aus, die das Handeln der Menschen wesentlich beeinflussen sollten und bis heute Wirkungskraft besitzen. Ideologien als komplexe Deutungssysteme und Wirklichkeitsentwürfe besitzen viel Erklärungskraft und Sinngehalt. Daraus erwächst in Ausmaß und Systematik ein hoher, bisher allenfalls aus der Verbreitung von Religionen bekannter Kommunikationsbedarf. Ideologien sind wichtige Gegenstände und Treiber von Gesinnungs- und Wertekommunikation sowie von Mobilisierungsstrategien.

Daraus unmittelbar hervorgehende Anstöße für Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit1 sind nicht Gegenstand dieses Beitrags, wohl aber die Rolle ideologischer Prinzipien und Werte für staatliche Medienpolitik und Öffentlichkeitsarbeit.

Abb.: Die Wurzeln des Liberalismus reichen ins 17. Jahrhundert (englische Revolutionen) zurück. Hier John Locke, einer seiner Begründer. Gemälde (1697) von Godfrey Kneller (1646–1723). Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Die entscheidende geistige Strömung der Opposition gegen das alte System stellte der Liberalismus dar. Für Staat und Verwaltung erwuchs also aus dieser Ideologie die zentrale Herausforderung oder – wenn man aus Sicht der reaktionären Kräfte blickt – Bedrohung.

Die historische Kraft, die den Prozess von Emanzipation und Partizipation vorantreibt, ist der Liberalismus, und das programmatische Ideal dieser Bewegung ist die ‚bürgerliche‘ Gesellschaft der freien und gleichen und selbstständigen mittleren Existenzen. Dieses Gesellschaftsideal behauptet seine Leitbildfunktion bis etwa Mitte des Jahrhunderts, dann wird es von den inneren Widersprüchen der gesellschaftlichen Realentwicklung zusehends überholt und ausgehöhlt (…)

(Bauer 2004, S. 45f.).

Streben nach Emanzipation und Partizipation: Liberalismus

Liberale Ziele kulminierten in einer Verfassung, die Bürgerrechte sowie die Freiheiten der Meinungsäußerung und Eigentumsbildung garantiert. Der Exekutive sollte ein Vertretungsorgan der Bürger gegenüberstehen. Der Liberalismus war die Ideologie des Bürgertums.

Liberalismus und Bürgertum gehören zusammen. Sie sind genetisch aufeinander verwiesen, aber nicht deckungsgleich. Der Liberalismus als politische Leitideologie des 19. Jahrhunderts wurde in Deutschland zwar im Wesentlichen von Angehörigen des Bürgertums formuliert und getragen. Aber natürlich waren nicht alle Bürger Liberale, und andererseits gab es auch im Adel Anhänger liberaler Ideen.

(Bauer 2004, S. 71)

In den 1820ern war der Liberalismus noch eine eher geistig-theoretische Strömung und basierte vor allem auf Gebildeten: Studenten und Akademikern.2 Vorstellungen von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung wurden aber wesentlich durch den Liberalismus bestimmt. Besonderen Anklang fand der Liberalismus dann unter wohlhabenden Bürgern. In den 1840er-Jahren standen an der Spitze der liberalen Opposition Männer aus dem Rheinland wie David Justus Hansemann (1794-1864), Ludolf Camphausen (1803-1890) und Gustav Mevissen (1815-1899).3

Grenzen und Differenzierung des Liberalismus

Das Volk – betrachtet in seiner ganzen Breite und jenseits des Bürgertums – hielt man (zumindest zunächst noch) „für dumm und folglich für ein leichtes Opfer von Demagogen, jener Quelle der schrecklichen Gewalt, die während der Französischen Revolution gewütet hatte. Deshalb brauchte man Volksschulen, um diesem Volk Wissen und Anstand beizubringen. Erst dann und keinesfalls eher konnte man eine Ausweitung des Wahlrechts in Erwägung ziehen.“ (Altena/van Lente 2009, S. 152) Trotz dieser faktischen elitären Exklusivität strahlte der Liberalismus aufgrund seines programmatisch-prinzipiellen Freiheits- und Egalitätsanspruches weit über das Bürgertum hinaus:

Da die Forderungen nach einem gesamtpreußischen Parlament, nach Festigung und Erweiterung des Zollvereins, nach Aufhebung der junkerlichen Privilegien und nach Pressefreiheit einem allgemeinen Interesse entsprachen, konnte die liberale preußische Bourgeoisie sich zeitweise an die Spitze einer breiten Volksbewegung stellen.

(Vogler/Vetter 1975, S. 214)

Die Opposition begann sich zwar in den 1840ern zu differenzieren und auch zu radikalisieren, dies äußerte sich aber zunächst eher geistig-publizistisch (beispielsweise 1842 in der „Rheinischen Zeitung“4).

Der Liberalismus war kein geschlossenes Ideensystem und – zunächst jedenfalls – auch kein ausformuliertes Parteiprogramm. Ansätze von politischer Parteienbildung finden sich in Deutschland ohnehin erst in der Revolution von 1848/49.

(Bauer 2004, S. 72)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Aus Ideologien dürften eher Anstöße für Propaganda erwachsen, zumal es seinerzeit Parteien als Organisationen im modernen Sinne und damit als Träger von Organisationskommunikation noch nicht gab.

2 Vgl. Geschichte 1977, S. 19.

3 Vgl. Vogler/Vetter 1975, S. 214, und Altena/van Lente 2009, S. 152.

4 Diese wurde ab Oktober 1842 von Karl Marx als Chefredakteur geleitet, der ihr – z.B. von Gustav Mevissen kritisch beäugt – eine radikal-demokratische bis sozialistische Tendenz gab. Vgl. Vogler/Vetter 1975, S. 215.