Megatrends: Integration und Stabilität vs. Dynamik und Mobilisierung

Staatliche Integration auch durch Zwang

Abb.: Titel eines PR-historischen Überblicksbuches: Kunczik, Michael (1997): Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Köln; Weimar; Wien: Böhlau.

d) Der Staat – ob nun absolutistisch oder demokratisch – hat für eine Gesellschaft immer auch wichtige und unverzichtbare Integrationsaufgaben zu erfüllen. Das optimale Verhältnis, eingedenk der konkreten äußeren und inneren Bedingungen, von Integration und Differenzierung, von zentripetalen und zentrifugalen Tendenzen zu organisieren, stellt für jedes Staatswesen ein schwieriges Problem dar.

Die absolutistischen, frühneuzeitlichen Staaten – nach wie vor beherrscht von Fürsten und Adel – verzichteten trotz aller zunehmenden aktiven Kommunikation in der Regel nicht auf Zensur und andere repressive Maßnahmen. Insofern bleiben alle nachfolgend dargestellten Ansätze von Öffentlichkeitsarbeit im preußischen Denken und Handeln mehr oder weniger in einer vordemokratischen Gesamtkonstellation stecken. Allerdings haben sie als wichtige Schritte hin zur Regierungs- und Verwaltungs-PR im Rahmen eines demokratischen Staats und Öffentlichkeitsverständnisses gewirkt.

Dynamisierung der Gesellschaft

e) Die mit dem Differenzierungswandel einhergehende Dynamisierung von Gesellschaft konnte die Aufrechterhaltung von Stabilität (tradierte Verhältnisse, „Ruhe und Ordnung“) nicht mehr als alleinige primäre Kommunikationsaufgabe erscheinen lassen: Um die Dynamik steuern oder im bestimmten (auch staatlichen) Interesse ausnutzen zu können, bedurfte es deutlich mehr und stärker aufmerksamkeitserheischender, mobilisierender, kampagnenhafter Kommunikation.

Mobilisierung durch Kommunikation

Abb.: Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (der „Große Kurfürst“ mit Zepter, Harnisch, Kurhut und -mantel). Gemälde von Govert Flinck (1615-1660) aus dem Jahr 1652. Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain.

Dass dadurch buchstäblich größere Menschenmassen „bewegt“ wurden, sollten nicht nur später die systematische, aufrüttelnde Kommunikation der Französischen Revolution oder der Befreiungskriege zeigen. Schon frühzeitig betrieb auch Preußen staatliche Imagepolitik und entsprechende Kommunikationskampagnen, um eine planmäßige und gezielte Einwanderung bestimmter ausländischer Kolonisten in großer Zahl zu erreichen. Dies geschah zum Ausgleich kriegsbedingter Bevölkerungsverluste und zur Agrar- bzw. Wirtschaftsförderung. Bereits Friedrich Wilhelm1 (1620-1688), der „Große Kurfürst“ von Brandenburg, holte Holländer und Hugenotten ins Land. Friedrich II. ließ u. a. mit geworbenen Zuwanderern das Oderbruch trockenlegen. Der „große Friedrich“ nutzte dabei Unglücke, Not oder politisch-konfessionelle Drangsalierungen in Nachbarländern aus, um fähige und für Preußen nützliche Arbeitskräfte anzulocken.2

Vor allem wurde mit königlichen Patenten geworben, also Bekanntmachungen der den Kolonisten versprochenen Vorteile und Freiheiten:

Wegen der Konkurrenz anderer Staaten, die ebenfalls Kolonisten suchten“, komme es darauf an – so Friedrich der Große an seinen Kammerpräsidenten – „‘mit den Edikten und Patenten der erste zu sein, sie möglichst weit heimlich zu verbreiten oder sie in unabhängige fremde Zeitungen zu bringen. Es kommt darauf an, die besten Agenten in Amsterdam, in Frankfurt a. M., in Regensburg, in Genf zu haben. Es kommt aber vor allem auch darauf an (…) Preußen (…) als das bestregierte Land der Welt erscheinen zu lassen‘.

(Kunczik 1997, S. 67, der hier Schmoller 1898, S. 571, zitiert)

Medienrealität vs. Wirklichkeit

Damit schälten sich öffentliche Meinung(en) und Publizistik bzw. mediale Darstellung im Vergleich zur „Wirklichkeit“ zunehmend als etwas Eigenes heraus: Sie mussten Wirklichkeit nicht eins zu eins widerspiegeln, sondern konnten gewünschte Zustände auch vorwegnehmen. Tatsachen und Meinungen, Realität und Image erschienen immer mehr als gestaltbares Verhältnis, um über Kommunikation Wirklichkeit und zunächst den Handlungsspielraum der Akteure verändern zu können.

Friedrich II. beispielsweise ließ „in den beiden Berliner Zeitungen einen langen Bericht über ein furchtbares Hagelwetter, das in der Umgebung Potsdams angeblich niedergegangen ist, publizieren“ (…), um „unliebsamen Gerüchten über neue Kriegszüge, die im Frühjahr 1767 aufkommen, zu begegnen“ (Stader 1989, S. 104).

Hardenberg hatte die Gestaltungskraft von Kommunikation grundsätzlich erkannt, wenn er 1797 schrieb:

(…) und sehr oft mögte es nothwendig seyen, die Opinion zu präoccupieren oder schneller wieder auf den rechten Fleck zurückzuführen, als dies durch den langsamen und nur von wenigen richtig beobachteten Gang der Tatsachen geschieht.

(Hofmeister-Hunger 1994, S. 142; vgl. auch Kunczik 1997, S. 72)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Friedrich Wilhelm von Brandenburg! Nicht zu verwechseln mit Preußen-König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740).

2 Vgl. Kunczik 1997, S. 66f.