Ort und Messe: Fernhandelsplatz und Gewerbemarkt
Ortsgebundenheit einer Mustermesse im Fernhandel weniger bedeutsam
Messe war historisch keine Veranstaltung, die einen zentralen Organisator hatte. Messe war vielmehr eine Vorgabe von periodisch wiederkehrenden Zeiträumen. In einigen dieser Zeiträume spielte der Geschäftsverkehr der Musterlager eine zunehmende Rolle.
Von Jahr zu Jahr kamen mehr Aussteller mit Warenmustern nach Leipzig. Für die Unterbringung ihrer Kollektionen mieteten sie Räume und richteten dort Musterlagerein. Das geschah vielfach noch in den Kaufmannshöfen, die die Messe seit jeher beherbergt hatten. Häufig wurden auch Hotelzimmer als Quartier für Messemusterlager genutzt.
(Geyer 1997, S. 114; Schreibweise modernisiert)
Die Gefahr für den traditionellen Messestandort Leipzig bestand darin, dass dieses Geschäftsmodell im Prinzip – auf Basis schneller Verkehrsverbindungen – in jeder beliebigen, einigermaßen zentral gelegenen (Groß-) Stadt durchgeführt werden konnte, worauf Geyer (in Rodekamp 1997) hinweist. Aufgrund der dezentralen Struktur Deutschlands lagen viele deutsche Großstädte „zentral“, und bezogen auf Europa sowieso. Zwar sprachen die Gewohnheit und der Name für die Tradition, aber Leipzig erkannte, dass es mit einer Optimierung der Rahmenbedingungen punkten musste (Vorteile der Zentralisierung an einem bekannten Ort, baulich-räumliche Voraussetzungen, kulturell-unterhaltsame Begleitangebote etc.).
Um 1890 zeichnete sich ein Rückgang der Messebeteiligung ab, da die dunklen und engen Kaufgewölbe mit sehr schwer zugänglichen Obergeschossen, aber auch mit ungenügender Gebäudetechnik ausgestattet waren und somit schlechte Voraussetzungen für die Einrichtung von Musterlagern boten.
(Rodekamp 1997, S. 216)
Parallelentwicklung mit fließender Akzentverschiebung
Der Wandel von der Waren- zur Mustermesse vollzog sich in Leipzig nicht reibungslos. Auch blieben zunächst Elemente der Warenmesse erhalten.
Die Kleinhändler protestierten gegen die Förderung der neuen Messeform, weil sie um die Bedeutung der Warenmessen fürchteten. Die Handelskammer verteidigte vehement ihre Position, wollte aber die Stadt nicht ohne das Flair der Buden und Stände wissen. Seit der Jahrhundertwende liefen deshalb Muster- und Warenmesse, die sogenannte Kleinmesse, nebeneinander. Der Name Kleinmesse hat sich bis heute gehalten und bezeichnet in Leipzig den in vielen Orten ein oder zwei Mal pro Jahr stattfindenden Jahrmarkt.
(Leipziger Messe GmbH ca. 2002, S. 14 und 16)
In Leipzig fand die Kleinmesse der Kleinhändler und Schausteller zur Belustigung bis 1906 in der Innenstadt statt, wurde dann aber als störend empfunden und verlegt.1
Leipzig gewann zusätzlich eine starke Gewerbemarktfunktion
Die traditionellen Warenmessen waren, selbst noch in der Neuzeit, vor allem Umschlagplätze des Fernhandels. Deshalb spielten für diese alten Messen die überregionale Erreichbarkeit und die geografische Lage im kontinentalen Fernverkehr eine wichtige Rolle. „Die Lokalisationsprinzipien international bedeutsamer Messestandorte weisen in diesem Zusammenhang enge Interdependenzen mit der Struktur der dominanten Fernhandelsspannungen auf.“ (Möller 1989, S. 112)
Bei der neuen Leipziger Mustermesse ergaben sich „deutliche Schwerpunktverlagerungen zugunsten der Gewerbemarktfunktion“ für die umliegende Großregion.
Es sind zunächst vor allem die für mitteldeutsche Gebirgslandschaften typischen Holz-, Spiel- und Metallwaren aus Erzgebirge und Thüringer Wald, Glas, Porzellan und keramische Artikel aus Thüringen und Oberfranken sowie Holzprodukte und Kurzwaren aus dem Vo(i)gtland, die um die Jahrhundertwende die wichtigsten Handelswaren der Leipziger Messen darstellen.
(Möller 1989, S. 112f.)
Eine Sonderrolle spielte der Rauchwarenhandel im Rahmen der „traditionellen Umschlagsfunktion der Warenmesse“. Anfangs des 20. Jahrhunderts wurde er zunehmend „von der Leipziger Kaufmannschaft in eigene Regie“ übernommen und „im Rahmen von Pelzauktionen fortgeführt“.
Der weltberühmte Brühl – eine Leipziger Innenstadtstraße – und mit ihm die sächsische Handels- und Gewerbemetropole steigen bis zu den zwanziger Jahren zu dem neben London und New York weltweit bedeutendsten Zentrum des Rauchwarenhandels auf.
(Möller 1989, S. 113)