Muster-Messe als kommunikatives Phänomen

Messen in ihren zunehmenden (ergänzenden, substituierenden) Kommunikationsfunktionen

Abb.: Messehaus Städtisches Kaufhaus Neumarkt Nr. 9-19, nach 1901. Repro. Foto: Hermann Walter. Stadtgesch. Mus. Lpzg., Inv.-Nr. 5543. Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain.

Der fundamentale Unterschied zwischen Waren- und Mustermesse aus kommunikations- und publizistikwissenschaftlicher Sicht besteht darin, dass die Kaufentscheidung anhand eines Musters ein deutlich höheres Vertrauen in die (gleich bleibende) Qualität der Produkte und in fachliche Kompetenz sowie Seriosität des Verkäufers voraussetzt als bei der Möglichkeit, alle bestellten Waren tatsächlich in Augenschein zu nehmen. Das zeitliche Auseinanderfallen von Bestell- und Liefervorgängen sowie die damit verbundene Flexibilisierung der Zahlungsfristen verlangten mehr Vertrauen auch in den Käufer. Dieses Vertrauen musste – sofern in der Geschäftsbeziehung noch keine Primärerfahrungen vorlagen – kommunikativ vermittelt werden.

Die „persönliche Marktplatz-Kommunikation“ (Bentele 1997, S. 146) verlagerte sich mit dem Übergang von der Waren- zur Mustermesse von den Plätzen und Straßen sowie Durch(gangs)höfen in die neuen Messehäuser und bekam damit nicht nur architektonische Hüllen, sondern wurde auch strukturierter, formeller. Der Besucher konnte in jeder Etage über „Rundgänge“ an den Ständen entlang (zwangs-) geführt werden. Zugleich boten die neuen Messepaläste den ansprechenden Rahmen und Platz, das „Muster“ in den Messeständen entsprechend in Szene zu setzen. Konnte und musste bei einer Warenmesse die Vielzahl der Stücke platzsparend gelagert werden, so drängte das einzelne Muster nach Abstand und Rahmung, nach Dekoration und Inszenierung.

Zunehmende Rolle medial vermittelter Kommunikation und von PR der Messe-Organisationen

An Bedeutung zu nahm die „medial vermittelte Wirtschaftskommunikation“ (Bentele 1997, S. 146-149): Wenn ohnehin nur noch anhand eines Musters geordert wurde sowie Bestell- und Lieferungstermin auseinanderfielen, konnten auch die nötigen Recherche- und Informationsvorgänge zeitlich gestreckt und vor allem in das Vorfeld des Orderns verlagert werden. Das Darstellungsmittel Fotografie und die neuen Kommunikations- und Informationsmittel Telefon1 und Generalanzeigerpresse sowie spezialisierte Wirtschaftspresse spielten hier eine wichtige Rolle.

Zudem gründeten sich im Zuge des Wandels von der Waren- zur Mustermesse (bei der Messe und in der Wirtschaft) neue Organisationsformen, die auch als Kommunikatoren auftraten und die Messe-Kommunikation intensivierten. Generell nahmen also die Kommunikationsfunktionen einer Messe im Vergleich zu der des Warenaustausches zu.2

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Die erste Leipziger Stadtfernsprecheinrichtung hatte 1881 mit 72 Teilnehmern ihren Betrieb aufgenommen. 1893 wurde in der Post am Augustusplatz die Fernsprechvermittlungsstelle eingerichtet, – und dies als erste im Königreich Sachsen – „unter gleichzeitiger Einführung des Vielfachbetriebes“ (Rodekamp 1997, S. 324).

2 Vgl. Bentele 1997, S. 149ff.

Die Messe als kompliziertes Informationsproblem:

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Abb.: Faksimile aus: Heubner 1909, S. 36f. (Auszug).

 

 

 

 

 

 

 

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Abb.: Faksimile aus: Heubner 1909, S. 36f. (Auszug).