Neue Organisation und Infrastruktur

Verantwortung für Messe wurde auf mehr Schultern verteilt

Abb.: Porträt Johann Carl Gustav Herrmann aus Marmor, 1895 von Adolf Lehnert, ursprüngl. Neuer Johannisfriedhof, jetzt Lapidarium Alter Johannisfriedhof Leipzig. Foto: Exspectabo. Quelle: Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Wollte die Sachsenmetropole an der Pleiße bestehen, musste sie handeln. Bisher lag die Verantwortung für die Entwicklung der Messe „allein in den Händen des Rates der Stadt“. (Wendtland 1917/18, S. 6) Die neuen Herausforderungen waren nur mit einer breiten Akteurskonstellation zu meistern.

Die Leipziger Handelskammer schuf in Abstimmung mit dem Rat der Stadt 1892 einen gemeinsamen Messeausschuss1. Der Antrag dazu war in der Handelskammersitzung vom 17. Oktober 1892 gestellt worden. In der konstituierenden Sitzung am 29. Oktober 1892 wurde Kommerzienrat C. Gustav Herrmann2 zum Vorsitzenden gewählt. Dies war aber nicht die einzige organisatorische Innovation: Am 8. Februar 1893 gründete sich der Leipziger (Fremden-) Verkehrsverein.3 Gesucht wurde also der Schulterschluss mit allen Akteuren vor Ort, was sich auch in der Messeausschusssitzung vom 10. Februar 1893 zeigte: Hier beriet man mit den Komitees des Leipziger Hausbesitzervereins.4

Messeausschuss mit energischen Schritten

Abb.: Bekanntmachung Juni 1894 in der Zeitschrift des Messeverbandes, Nr. 6, S. 53.

Der Messeausschuss ging die nötigen Schritte an. Vor allem verlegte er die Termine. Bereits früher, über die gesamte zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, hatte es immer wieder Anträge von Ausstellern bzw. Besuchern gegeben, „die Messetermine von dem stark beweglichen Osterfest abzukoppeln und einen früheren Beginn der Messegeschäfte zu gestatten“. Der Rat der Stadt hatte es aber lange nicht für ratsam gehalten, an den traditionellen und durch Privileg geschützten Terminen zu rütteln. 1894 wurde entschieden, eine „spezielle Vormesse für den Musterlagerverkehr einzuführen“ und zwar eine 13-tägige, von der Beweglichkeit des Osterfestes abgekoppelte Vorostermesse (Geyer 1997, S. 113 und 116; vgl. auch Blaschke 1991, S. 272).

In der entscheidenden Bekanntmachung vom 2. Juni 1894, unterzeichnet vom Leipziger Oberbürgermeister Otto Georgi (1831-1918, OB von 1877 bis 1899), wurde die Mustermesse ab 1895 zur „offiziellen Einrichtung“ erklärt. Zuvor, im ersten Halbjahr 1894, fanden noch umfangreiche und nicht umkomplizierte Abstimmungen mit sächsischen und – aufgrund der Zollvereinsverträge – preußischen sowie braunschweigischen Regierungsbehörden statt.5 Zur ersten Mustermesse – zunächst als Vormesse vor der Ostermesse bezeichnet – kamen 700 Aussteller und 800 Einkäufer (Rodekamp 1997, S. 332). Diese Frühjahrsmesse vom 4. bis 16. März 1895 war die „erste reine Mustermesse in der Geschichte der Leipziger Messen“ (Blaschke 1991, S. 275).

Umgestaltung der Infrastruktur

Der Messeausschuss trieb die völlige Umwandlung der baulich-räumlichen Infrastruktur der Messe voran. In den wenigen Jahren bis zur Jahrhundertwende entstanden mit den Messepalästen die architektonische „Bühne“ und logistische Basis für die Mustermesse. Das von 1893 bis 1901 erbaute Städtische Kaufhaus war das „erste moderne Messehaus der Welt“ (Rodekamp 1997, S. 221).6

Schließlich wurde die fortwährend steigende Mietnachfrage mehr und mehr durch spezielle Raumangebote befriedigt. Die Bereitstellung von Messeflächen wuchs zu einem modernen Geschäftsbetrieb.

(Geyer 1997, S. 114; Schreibweise modernisiert)

Daneben wandte sich der Messeausschuss weiteren praktischen Dingen zu, um es den Ausstellern und Einkäufern so angenehm wie möglich zu machen. 1902 richtete er einen „Zimmernachweis für Messebesucher ein, versuchte Auswüchse des Mietwuchers zu beschneiden.“ Seine „Bemühungen um verbesserte Verbindungen und ermäßigte Beförderungstarife bei den Eisenbahnen“ blieben allerdings erfolglos (Geyer 1997, S. 116).

Je mehr solcherlei Rahmen- bzw. Nebendienstleistungen – in der Regel durch Leipziger angeboten – den Messeerfolg bestimmten, desto mehr konnten Leipzig und seine Dienstleister auch in Kritik geraten bzw. es zu Interessenkonflikten zwischen ihnen und den auswärtigen Messeteilnehmern kommen (Leipzig will mit den berühmt-berüchtigten Messepreisen möglichst viel verdienen, die Auswärtigen wollen möglichst wenig Kosten haben).7

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Die zeitgenössische Schreibweise war Meßausschuss. Wir modernisieren hier die Schreibweise.

2 Schreibweise Hermann nach Rodekamp 1997 (S. 334) mit „r“. Bei Blaschke 1991 (S. 268) mit „rr“ geschrieben: Herrmann. Letzteres dürfte richtig sein: Johann Carl Gustav Herrmann war Leipziger Kaufmann und Kommerzienrat. Sein Sohn Gustav Herrmann war Schriftsteller und Künstler. Dessen Nachlass befindet sich im Staatsarchiv Leipzig. „Nach dem Tod seines Vaters übernahm er 1895, zunächst als Teilhaber, dessen Rauchwarengroßhandlung und -fabrik ‚Rödiger & Quarch‘.“ (http://www.archiv.sachsen.de/ofind/StA-L/22017/index.htm)

3 Liebert 1999, S. 690.

4 Blaschke 1991, S. 268f.

5 Blaschke 1991, S. 271.

6 „ … mit Lastenaufzügen, Personenfahrstühlen, an Rundgängen befindlichen offenen und geschlossenen Ständen sowie einem Lichthof.“ „1901 verfügte das Städtische Kaufhaus über 31 Läden an den Straßenfronten, sieben Läden  im Hof zum Bibliotheksflügel, 120 geschlossene Stände (Kojen) in den Obergeschossen und 127 offene Stände in den Gängen und im Saal.“ (Rodekamp 1997, S. 221)

7 Vgl. Geyer 1997, S. 115.