Strategie und Stil: Die Reformisten 1918ff.
Die massenhafte Unzufriedenheit, zahlreichen Demonstrationen, Streiks und revolutionären Unruhen des Jahres 1918 alarmierten Modernisten wie Reformisten, allerdings zogen sie unterschiedliche Schlüsse.1 „Vor allem eine kleine Gruppe innerhalb der Reichskanzlei meldete sich nun entschiedener als zuvor zu Wort und forderte eine grundlegende Reformierung und Liberalisierung amtlicher Kommunikationspolitik“ (Schmidt 2006, S. 183).
Setzen auf Vertrauen
Auch diese Reformisten redeten von „Einheit und Geschlossenheit, von Stimmung, Kraft und Willen. Daneben tauchte (…) jedoch ein weiterer Zentralbegriff auf: Vertrauen“. Der neue Begriff bezog sich auf die Vertrauensbeziehung zwischen der Regierung und der Bevölkerung: „Vertrauen bezeichnete die soziale Sicherheit, dass die politischen Herrschaftsträger das Richtige tun und die Erwartungen der Bürger nicht enttäuschen würden, und das hieß in reformistischer Perspektive, dass sich die Regierenden bei ihren Entscheidungen am Gemeinwohl orientierten“ (Schmidt 2006, S. 188f.) Damit verlagerte sich zugleich der Fokus von der Außen- und Kriegspolitik auf die Innenpolitik, deren Probleme zuerst gelöst werden müssten.
Es wurde Kritik an der zu harten Zensurpraxis geübt, eine Unterdrückung der Presse sei dysfunktional. Ohne eine freie und kritische Presse werde die Verbreitung von Gerüchten gefördert: „Die von der Presse unter dem Zwang der Zensur irregeführte öffentliche Meinung suchte sich (…) Auswege in Gerüchten, in denen bereits Anfang Oktober 1918 von einem Zusammenbruch der deutschen Front die Rede war“ (Koszyk 1972, S. 19). Die bereits zweifelnden Teile der Bevölkerung würden auf diese Weise nur weiter von der Regierung und deren Zielen entfremdet.
Ähnlich wie Journalisten wurden auch politische, insbesondere oppositionelle Parteien nicht mehr als Feinde betrachtet. Kritikern sollte nicht mehr mit Manipulation, sondern mit Transparenz und dem Angebot zur Diskussion begegnet werden.
Vor der Gründung der Zentralstelle für Heimatdienst (ZfH) riet Erhard Deutelmoser:
(Es) wird zu erwägen sein, ob man nicht gut daran tut, von vorn herein mit den Parteiführern Fühlung zu nehmen und ihnen zu sagen, worauf es uns ankommt, (…) Erspart bleibt uns die Erörterung (…) ja doch nicht. Wir haben nur die Wahl, ob wir sie selber herbeiführen und damit Vertrauen erwecken wollen, oder ob wir sie aufschieben, bis man uns zwingt, sie in einer inzwischen durch Misstrauen schon vergifteten Atmosphäre zu führen
(Deutelmoser 1918, zit. nach Schmidt 2006, S. 200f).
Realismus und Transparenz
Die Reformisten warnten auch vor Beschönigungen – die Enttäuschung sei nach übertriebener Hoffnung nur umso größer: „…sicher aber ist es falsch, Überschriften anzuwenden, die falsche Hoffnungen erwecken, wo besondere Zurückhaltung am Platze wäre. (…) Wir versetzen unser Volk in den Zustand einer gewissen Blasiertheit (Überheblichkeit – T.L.) den Kriegsereignissen gegenüber und rufen Enttäuschungen hervor, wenn die angekündigten Erfolge ausbleiben sollten“ (Oberst Nicolai, zit. in Koszyk 1973, S. 175).
Die Stichworte reformistischer Kommunikationsarbeit (nach Schmidt 2006, insbes. S. 198ff.) lauten:
- klare politische Linie
- Transparenz
- Verbreitung zuverlässiger Tatsachen
- Übereinstimmung von Kommunikation und Handeln
- Respekt vor anderen Positionen, Verzicht auf Homogenisierung politischer Meinungen
- Zielgruppenorientierung
- Kooperation, beispielsweise mit Journalisten
Im Vergleich zu den Traditionalisten und Modernisten seien die Reformisten im Rahmen der monarchistischen Staatsordnung weniger erfolgreich gewesen, schätzt Schmidt ein (2006, S. 187 und 215). Es habe an eigener Konsequenz und an genügend Bündnispartnern im Establishment gemangelt. Allerdings wirkten ihre Positionen in die Weimarer Republik hinein.