Strategie und Stil: Die Modernisten 1916-1917
Im Unterschied zu den Traditionalisten hielten die Modernisten die politische Ordnung des Deutschen Reiches nicht für von Gottesgnaden legitimiert: „In ihren Augen beruhte Legitimität weit stärker auf Führungsqualitäten und außenpolitischen Erfolgen und auf der aus diesen Leistungen erwachsenden Anerkennung im Volk“ (Schmidt 2006, S. 121).
Bevölkerung in der Heimat gerät stärker in den Fokus
„Geschlossenheit“ – auch für die Modernisten ein wichtiges Ziel – meinte in ihren Augen vor allem die Einheit zwischen Volk und Soldaten, die die Kommunikationspolitiker für gefährdet hielten: Nicht die Kampfesmoral der Soldaten, sondern der mangelnde Durchhaltewille der Bevölkerung war zweifelhaft. Die Modernisten zeichneten diesbezüglich ein Bild, in dem die Dolchstoßrhetorik bereits angelegt ist; schon 1917 finden sich Dokumente für die Schuldzuweisung der deutschnationalen Gruppierungen an die Sozialdemokraten, den – angeblich – eigentlichen und inneren Feind des Deutschen Reiches.1
Die meisten Modernisten waren 1914 zwischen 40 und 50, also für Führungskräfte verhältnismäßig jung. Schmidt (2006, S. 117f.) charakterisiert: „Als junge Erwachsene erlebten sie den Durchbruch der Industriegesellschaft und den Übergang von der bismarckschen Kontinentalpolitik zur wilhelminischen ‚Weltpolitik‘. Zugleich machten viele (…) die Erfahrung, dass ihnen der Zugang zur Politik durch das Establishment verwehrt wurde“. Impulse für ihre Arbeit erhielten sie aus der Massenpsychologie, der Propaganda der Alliierten, der sozialistischen Massenkommunikation und der zeitgenössischen Reklametheorie – was insofern eine Neuerung darstellte, als die Traditionalisten von Reklame, sonst in der Wirtschaft verwandt, in der Politik nichts hielten.
„Psychologisierung“ und Visualisierung
Die Modernisten sahen Vorzüge der alliierten Kommunikationsarbeit darin, dass diese „auf dem neuesten psychologischen Wissensstand basiere und voll und ganz den Wahrnehmungs- und Empfindungsweisen der Menschen in der modernen Gesellschaft entspräche“, und wollten daraus lernen (Schmidt 2006, S. 135). Sie gingen zweckrational an die Sache: „Unsere Regierung hat dieses System bisher und viel zu lange als unfair und zu amerikanisch verschmäht, aber die Not der Stunde heiligt jedes Mittel“ (Ziemer 1918; zit. nach Schmidt 2006, S. 140)2. So verwundert es nicht, dass die von den Alliierten vielfach genutzten visuellen Massenmedien – beispielsweise das Bildplakat, aber auch Lichtbildervorträge – im Kriegsverlauf auch im Deutschen Reich zunehmend an Bedeutung gewannen.3 An Relevanz gewann – verspätet – das Kino. Obwohl Deutschland im internationalen Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine der Kinonationen war, dauerte es einige Zeit, bis sich auch die Kommunikationspolitiker jenes Instrument zunutze machten.
Die Schlagwörter modernistischer Kommunikationsarbeit (nach Schmidt) waren:
- „klare Botschaften“ (die die Menschen vom Sieg überzeugen und ein Bekenntnis zu umfangreichen Annexionen darstellen sollten)
- „Vorbeugen“ (womit gemeint ist, dass man nur die richtigen Ideen in die Köpfe der Menschen setzen müsse, danach sei es kaum möglich, sie wieder vom Gegenteil zu überzeugen)
- „Volkstümlichkeit“ (was bedeutet, dass dem Volk „aufs Maul“ geschaut werden und dessen Nähe gesucht werden müsse)
- „anschauliche Verkürzung“ (Kommunikation sollte einfach und prägnant sein)
- „Gefühlspropaganda“ (die sich an den Willen, nicht an den Verstand richtet; die Modernisten schreckten nicht vor Gräuelpropaganda zurück, denn von ihrer Wirkung waren sie überzeugt)
- „Wiederholungen“
- „zielgruppengerechter Medieneinsatz“ (Bilder für die nichtbürgerlichen Rezipienten)
Anmerkungen
1 Vgl. Schmidt 2006, S. 126; Ackermann 2004, S. 227f.
2 Die Feindbilder der Modernisten unterschieden sich kaum von denen des traditionalistischen Hauptfeldes: „Die antienglischen und antiamerikanischen Feindvisionen (…) waren im Prinzip austauschbar und ähnelten weitgehend traditionalistischen Vorstellungen“. In einem Punkt waren sie jedoch einander unähnlich: Die Modernisten färbten jenes Feindbild antisemitisch ein, ihre Propaganda erinnert deshalb bereits an die späteren Hasstiraden der Nationalsozialisten im Dritten Reich. (Schmidt 2006, S. 135)