Kriegs- und Befreiungspublizistik aus dem Ausland und bei der kämpfenden Truppe II

Leitung und Infrastruktur der literarisch-publizistischen Bewegung

Stein als Leiter und Organisator

Abb.: Statue des Heinrich Friedrich Karl vom Stein im Reiterstandbild von Friedrich Wilhelm III. auf dem Kölner Heumarkt. Foto: Raimond Spekking (11.8.2007). Quelle: C Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed (via Wikimedia Commons). Auch: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Standbild_Heumarkt_K%C3%B6ln_-_Heinrich_Friedrich_Karl_vom_Stein.jpg

Bald bzw. parallel bemühten sich führende preußische Reformer aus dem Exil – vor allem von Stein aus Russland – Aktivitäten der Publizisten zu bündeln und weitere anzuregen. Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein1 hatte sich 1807 – so mit seiner Nassauer Denkschrift – und in den Folgejahren „zum großen Sprecher des deutschen Nationalgefühls“ profiliert, „‘dem er vor allem auch durch eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung, deren Bedeutung er früh erkannte, Macht und Ausdruck zu verleihen suchte (…)‘“ (Kunczik 1997, S. 79, der hier Botzenhart 1957 zitiert).

Stein war 1812 vom russischen Kaiser Alexander I. als Berater nach Russland gerufen worden und organisierte zunächst von dort aus, dann parallel zum Kriegsfortgang, den deutschen Widerstand gegen die napoleonische Fremdherrschaft.2 Aus einer Denkschrift Steins an Alexander geht hervor, dass der russische und preußische Widerstand auch eine publizistisch-propagandistische Seite haben sollte:

Man kann diese Stimmung der Gemüter (in Deutschland, d. V.) verstärken und erhöhen, wenn man in Deutschland Schriften verbreitet, die ein treffendes Gemälde der unheilvollen und herabwürdigenden Lage dieses Landes darbieten. Der 2. Teil des ‚Geist der Zeit‘ von Arndt ist mit einer großen Kraft und einer erschreckenden Wahrheit geschrieben; in Schweden gedruckt, hat er nicht in Deutschland eindringen können; man müsste einen neuen Abdruck veranstalten und ihn (…) Herrn Gruner in Prag zuschicken, damit er das Buch in Deutschland in Umlauf setze, und Herrn Arndt hierherziehen, um ihn bei der Abfassung der Flugschriften zu gebrauchen, welche man in Deutschland verbreiten ließe (…).

(Stein 1955, S. 346f., zit. nach Bialowons 1976, S. 163)

Informations- und Diversionsnetz

Abb.: Justus von Gruner (1777-1820), ca. 1811. Autor: J. S. L. Halle. Quelle: Landschaftsverband Westfalen-Lippe / Wikimedia Commons, Public Domain.

Die Erwähnung von Karl Justus Gruner (1777-1820, übrigens Neffe von Justus Möser) in der Denkschrift von Stein zeigt, dass die erforderliche publizistische Infrastruktur (Distribution der Flugschriften etc.) unter Besatzungs- und Kriegsbedingungen nicht ohne geheimdienstliche Methoden denkbar war. Gruner, den wir bereits als ersten Berliner Polizeipräsidenten (ab 1809) und Mitakteur der Berliner Abendblätter kennen gelernt haben, verließ 1812 den preußischen Staatsdienst. Er stellte seine früheren Erfahrungen bei der „Gegenspionage“ gegen die französische Überwachung (Brockhaus 1989, S. 237) dem russischen Zaren zur Verfügung, um „ein antinapoleonisches Informanten- und Diversionsnetz im Rücken der französischen Armeen aufzubauen.

Nachdem der Zar Gruners Angebot angenommen und ihn mit den nötigen finanziellen Mittel ausgestattet hatte, siedelte Gruner nach Prag über und begann mit dem Aufbau seines Agentennetzes.“ Nach über einjähriger Haft setzte er im Herbst 1813 seine Geheimdienstarbeit für Stein fort. (Wikipedia: Justus von Gruner)

Literarisches Wollen und politische Beauftragung

Aus einem Zitat des Dichters Arndt, über den gleich noch zu reden sein wird, kommt zum einen die Symbiose von literarischem Wollen und politischer Beauftragung zum Ausdruck. Und zum anderen zeigt sich, dass Steins Propagandaorganisation einen hohen Ausstoß hatte und mindestens teilweise im Einklang mit dem preußischen „Kabinett“ arbeitete. Insofern kann also diese Infrastruktur als eine Keimzelle des Literarischen Stabes beim preußischen Hauptquartier angesehen werden.

Meine Stellung war (…) die eines Schreibers, an der Hand und unter dem Schirm des großen Steinschen Namens. Ich war in reichster Beschäftigung, teils aus dem eigenen Herzen, teils im unmittelbaren Auftrage des Kabinetts und des Kriegslaufes hin und her einzelnes durch den Druck ausfliegen zu lassen: kleine Pamphlets, Aufforderungen, Verkündigungen, Gegenschriften und Widerlegungen napoleonisch-französischer Verkündigungen und Berichte – einiges, wie es aus russischem Sinne und Sprache geflossen, gemessen und zugeschnitten war, das meiste jedoch mehr im deutschen – (…) – im Steinschen Sinn. Solches ward gelegentlich deutsch gedruckt und hin und her ausgegeben, auch wohl ausgeworfen oder versandt; zuweilen hat man’s auch in französischer Übersetzung laufen lassen. Solche Blätter fliegen wie ausgestreute Funken, von welchen gehofft wird, sie werden hie und da ein pulvergefülltes Herz finden und zünden, damit es weiter zünde.

(Arndt 1943, S. 5, zit. nach Bialowons 1976, S. 163)

 

Autor(en): T.L.P.ST.

Anmerkungen

1 Stein war frühzeitig erklärter Gegner der Franzosen und sah im (künftigen) Krieg gegen sie die zentrale Option. Seit 1804 preußischer Finanz- und Wirtschaftsminister, hatte im Krieg 1806 den Staatschatz gerettet, war dann aber Anfang 1807 von König Friedrich Wilhelm III. entlassen worden. Vom Sommer gleichen Jahres bis 1808 amtierte er als Staatsminister. Nach 1808 lebte er auf der Flucht vor Napoleon in Österreich, ehe er vom russischen Kaiser Alexander I. 1812 als Berater nach Russland gerufen wurde. Stein veranlasste den Kaiser, den Kampf gegen Napoleon über die russische Grenze hinauszutragen, was dann zur Dynamik der Befreiungskriege in Preußen bzw. Deutschland führte.
2 Vgl. Brockhaus 1993, S. 132, und Kunczik 1997, S. 79f. Stein beschäftigte sich u. a. mit der Abwerbung von Deserteuren und der Formation einer russisch-deutschen Legion.