„Bewegende“ und „entfesselte“ Kommunikation: Emotionalisierung und Mobilisierung I

Überspitzungen: drastische Sprache, Gefühle von Zorn und Aufrufe zum Hass

Abb.: Zu den wichtigen Sekundärquellen zur Geschichte der Kommunikation in Deutschland bzw. Preußen gehören die Lehrmaterialien der DDR-Journalistik an der Leipziger Universität, links Bialowons 1976.

Die Kriegs- und Befreiungspublizistik nahm unter dem Eindruck der rauen, grausamen Verhältnisse, der Verrohung mancher Zielgruppen und der erforderlichen Emotionalisierung und umfassenden Mobilisierung von Soldaten und aller Kreise der Bevölkerung Züge derbster Propaganda an. Sie überspitzte, rief auch zum Hass gegen Fremdherrscher sowie deutsche Kollaborateure bzw. Profiteure und zur Gewalt auf. Hier in den drastischen, zornigen Worten von Ernst Moritz Arndt, die heutigen Prinzipien von öffentlicher Auseinandersetzung und Völkerverständigung zuwiderlaufen:

O, wenn ein Gott alle deutschen Verräter und Buben, alle Helfer und Hehler nähme, sie zusammen in einen Sack steckte und versenkte im Meere, wo es am tiefsten ist, und wenn dann das Volk, wie unsere Ahnen vormals, nur zu Keulen und Spießen griffe – das Franzosenungeziefer, das bei uns ist, würde bald vertilgt sein, und neues würde nicht wieder kommen. So ist mein Hass. Hass beseele, Zorn entflamme, Rache bewaffne uns! Lasst uns vorgehen für unser Land und unsere Freiheit, auf dass unsere Kinder ein freies Land bewohnen! Männer, auf! und seid gerüstet! Ihr dürft nicht leben als Sklaven.

(Nach Langenberg 1865, S. 28. Zit. nach: Bialowons 1976, S. 161)

Krieg und Revolution schürten Leidenschaften, polarisierten in Gewinner und Verlierer

Abb.: Karl August Varnhagen von Ense 1839. Zeichnung: Samuel Friedrich Diez. Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain.

Diese Agitation muss allerdings auch vor dem Hintergrund der zahllosen und jahrelangen Ungerechtigkeiten Napoleons und seiner Armee gesehen werden, die die Deutschen nicht vergessen konnten (z. B. die Ermordung des Buchhändlers Palm). Auch Varnhagens Zeitung aus dem Feldlager, die vor allem den unmittelbaren militärischen Gegner und seine deutschen Helfershelfer thematisierte, nutzte Spott und Häme:

Als sich die militärische Situation des (französischen – T.L.) Marschalls (Davoust) verschlechtert hatte, ließ dieser, ‚der sonst eine eiserne Gesundheit hatte‘, seine Erkrankung verkünden. Die Feldzeitung (Varnhagens) kommentierte soldatisch-drastisch: ‚Sein Tod kann nicht mehr fern sein. Wir werden viel an ihm verlieren; er hat uns manchen Spaß gemacht!‘

(Bialowons 1976, S. 240, der hier Czygan, S. 371, zitiert).

Abb.: Die Französische Revolution maschinisierte die Hinrichtung. Hier: Olympe de Gouges vor der Guillotine, Tuschezeichnung von Lavis de Mettais, 1793. Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain.

Zugleich stellen Duktus und Stil der antinapoleonischen Propaganda auch einen Reflex auf die Emotionalität der französischen Revolutionspropaganda dar:

Diese Propaganda und die Gegenwirkung der Emigranten brachte einen neuen Zug in die öffentliche Erörterung auch außerhalb Frankreichs: die Leidenschaftlichkeit, die mit der Revolution von Anfang verbunden war und auch weiterhin mit ihr verbunden blieb. Leidenschaftlich äußerte sich die Begeisterung für die neuen Ideen, ehrlich oder auch nicht, und ebenso heftig war der Zorn auf die Gegner der Bewegung, die mit gleicher Schärfe erwiderten (…). Es handelte sich eben um tief greifende Prinzipienfragen (…).

(Everth 1931, S. 397)1

Freund- und Gegnerschaften wurden mit großer Verve, in kräftig-plakativer Sprache und häufig als persönlich-existenzielles Bekenntnis vorgetragen. Archenholtz, einer der publizistischen Verehrer und Mythenbauer von Friedrich dem Großen, „feierte den Beginn der (Französischen – T.L.) Revolution und wandte sich heftig gegen ihre Feinde.“ Weiter heißt es:

In einem Politischen Glaubensbekenntnis von 1792 bekennt er: ‚Ich verabscheue die aristok(c)ratischen Emigranten, die nach der alten Despotie lechzen und sie durch Ströme von Blut ihrer Mitbürger wiederherstellen wollen.‘ Andererseits verhehlte er schon zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er auch die Pariser Jakobiner ‚verachte‘.

(Engels 2006, S. 80)

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Diese kommunikative Leidenschaft wurde dann noch größer, wenn wichtige Kommunikatoren der Auseinandersetzung aus dem Ausland operierten, also formal nicht zum internen Diskurs gehörten, und sich auch noch mit Akteuren des Auslandes verbündeten. Eine solche Addition innerer und äußere Angriffe wirk(t)e offensichtlich besonders befeuernd auf den Stil der Auseinandersetzung: „(…) nicht wenig trugen zu der Verschärfung des Tones die Emigranten bei, die überall im Ausland für Wiederherstellung ihrer Privilegien und gegen das damalige Frankreich arbeiteten, auch Unterstützung in der Öffentlichkeit wie bei manchen Regierungen und Dynastien fanden. Da die Prinzen des ehemaligen Herrscherhauses von Frankreich und der hohe französische Adel an der Spitze dieser Fronde standen, war vorauszusehen, dass auch diese gegenrevolutionäre ebenso wie die revolutionäre Propaganda zu außenpolitischen Folgen führen konnte.“ (Everth 1931, S. 397)