„Bewegende“ und „entfesselte“ Kommunikation: Emotionalisierung und Mobilisierung II

Kommunikation für Staat und Nation bzw. in Revolution und Krieg: zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda

Identität nicht ohne Abgrenzung: Politische, soziale und nationale Ideen integrieren und polarisieren

Bei der Französischen Revolution – wohl die erste wesentlich auch „medial vermittelte“ Revolution – und ihren Folgen zeigte sich etwas, was auch bei den folgenden nationalen Erhebungen bzw. Katastrophen sowie sozial-politischen Revolutionen in Deutschland (1813/15, 1848/49, 1918/19, 1933, 1945/49, 1989/90) eine Rolle spielen sollte: Wo es (innere oder äußere) Gewinner und Verlierer in Form ganzer sozialer, nationaler, politischer etc. Gruppen gibt und/oder solche Gruppen um ihren Sieg „betrogen“ werden, entstehen überschwängliche Freude und blinde Begeisterung, aber auch zorniger Hass und tiefe Rachegefühle, nimmt Kommunikation zwangsläufig (auf allen Seiten) auch oder primär Formen von Propaganda an.

Abb.: Hinrichtung des Buchhändlers Palm am 26.8.1806 in Braunau durch französische Truppen. Quelle: Lehr, Rudolf: Landeschronik Oberösterreich 2004. S. 191. / Wikimedia Commons, Public Domain. Mehr über Johann Philipp Palm unter: http://www.palm-stiftung.de/pressearbeit/pressespiegel/der-buchhaendler-johann-philipp-palm.html

Wenn es der jeweiligen Gesellschaft nach dem Abebben der revolutionären bzw. eruptiven Phasen nicht gelingt, die aufgebrochenen Gegensätze (sowie kommunikativen Überspitzungen und „Entgleisungen“) in einem Mindestmaß zu harmonisieren und produktiv zu verarbeiten, kann es zu negativen sozialpsychologischen Langzeitfolgen kommen. Als These möge hier aufgestellt werden: Der letztliche Misserfolg der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49, die verzögerte Reichseinigung „von oben“ 1870/71 (im Zuge des Deutsch-Französischen Krieges) und die „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich in den nächsten Weltkriegen sind nicht ohne 1813/151 denkbar. Die Werte- und Weltanschauungs-Kommunikation jeder Seite sowie der übergreifende Kommunikationsstil der jeweiligen Ereigniskonstellation haben wohl nicht nur das Handeln großer Bevölkerungsteile in der konkreten Situation, sondern auch die Erinnerung über Jahrzehnte beeinflusst.

Hardenberg und Stein: zwei unterschiedliche Typen von Kommunikation

Abb.: Porträtbüste Karl August von Hardenberg. Bildhauer: Johann Gottfried Schadow. Ausgestellt in der Friedrichswerderschen Kirche, heute Schinkelmuseum, in Berlin-Mitte. Foto: Manfred Brückels. Quelle: Wikimedia Commons. Attribution Share alike 3.0 Unported. http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Preußens Staatskanzler Hardenberg schien die Gefahren „entfesselter Kommunikation“ gespürt zu haben, indem er die sich klar positionierende, aufrüttelnde, mobilisierende Publizistik lieber „freien“ Literaten bzw. in der Ausnahmesituation des Krieges dem Literarischen Stab beim militärischen Hauptquartier übertragen hat. Für die formal-offizielle Kommunikationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsverwaltung und ihrer repräsentativen Organe, die nach damaliger und auch heutiger Lesart „allen Bürgern“ sowie – damals mehr als heute – außenpolitischen Erwägungen zu dienen hatten, bevorzugte er – jedenfalls vordergründig – eine sachlich-informative und -argumentative, ausgleichende, zurückhaltende Vorgehensweise.

Abb.: Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, 1821. Zeichnung von Woldemar Friedrich von Olivier (1791-1859). Quelle: http://141.84.81.24/mgh/galerie/ Wikimedia Commons, Public Domain.

Insofern lässt sich auch eine „kommunikative Arbeitsteilung“ zwischen den beiden bekanntesten Reformern erkennen: Hardenberg stand für die offizielle, auch gewissen Rücksichten folgende, Regierungs- und Verwaltungskommunikation, also das, was heute am ehesten unter staatlicher Öffentlichkeitsarbeit verstanden wird. Stein hingegen zielte auf das Nationalgefühl im Volk und rüttelte es zum Befreiungskampf auf. Damit verfolgte er eine werblich-agitatorische Werte- und Ideologie-Kommunikation. Mit emanzipativer Zielstellung schloss sie unter den Bedingungen von Fremdherrschaft und Krieg auch Propaganda- und Geheimdienst-Methoden ein.

Der chronologisch folgende Beitrag im PR-Museum beschäftigt sich mit dem Zeitabschnitt 1814/15 bis 1822.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Der Wiener Kongress 1814/15 hat es zwar vermocht, für aus heutiger Sicht erstaunlich lange Frieden zu sichern und außenpolitisch einen Ausgleich zu schaffen. Die sozialen und politischen Herausforderungen wurden allerdings – einschließlich der Karlsbader Beschlüsse – in reaktionärer Weise, also de facto nicht, aufgenommen.