Hardenberg als Kommunikationspolitiker II
Ambivalenz der öffentlichen Meinung aus Sicht der praktischen Politik
Hardenbergs Motive
Die Zensurverschärfung 1811 durch Hardenberg im Allgemeinen war vor allem eine Folge der Reibereien zwischen den Berliner Abendblättern, die immer mehr ihr vermeintlich nicht-politisches Konzept überschritten, und dem Staatskanzleramt.1 Allerdings wurzeln diese Konflikte nicht nur in einer Rücksicht gegenüber den französischen Fremdherrschern, sondern ebenso in Hardenbergs Bemerken, dass die „falsche“ öffentliche Meinung „gut gemeintes“ Regierungshandeln auch „stören“ kann. Ein Artikel von Kleists Mitherausgeber Adam Müller über den „Nationalcredit“ hatte das Fass zum Überlaufen gebracht:
Müller, eine Art aufrührerischer Reaktionär, hatte gegen Hardenbergs Finanzreform polemisiert. Von der ‚Verschlagenheit eines noch so genialischen Administrators‘ hatte er geschrieben – und den Staatskanzler gemeint.
(Michalzik 1997)
Hardenbergs Wertschätzung öffentlicher Meinung entsprang nämlich vor allem dem Kalkül, „durch den Rekurs auf sie“ den innerbürokratischen und feudal-aristokratischen Protest gegen die von ihm geführte Reformpolitik „zu neutralisieren“ (Dittmer 1992, S. 68).
‘Bei aller Freiheit‘, so Hardenberg an Kleist, den Herausgeber der oppositionellen ‚Berliner Abendblätter‘, die den beamteten und junkerlichen Gegnern des Staatskanzlers als Sprachrohr dienten, ‚die man unparteilichen Diskussionen über Gegenstände der Staatsverwaltung bewilligt‘, könne es ‚doch durchaus nicht gestattet werden (…), dass in Tageblättern Unzufriedenheit mit den Maßregeln der Regierung aufgeregt werde‘.
(Zit. nach: Dittmer 1992, S. 66)
Strukturelle Konflikte: Journalismus vs. Politik, Regierung vs. Opposition
Darin zeigten sich also mindestens zwei strukturelle Konflikte: a) zwischen einem Journalismus, der frei und forsch, auch sensationsorientiert, Nachrichten veröffentlichen sowie bestimmte Meinungen vertreten will, und einer politischen Führung, die trotz teilweise identischer Ansichten Rücksicht auf realpolitische Zwänge und existenzielle Gefahren für das Staatswesen nehmen will und muss.
Und b) zwischen einer Regierung, die zwar im Prinzip die Wichtigkeit der öffentlichen Meinungsbildung anerkennt, und einer sich differenzierenden, auch widersprüchlichen Öffentlichkeit, die in Teilen zur Opposition wird und – aus revolutionärer oder reaktionärer Perspektive – das Regierungshandeln und die Reformpolitik kritisiert. Öffentliche Meinung wird dabei eher funktional-instrumentell begriffen, sie hat dem Erfolg der jeweils eigenen Politikvariante zu dienen. In durchaus konsequenter Weise fasste es Carl von Clausewitz (1780-1831), preußischer Heeresreformer und Militärtheoretiker2, als einen der drei Hauptzwecke des Kriegführens“ auf, ‚die öffentliche Meinung zu gewinnen‘“ (Zit. nach Bialowons 1976, S. 151).
Das Wechselspiel zwischen öffentlicher Meinung als „Volks“- und als „Partei“-Meinung kommt in zwei Zitaten von Joseph Görres zum Ausdruck:
Volks-Meinung:
Dafür sind die Zeitungen bestellt, dass sie aussprechen, worüber alle einverstanden sind; und dass nie keiner Völkerschaft mehr die rechte Gesinnung fehlt, so keiner auch der passende Laut abgehe Haben sie sich selbst der Nation erst wert gemacht, dann wird diese sie auch lieb gewinnen, sie wird sie als ihre Sprecher ehren, und das Schild der öffentlichen Meinung wird sie gegen jegliche Gefahrde schützen.
(Rheinischer Merkur vom 3.7.1814, zit. nach Bialowons 1976, S. 153)
Partei-Meinungen:
Parteischriften, aus der lebhaften Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten hervorgegangen, mit Feuer, Geist und dem Takte des Schicklichen und Zeitgemäßen geschrieben, gehören zu den Dingen, an denen die Volksmeinung sich schärft und erhebt, sind wohltätig als Reizmittel für das gesunkene öffentliche Leben; sie gewöhnen Teilnehmer und Zuschauer aus dem Volke, die Dinge aus verschiedenen Gesichtspunkten zufassen und sich selbst, wenn’s not tut, in die rechte Mitte zu setzen.
(Vogt 1953, zit. nach Bialowons 1976, S. 153f.)
Anmerkungen
1 Vgl. Hofmeister-Hunger 1994, S. 245 und 234ff., auch Schulz 2007, S. 476.
2 Vgl. u. a. http://www.clausewitz-gesellschaft.de/index.php?id=431&L=0