Hardenberg als Kommunikationspolitiker I

Französische und eigene Zensur – pressepolitisches Taktieren

Kommunikationspolitisch besaßen die Franzosen viele Durchgriffsmöglichkeiten. Die französische Besatzungsmacht in Preußen konnte sich das etablierte Zensursystem zunutze machen, in der die Abhängigkeit der Provinzzeitungen von den offiziellen Blättern der preußischen Hauptstadt bereits gesetzlich vorgeschrieben war.1 Napoleon – obwohl „Kind der Französischen Revolution“ – führte die Zensur 1810 sogar wieder in Frankreich ein. Mit seinen Zensurvorschriften zwang er auch den verbündeten Monarchien den „Moniteur“ und das „Journal de l´Empire“ als Leitschnur ihrer Berichterstattung auf.2

Abb.: Karl August von Hardenberg (1750-1822), vor 1812. Gemälde: Friedrich Wilhelm Schadow (1788-1862). Quelle: Veltzke, Veit (Hrsg.): Für die Freiheit – gegen Napoleon. Köln, 2009, S. 221 / Wikimedia Commons, Public Domain.

Die Zeit der Unentschiedenheit und geheimen Abkehr von Frankreich forderte pressepolitisch von Hardenberg ein großes Maß an Vorsicht und Geschick. Er begegnete dem Misstrauen der Franzosen, dass sich Preußen heimlich für einen Krieg gegen Frankreich rüstete, mit Dementis in der Presse.

1810 konnte sich Hardenberg noch nicht für eine offizielle oder offiziöse (Staats-)Zeitung entschließen, die neben den Reformen auch die Befreiung aus der Herrschaft Frankreichs hätte thematisieren müssen, möglicherweise gar vorbereiten und begleiten sollen.3 Vielmehr wurden „Artikel zu den Reformen (…) aus dem Staatskanzleramt an die Redaktionen der Vossischen Zeitung und der Spenerschen Zeitung sowie an die Provinzialregierungen für deren Amtsblätter weitergegeben“ (Kunczik 1997, S. 77).4 Generell war die Berliner Presselandschaft um 1810 eher eintönig.5

Die Berliner Abendblätter von Kleist wurden frech

Abb.: Heinrich von Kleist (1777-1811). Kreidezeichnung von seiner Braut Wilhelmine von Zenge. Quelle: Die großen Deutschen im Bild (1937) / Wikimedia Commons, Public Domain.

Diese publizistische Lücke versuchten andere zu füllen, so schufen Intellektuelle deutsch-patriotischer Gesinnung die täglichen Berliner Abendblätter (1. Oktober 1810 bis 30. März 1811).6 Sie verbanden volkstümlich Alltägliches und Sensationelles, Spöttisches und Geistreiches, wollten damit auch der „Nationalsache“ dienen. Herausgeber war Heinrich von Kleist und Verleger anfänglich Julius Eduard Hitzig.7

Vermutlich wurde die Konzession nur erteilt, weil das Blatt offiziell keine politischen Nachrichten bringen durfte und PR-Bedürfnisse der Berliner Polizei (bzw. ihres Chefs) befriedigen sollte. Das Blatt verkörperte eine publizistische Win-Win-Situation, denn die exklusiven Polizei-Rapporte erzeugten einen Leseransturm und lagen „im Interesse des Berliner Polizeipräsidenten Justus von Gruner (…). Gruner war auch Zensor der Abendblätter. Diese Konstellation war äußerst geschickt gewählt: Kleist unterlag damit nicht der strengen Aufsicht des Zensors Himly vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (…)“. (Michalzik 1997)

Abb.: Titelseite der Berliner Abendblätter vom 18. Dezember 1810, mit dem Anfang des Artikels „Weihnachtsausstellung“ von Kleist. Quelle: Zentral- und Landesbibliothek Berlin / Wikimedia Commons, Public Domain.

Gerade die Polizeiberichte und anderes tatsächlich oder vermeintlich Unpolitische konnten Sprengkraft besitzen:

In einer Stadt, die gerade erst die französische Besatzung losgeworden war, jedoch an die fremde Nation weiterhing große Kontributionen zahlen musste, erschien natürlich alles patriotisch, was dem Deutschen galt und den Selbstwert erhöhte.

(Schulz 2007, S. S. 464)

Zunehmend ließ Redakteur Kleist „politische Nachrichten einsickern“ (Michalzik 1997). Auch saß ihm der Schalk im Nacken, so wenn „es um französische Niederlagen im Kampf gegen die Spanier ging. Da verstand er es, durch Weglassen oder Hinzusetzen listig die Tendenz seiner Quellen umzufunktionieren, ohne dass die Zensur ihm etwas anhaben konnte.“ (Schulz 2007, S. S. 472)

Hardenbergs Gratwanderung

Als die Lage pressepolitisch immer heikler wurde, ordnete der Staatskanzler 1811 eine strengere Zensur aller Schriften über die Staatsverfassung und Verwaltung an, die fortan unter seiner Leitung ausgeführt werden sollte.8

Der preußisch-französische Allianzvertrag von 1812 machte die Gratwanderung noch schwieriger. Offiziell konnte es Hardenberg nur selten wagen, sich französischen (Nicht-) Veröffentlichungs-„Wünschen“ zu widersetzen.9 Scharnhorst „erregte sich noch 1813 in einem Brief an Hardenberg über die ‚unerhörte Erbärmlichkeit der Berliner Zeitungen‘“ (Czygan, zit. nach Bialowons 1976, S. 143).

Mit der sich im Russland-Feldzug von 1812 verschlechternden Lage Napoleons stieg die Anzahl der lügenhaft-beschönigenden Berichte der Franzosen. Zwar sickerte die Wahrheit vom Kriegsverlauf über die Blätter der schlesischen und sächsischen Grenzgebiete durch, allerdings blieben die Validierung der Nachrichten und vor allem das Ziehen von Schlussfolgerungen daraus schwierig. Hardenberg verlangte zunächst die Unterdrückung dieser Nachrichten und forderte äußerste Behutsamkeit.10

Autor(en): P.ST.T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. Schneider 1966, S. 173ff.
2 Vgl. Hofmeister-Hunger 1994, S. 186, und Birkner 2011.
3 In seinem „Regierungsprogramm“ vom Sommer, 1810, dem „Finanzplan nach den neuesten Erwägungen“, sieht er allerdings ein Regierungsblatt bereits vor: „Durch zweckmäßige Publikationen sind die notwendigen Einrichtungen bekanntzugeben und eine allgemeine Einleitung dazu, so dass Vertrauen zur Verwaltung erregt und bestärkt werde. Ein wohleingerichtetes Regierungsblatt wird dazu beitragen.“ (Zit. nach: Dittmer 1992, S. 67)
4 Beispielsweise wurde für die neue Einkommenssteuer um Verständnis geworben (Kunczik 1997, S. 77).
5 „Sowohl die Vossische als auch die Spenersche Zeitung (damals noch Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen) erschienen nur dreimal die Woche, druckten vor allem offizielle Verlautbarungen oder übernahmen Nachrichten von der ausländischen, das heißt französischen Presse. Nicht aufregender waren Mercure, Spectateur und Berlinische Abendzeitung, das Berliner Intelligenzblatt brachte nur Anzeigen. Progressives fand sich bestenfalls in damals wie heute marginalen literarisch orientierten Blättern.“ (Michalzik 1997)
6 Vgl. Groth 1929, S. 67.
7 Vgl. Schulz 2007, S. 460ff., insbesondere 464, 472, 474, 481. Vgl. auch die ausführliche Darstellung über Kleist in Bialowons 1976, S. 191-203.
8 Vgl. Groth 1929, S. 69.
9 Vgl. Groth 1929, S. 70. Die Zensur wurde manchmal dadurch etwas erträglicher, dass gebildete Persönlichkeiten „wie Fichte (in Königsberg) und Wilhelm v. Humboldt (in Berlin) zu Zensoren ernannt wurden“ (Bialowons 1976, S. 144).
10 Vgl. Groth 1929: 70f.