In der NS-Zeit (dritte Lebensphase)

Reisen und Schriftstellerei

Nach seinem freiwilligen Rücktritt vom Amt des Reichspressechefs reiste Zechlin zunächst nach Leningrad, wo sein Bruder deutscher Generalkonsul war1, und arbeitete dann mit Beginn des Jahres 1933 als deutscher Gesandter in Mexiko. Schon im Juli desselben Jahres wurde der Sozialdemokrat allerdings von den Nationalsozialisten aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Bald unternahm er eine viermonatige Reise, u. a. nach Japan, China und Indien.

Im Frühjahr 1934 kehrte Zechlin nach Deutschland zurück.2 Dort schrieb der zwangspensionierte und somit unfreiwillig arbeitslose Zechlin die ersten Kapitel seiner Memoiren Pressechef bei Ebert, Hindenburg und Kopf (1956 erschienen) sowie seine Bücher Diplomatie und Diplomaten (1935 erschienen) und Fröhliche Lebensfahrt (1936 erschienen). Außerdem ging er so häufig wie möglich seiner Leidenschaft, dem Reisen, nach, die ihn in die Schweiz, nach Italien und in den Orient führte.3

Angesichts der aggressiven Außenpolitik der Nationalsozialisten hielt Zechlin einen weiteren Weltkrieg schon bald für nicht mehr abwendbar.4 Außerdem war er überzeugt, bei Kriegsausbruch in ein Konzentrationslager interniert zu werden, „[n]icht weil ich irgend etwas verbrochen hätte, sondern weil von mir die Gegnerschaft gegen das Regime bekannt war.“ (Zechlin 1956, S. 161)

Zechlin bewegte sich offensichtlich in einem Spagat zwischen professioneller Loyalität gegenüber seinem langjährigen Arbeitgeber Deutschland und seiner Abneigung gegenüber der (zeitweiligen) NS-Diktatur. Aufgrund seiner Insiderkenntnisse und fachlichen, insbesondere auch außenpolitischen Kompetenz wurde wohl hin und wieder, wenn auch unter einer offiziellen Schwelle, sein Rat gefragt bzw. gehört, was ihn vermutlich – weil und so lange er loyal zu „Deutschland“ (und damit auch zu seiner gegenwärtigen nationalsozialistischen Regierung) blieb – vor Schlimmeren bewahrt und einen ganz persönlich-individuellen „Ausweg“ aus dem Dilemma ermöglicht hat. Auch konnte er sicherlich von seinen „Kämpfer“-Episoden im Weltkriegs-Marokko und im Ruhrkampf zehren.

Weg aus Deutschland

Noch vor dem deutschen Einmarsch in Polen am 1. September 1939, der schließlich den Zweiten Weltkrieg entfesseln sollte, emigrierte Zechlin in seine frühere Wahlheimat Spanien (bekanntlich ein Bündnispartner des faschistischen Deutschlands, nachdem der Bürgerkrieg von Juli 1936 bis April 1939 zwischen der demokratisch gewählten Volksfrontregierung und den rechtsgerichteten Putschisten unter General Franco zu Gunsten Letzteren geendet hatte).

Dort war er zunächst wieder in der Presseabteilung der deutschen Botschaft in Madrid tätig, an der er jedoch nicht als offizieller Angestellter geführt wurde. Seine Aufgabe bestand in dem Verfassen von Artikeln für die spanische Presse, die sich laut Zechlin mit „außenpolitischen Fragen und allem dem, was mit dem Krieg zusammenhing“ befassten. Er legt in seinen Memoiren jedoch großen Wert darauf zu betonen, dass er auch bei seiner Arbeit im Dienste des Dritten Reiches nie entgegen seiner persönlichen Wertvorstellungen gehandelt habe und sich seiner Artikel „auch heute nicht zu schämen brauche“ (Zechlin 1956, S. 168).

Als Zechlin dann im Jahr 1942 von der Geheimen Staatspolizei der Nationalsozialisten in Madrid aufgespürt und zur Rückkehr nach Deutschland aufgefordert wurde, begab er sich auf die Flucht durch verschiedene spanische Orte. Dank seiner vielen Freunde und Bekannten im Land, die ihm Unterschlupf gewährten und ihn auch finanziell unterstützen, konnte er bis zum Kriegsende im Jahr 1945 unentdeckt von den Nationalsozialisten in Spanien untertauchen.5 1943/44 wurde er von Deutschland offiziell ausgebürgert.6

Autor(en): S.J.T.L.

Anmerkungen
Berlin, Wilhelmplatz, Propagandaministerium

Abb.: Am Berliner Wilhelmsplatz residierte ab 1933 das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda von J. Goebbels (Aufnahme von 1936). Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1993-020-32A, Bittner Bilderdienst, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

1 Glombik 2009.

2 Bei dem so genannten „Röhmputsch“ vom 30. 6. 1934 wurden auch Persönlichkeiten ermordet, die Zechlin selbst gekannt hatte (Glombik 2009).

3 Vgl. Zechlin 1956, S. 137ff.; Bauer 1962, S. S. 78.

4 So hatte Zechlin angesichts der Einverleibung des Sudetenlandes durch die Nationalsozialisten geäußert, dass „wenn Hitler so weitermache, er sich, sein tausendjähriges Reich und uns alle in den Abgrund führen würde“ (1956, S. 158). Für diese Äußerung wurde er später auf Grundlage des Heimtückegesetzes angeklagt, aber aus Mangel an Beweisen und zu seiner eigenen Überraschung wieder freigesprochen (vgl. ebd., S. 158f.). Darüber hinaus berichtet Zechlin, den damaligen Reichspropagandaminister Joseph Goebbels für seine Organisation der Öffentlichkeitsarbeit heftig kritisiert zu haben: „In seinem auch die ganze Kriegszeit andauernden Kampf gegen das Auswärtige Amt hatte er erreicht, den deutschen Informations- und Pressedienst derart zu teilen, dass alle Deutschland betreffenden Nachrichten von seinem Ministerium bearbeitet und erteilt wurden. Das war sachlich völlig abwegig [ … ], so dass ich, als ehemaliger Reichspressechef noch besonders um meine Stellung und Ansicht ersucht, mich sehr scharf gegen diesen Dilettantismus ausgesprochen hatte“ (ebd., S. 151).

5 Vgl. Zechlin 1956, S. 181ff.

6 Vgl. Glombik 2009.