Teil- und Gesamt-Fazit (II)

Kommunikationswandel als eine konkret-historische Antwort auf die Systemkrise bzw. neuen gesellschaftlichen Bedingungen in den 1920er-/30er-Jahren bzw. generell

Abb.: Paul M. Sweezy. Aus: The Paul A. Baran—Paul M. Sweezy Memorial Award. In: Monthly Review. Im Internet unter: https://monthlyreview.org/baran-sweezy-memorial-award/

Wie insbesondere Baran (1966) – siehe im ersten Teil unserer Abhandlung – akzentuieren auch Galbraith (1968) und Sweezy (1970) die historische Konstellation in den 1930er-Jahren der USA (Keynes, New Deal etc.) als Zäsur in der wirtschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Entwicklung, die auch – allerdings weniger explizit ausgeführt – die Möglich- und Notwendigkeiten von Kommunikation veränderte.

Lindblom (1980) nimmt – wie gesagt – keine historisch-prozessuale, sondern eine strukturell-vergleichende Perspektive zwischen Demokratien (Polyarchien) und Diktaturen ein. Er geht davon aus, „dass jede Gesellschaft durch einen Kern gemeinsamer Überzeugungen gekennzeichnet ist“ (Lindblom 1980, S. 335). Dieser Kern sei in Diktaturen deutlich enger und homogener gezogen als in Demokratien. Aber auch in Letzteren sei er Ausdruck eines – im Vergleich mit demokratischen Idealen (zu sehr) – eingeschränkten Bewusstseins.

Ein Erkenntnisgewinn von Lindblom besteht darin, dass – bei allen Unterschieden zwischen Demokratie und Diktatur – jede Gesellschaft auch mit strukturell-kommunikativ gleichen Grundproblemen umgehen muss. Diese Erkenntnis begünstigt im Übrigen auch Vergleiche zwischen der New-Deal-Politik Roosevelts in den demokratischen USA und der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik im diktatorischen Nazi-Deutschland – und den daraus hervorgehenden Kommunikationsmöglichkeiten und -notwendigkeiten.

Historisch-situative Bedingtheit des Public-Relations-Begriffes?

Abb.: Tatsächliche oder vermeintliche Parallelen zwischen den USA und Deutschland in der Bewältigung der großen globalen Krise in den 1930ern interessieren auch heute noch. U.a. beschäftigte sich Die Zeit in ihrer Ausgabe vom 10.3.2005 (Titel des Beitrags) mit dem New Deal.

In der Zusammenschau mit den im ersten Teil behandelten Autoren lässt sich aus der Mehrzahl ableiten, dass die gesellschafts- und wirtschaftshistorische Konstellation der 1920er-/30er-Jahre mit Weltwirtschaftskrise und den Versuchen ihrer Bewältigung, den wirtschaftswissenschaftlichen Lehren von Keynes und der New-Deal-Politik (bzw. anderer Formen des politischen Keynesianismus) ein geeignetes Erklärungsmuster abgibt, um ein seinerzeit gewachsenes Interesse an Public Relations in den USA und in allen Industrieländern – also auch in Deutschland – zu erklären. Dieser Aufschwung – so unsere These – vollzog sich sowohl in der theoretisch-programmatischen Diskussion (also retrospektiv in der Reflexionsgeschichte) als auch (zumindest bezogen auf die USA) in der tatsächlichen Realisierung (also in der Realgeschichte) von Öffentlichkeitsarbeit (ÖA) bzw. Organisationskommunikation (OK). Gewiss hatte die Geschichte von ÖA/OK – also von dem was wir heute (auch) „Public Relations“ nennen – sowohl in den USA als auch in Deutschland schon deutlich eher begonnen. Aber die Begriffskarriere von „Public Relations“ um die 1930er-Jahre drückte ein zumindest teilweise neues Verständnis bzw. eine teilweise neue Realisierungsweise und deutlich größere Dimensionen der bereits länger ausgeübten ÖA/OK aus.

Diese Interpretation wird auch durch den amerikanischen PR-Nestor Bernays gestützt. Er schlug vor, die Periode von 1929 bis 1941 „‘public relations comes of age‘ (wird mündig) zu nennen“ (zit. nach Bauch 1963, S. 11):1

Während der Depression wurde die Aktivität der öffentlichen Beziehungspflege seitens der Unternehmensleitungen neu entfaltet. Die Unternehmensführungen sahen ein, dass sie neben dem Verkauf ihrer Produkte unter ungünstigen Bedingungen die Zustimmung der Öffentlichkeit zur bestehenden Wirtschaftsordnung erhalten mussten, zumal die amerikanische Regierung begann, eine Aufsicht über die Wirtschaft zu errichten. Die Privatwirtschaft versuchte, die Öffentlichkeit über ihren Beitrag aufzuklären.

(Bauch 1963, S. 11)

Abb.: Faksimile der Deutschen Werbung von 1937 (Heft 19, S. 1054) mit dem Titel des Hundhausen-Beitrages.

In Deutschland konnte sich dieses – in der NS-Zeit nur von einem exklusiven Kreis weniger Fachleute (insbesondere Hundhausen) öffentlich geäußerte – Interesse erst nach 1945 Bahn brechen. Die spezifische Bindung des amerikanischen Public-Relations-Verständnisses an die soziohistorische Situation der industriellen bzw. kapitalistischen Gesellschaft um die 1930er-Jahre verblasste in (West-) Deutschland in dem Maße, wie der PR-Begriff zunehmend zum Synonym für die in Deutschland immer schon übliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bzw. ÖA/OK wurde.

Was wir hier nicht beantworten können, ist die Frage, ob die gerade behauptete „spezifische Bindung des amerikanischen PR-Verständnisses an die soziohistorische Situation um die 1930er-Jahre“ in den USA selbst nur eine Auffassung unter mehreren bildete oder ob sie vorherrschend war bzw. aus heutiger Sicht gültig ist. Sollte Letzteres zutreffen, wäre die – heute und schon seit Jahren bemerkbare – Substitution des PR-Begriffes durch Unternehmenskommunikation, Kommunikationsmanagement etc. ein aus globaler Perspektive folgerichtiger Ausdruck sozusagen nachträglicher historischer Rückabwicklung eines spezifisch, situativ-amerikanischen (und damit überholten) Verständnisses.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu Seelbach 1976, S. 24f., über die USA: „Mit Beginn der dreißiger Jahre hatten die PR-Aktivitäten eine Norm erreicht, die das angestrebte Ziel einer Übereinstimmung zwischen den jeweiligen Privatinteressen und dem Gemeinwohl realisierbar erscheinen ließ. Aus der defensiven ‚Feuerwehrarbeit‘ hatte sich endgültig eine kontinuierliche und positive, breit gestreute PR-Aktivität (im Zeichen des New Deal) entwickelt. Franklin D. Roosevelt kommt das kaum hoch genug einzuschätzende Verdienst zu, ihr Sponsor im politischen Raum gewesen zu sein. (…) Insofern hat mit Roosevelt die Politik für die Wirtschaft in Amerika die Rolle des Vorreiters übernommen.“

Ähnlich Oeckl 1987, S. 25f.: „Mit dem großen Börsenkrach von 1929 begannt die tiefe wirtschaftliche Depression der 30er Jahre, zu deren Bekämpfung Präsident F. D. Roosevelt sein ‚New-Deal-Program‘ (…) kreierte. (Dieses …), verbunden mit beträchtlichen strukturellen Veränderungen des amerikanischen Gesellschaftsgefüges, bedeuteten für den neuen (! – T.L.) Berufsstand der Public-Relations-Fachleute eine lebhafte Herausforderung, der sie sich schnell und überzeugend stellten. Die Regierung baute ihren PR-Stab beträchtlich aus und agierte unter persönlicher Beteiligung Roosevelts sehr aktiv. Die Wirtschaft setzte sich zur Wehr, und große Unternehmen richteten – sofern noch nicht vorhanden – eigene PR-Abteilungen ein (…). Aus der bisher oft gelegentlichen PR-Arbeit – manchmal verächtlich Feuerwehr genannt – wurde nun eine kontinuierliche und positiv orientierte PR-Aktivität. Allmahlich setzte sich der Grundgedanke von Bernays durch, dass es gilt, Vertrauen zu gewinnen.“