Lindblom 1980 (I)

Reale Demokratie nicht an Diktaturen messen, sondern an demokratischen Idealen

Abb.: Buchtitel von Charles E. Lindblom: Politics and Markets. The World’s Political-Economic Systems von Basic Books 1980 (Erstauflage 1977). Aus: Good Reads. Im Internet unter: https://www.goodreads.com/book/show/2575392-politics-and-markets

Charles E. Lindblom (1917-2018) war Professor für Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft sowie Präsident der American Political Science Association.1

Lindblom fokussiert in seinem Buch auf die „eingeschränkten Möglichkeiten freier Meinungsäußerung“ in den demokratischen Staaten. Diese Grenzen stächen zwar kaum ins Auge, wenn sie „mit der Kontrolle der öffentlichen Meinung in autoritären Systemen verglichen werden“. Wohl aber (…)

(…) im Lichte demokratischer Ideale“. Es sei für Bürger, die die „Freiheit genießen, schwierig, sich ins Bewusstsein zu rufen, wie ungleich der Wettbewerb der Idee ist und wie wenig es den Regierungen bis heute gelungen ist, den Geist des Menschen von allen Behinderungen zu befreien, um so das mögliche Maß demokratischer Kontrolle zu erreichen.

(Lindblom 1980, S. 339)

Konditionierung durch Gewohnheit, tiefverwurzelte Gefühle und Verworrenheit

Abb.: Charles Edward Lindblom 1975 in Yale. Aus: Hans Blokland: Charles Edward Lindblom, In Memoriam. In: Social Science Works. Im Internet unter: https://socialscienceworks.org/charles-edward-lindblom-in-memoriam/

Institutionen einer Gesellschaft, in die man hineingeboren wurde, werden in der Regel von den Menschen nicht hinterfragt, so Lindblom (1980, S. 328). In jeder Gesellschaft vollziehe sich „eine früh einsetzende, ebenso unbewusste wie wirksame Konditionierung (…), an die fundamentalen politisch-ökonomischen Institutionen der eigenen Gesellschaft zu glauben“.

Durch Erziehungsmethoden, das Übertragen des Wettbewerbs- und Leistungsprinzips des Sports auf die Wirtschaft oder – in manchen Ländern – eine protestantische Ethik würden individuelle und unternehmerische Autonomie sowie Privateigentum als zentrale Werte gestützt (S. 328). Repräsentanten der Wirtschaft nähmen unverhältnismäßig hoch am Prozess politischer Willensbildung teil (S. 329).

 

Bei ihrem Bemühen, das Bewusstsein der Bürger zu beeinflussen, brauchen die Vertreter der Wirtschaft häufig nichts anderes zu tun, als tiefverwurzelte Gefühle wachzurufen.

(Lindblom 1980, S. 328)

Die „Steuerung und Prägung des Bewusstseins der Bürger“, insbesondere auch um die Arbeiterklasse gefügig zu halten, benötige gar kein ausgefeiltes Werteprogramm, keine „Einheitlichkeit der Meinungen“, keine „Tyrannei des Geistes“ (S. 334f.):

(…) Verworrenheit genügt, um eine Reihe grundsätzlicher Fragen unangetastet zu lassen.

(Lindblom 1980, S. 335)

Strukturen öffentlicher Meinungsbildung

Bewusstseinsbildung erfolge in einer Gesellschaft, die sich – nach den Worten von Elmo Roper – wie folgt schichtet: „Es gibt große Denker, große Jünger, große Verbreiter, geringere Verbreiter, teilnehmende Bürger und die politisch Lahmen.“ (zit. nach Lindblom 1980, S. 329).

Die „öffentliche Meinung“ bilde sich „stufenförmig“ heraus. Dabei fänden „wechselseitige Austauschprozesse“ statt, wozu auch „Auswirkungen der Massenmedien auf die Prozesse persönlicher Beeinflussung“ gehörten. (S. 329).

Obwohl das Spektrum an Meinungen und Einstellungen in den europäischen Polyarchien nicht so eng beschnitten ist wie in den USA, ist es gleichwohl überall eingeschränkt. Die Meinung der Öffentlichkeit hält zäh an einigen zentralen Gedanken fest, und nur ein paar Leute leisten sich eine nichtkonformistische politische Meinung.

(Lindblom 1980, S, 329)2

Gewisse abweichende Meinungen würden den „Mythos der ‚Ausgewogenheit‘“ stützen (S. 333). Die Medien seien „nicht völlig monolithisch“ (S. 338).

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_E._Lindblom (Abruf im Januar 2020).

2 Selbst wenn es in manchen europäischen Ländern eine legale kommunistische Partei und/oder eine weitere linke und/oder eine Partei der äußersten Rechten gibt, gelte: Auch dann vollziehe sich „der reale politische Konkurrenzkampf weiterhin innerhalb eines engen Rahmens politischer Programme und Maßnahmen (…), die auf die Lösung sekundärer Probleme sind. Selbst die Kommunistische  Partei wird häufig aus praktischen Gründen nicht eine erkennbare große Alternative zur bestehenden Ordnung verfechten (…)“. (Lindblom 1980, S. 332)