Galbraith 1968 (II)

Management der gezielten Nachfrage – Werbung zwecks Manipulation

Abb.: Inhaltsverzeichnis (zweite Hälfte) von Galbraith 1968: Die moderne Industriegesellschaft. München; Zürich: Droemer Knaur (im amerikanischen Original erstmals 1967).

Die „Macht der Technostruktur“ beruhe auf „Technologie und Planung“ (S. 117). Ausgehend von der Notwendigkeit, die Preise zu kontrollieren und „wirksame Planung (… in den) Industrieländern“ zu bewerkstelligen, sei ein „Management der gezielten Nachfrage“ erforderlich (S. 223ff.). „Zur Ermöglichung eines Managements der Verbrauchernachfrage gehört auch ein dazu geeigneter Mechanismus. Auf diesem Gebiet hält man nicht viel von autoritären Maßnahmen.“ (S. 228) Gerade aufgrund der prinzipiellen Ablehnung von Zwang in der Konsumtion, Rationierung etc. fällt die unbefangene Verwendung des Manipulations-Begriffes1 auf:

Es ist einfacher und – wenn auch weniger exakt – ausreichend, die Nachfrage mit Hilfe der Überredungskunst zu manipulieren statt durch ein Machtwort. Obgleich man sicher die Werbung für das zentrale Merkmal dieser Manipulierung hält und obgleich sie tatsächlich von großer Bedeutung ist, gehört doch noch mehr dazu.

(Galbraith 1968, S. 228)

Im Grunde erläutert Galbraith hier Grundstrukturen von ganzheitlichem Marketing, ohne dass allerdings dieser Begriff fällt. Ergänzt werde die Werbung durch Entwicklung einer Verkaufsstrategie, bewusste Gestaltung von Produkt und seiner Verpackung sowie Lieferung von zugkräftigen Verkaufsargumenten (S. 229).

Werbung von Information bis Kundenpflege und Markenimage

Es gebe aber auch „Formen der Werbung und Verkaufsförderung“, die „mit den Zwecken der Nachfragesteuerung und der industriellen Planung nichts zu tun haben“:

So hat ein gewisser Teil der Werbung – die Textinserate und Warenhausangebote – kaum einen anderen Zweck, als Information zu vermitteln; die Öffentlichkeit soll davon unterrichtet werden, dass eine bestimmte Person oder Firma einen bestimmten Artikel zu einem bestimmten Preis zu verkaufen hat (…).

(Galbraith 1968, S. 229)

Außerdem gebe es Werbung, die dem Produkt (…)

(…) ganz besondere Eigenschaften anzudichten sucht, um so die Gefahr zu verringern, dass dieses Produkt durch ein anderes ersetzt wird. Er (der Verkäufer – T.L.) hat dann die Möglichkeit, einen höheren Preis zu verlangen und sich, zumindest vorübergehend, an monopolistischen Gewinnen zu bereichern.

(Galbraith 1968, S. 229f.)

Und schließlich beziehe sich Werbung mitunter gar nicht auf den „Preiswettbewerb“, sondern verfolge Strategien zur gegenseitigen Abwerbung von Kunden, beispielsweise mittels Thematisierung von Stiländerungen u.Ä. (S. 231).

All diese Werbung sei – auch entgegen anderslautender Meinungen – sinnvoll:

Was den traditionsbewussten Marktwirtschaftlern wie ein nerventötendes Ringen zwischen den Waschmittelherstellern vorkommt, das nur zu einem Patt führt, dient in Wirklichkeit einem tieferen, höchst bedeutsamen Zweck. (…) Diese Verkaufsbemühungen verfolgen, ganz grob gesprochen, den Zweck, die Kaufentscheidung vom Verbraucher, wo sie der Einflussnahme durch die Firma entzogen ist, an eine Stelle zu verlagern, wo sie beeinflussbar ist.

(Galbraith 1968, S. 231)

Ziel sei es in erster Linie, einen „loyalen oder automatischen Kundenstamm“ bzw. ein „Marken-Image“ zu schaffen (S. 232).

Wandel zur Massengesellschaft: Zusammenhang zwischen Industriesystem, Werbeindustrie und neuen Massenmedien

Eine „Überredung von dem eben aufgezeigten Ausmaß“ erfordere „eine umfassende, wiederholte und zwingende Kommunikation zwischen den Managern der Nachfrage und den ‚Gemanagten‘.“ (S. 234)

Am Anfang der industriellen Entwicklung, unter den Bedingungen einer wohlhabenden Minderheit und den alleinigen Medien Zeitungen und Zeitschriften, war dies noch nicht so. Mit „dem Aufkommen des Massenwohlstandes“ hingegen, „und damit der Möglichkeit einer Manipulierung der Massennachfrage“, „tauchten zufällig auch zuerst das Radio und dann das Fernsehen auf“ – die „aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften ausgezeichnet zur Massenbeeinflussung geeignet“ sind. (Galbraith 1968, S. 234) Zwischen „Industriesystem“ und (Werbe-) Fernsehen gebe es eine tiefe Abhängigkeit (S. 235).

Niemand könne die Wichtigkeit der Werbeindustrie für das Industriesystem bezweifeln, wobei – so räumt Galbraith (1968, S. 237) ein – „immer von den Maßstäben ausgegangen wird, an denen dieses System Leistung und Erfolg misst“.

Beeinflussung in der „Massen“-Gesellschaft“: neue Dimensionen, neue Qualität

Galbraith akzentuiert die „Masse“ als neue soziale Entität (Massenwohlstand, Massenbeeinflussung …), sie ist Adressat des „Managements der Nachfrage“.

Es wirkt nicht auf den einzelnen, sondern auf die Massen. (…)

(Galbraith 1968, S. 236)

Damit versucht er zugleich Kollisionen seiner ganzheitlich-systematischen Ansprüche (Management des Massenverhaltens) mit der Norm individueller Freiheit zu harmonisieren. Mitunter benennt er real zweifellos wirkende soziale bzw. ökonomische Zwänge: Unsere „Vorstellungen“ leiten sich „teilweise von den Erfordernissen des Industriesystems“ ab (S. 372). Bezogen auf den öffentlich-gesellschaftlichen Raum fordert er aber durchaus, dass „eine skeptische Kritik am offiziellen Glaubensbekenntnis zu einer vorrangigen politischen Aufgabe wird“ (S. 372). Die Verbindung des Glaubens an die Omnipotenz der Massenbeeinflussung mit der Behauptung individueller Souveränität nimmt in manchen Textstellen schon zynische Züge an:

Jedes willensstarke und entschlussfreudige Individuum kann sich seinem Einfluss (dem des Managements des Massenverhaltens – T.L.) entziehen. Deshalb kann man auch nicht behaupten, der einzelne würde zum Kauf irgendeiner Ware gezwungen. An alle, die dagegen sind, gibt es eine einfache Antwort: Es steht euch frei, nicht mitzumachen! Die Gefahr, dass jemals genügend Menschen ihren Individualismus unter Beweis stellen werden, um das Management des Massenverhaltens ernsthaft zu gefährden, ist jedoch nur sehr gering.

(Galbraith 1968, S. 235)

An anderer Stelle beschreibt er das Verhältnis zwischen Sender und Adressat der Werbung als eine Art von Agreement: Beide Seiten wissen um die Heuchelei und trotzdem wirkt Werbung, ohne aber Schaden anzurichten:

Es ist nicht leicht, sich mit den Vorzügen rücksichtsloser Blenderei abzufinden, obwohl in der Praxis damit vermutlich kein Schaden angerichtet wird. Wie schon bemerkt, sind nur in einem verhältnismäßig wohlhabenden Land die Menschen gegenüber den Verführungskünsten der Werbung aufgeschlossen. Bei Wohlhabenden spielt es jedoch keine sehr Rolle, wie und wofür sie ihr Geld ausgeben. Ein Streit um des Kaisers Bart richtet keinen großen Schaden an. Wichtiger ist, dass man den Fall als heuchlerisch durchschaut.

(Galbraith 1968, S. 363)

Die fast schon naive Freude an den Möglichkeiten von Beeinflussung erklärt sich aber auch aus einer der Stoßrichtungen des Buches: Ihm geht es darum, die „Werbung“ vor dem Vorwurf der Wirtschaftswissenschaftler zu verteidigen, sie sei ökonomische und soziale Verschwendung (vgl. S. 237).2 Das Konstrukt eines souveränen Verbrauchers bedient eher die Nutzlosigkeit von Werbung (S. 230).

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 An anderer Stelle schreibt er: Das Management der Nachfrage nach einem bestimmten Artikel erfordere eine „wohlüberlegte Heuchelei“ – und jeder „halbwegs intelligente Mensch“ wisse das auch. Bedeutsam sei die „Beugung der Wahrheit, indem man nebensächlichen oder auch nur eingebildeten Eigenschaften eine übertriebene Bedeutung unterschiebt.“ (Galbraith 1968, S. 364)

2 Vgl. auch Kunczik 1993, S. 152, über Thorstein Veblen, der in einer amerikanischen Publikation von 1921 als einer der ersten den Vorwurf äußerte, Werbung und PR seien unproduktiv und Verschwendung. Daraus entwickelte sich offensichtlich eine durchaus einflussreiche Denkrichtung, der auch noch Galbraith Rechnung tragen musste.