Teil- und Gesamt-Fazit (I)
Wandel von Kommunikation, der auf einer bestimmten Entwicklungsstufe industrieller bzw. kapitalistischer Gesellschaft notwendig wird
Die vorgestellten Ansätze können – schon allein aufgrund des eher geringen Ausmaßes expliziter Thematisierung von PR – nicht alle als „PR-kritische“ bezeichnet werden, wohl aber als gesellschaftskritische (von systemimmanent-konstruktiv bis systemüberwindend-revolutionär).
Wie schon Riesman u.a. (1958) und Baran (1966) – siehe im ersten Teil unserer Abhandlung – verfolgen auch Galbraith (1968), Sweezy (1970) und Hirsch (1980) ein zeitlich-historisches Verständnis einer „Entwicklung“ von Gesellschaft bzw. Wirtschaft. Geht Galbraith davon aus, dass die „Keynes’sche Revolution“ die erfolgreiche Entwicklung der USA auch noch zum Erscheinen des Buches gewährleistet, so sieht Sweezy deren Wirken weniger nachhaltig und im Zweiten Weltkrieg bzw. im nachfolgenden „Kalten Krieg“ die entscheidenden Impulse.
Hirsch (1980) – als zeitlich spätere Analyse – entwickelt auch ein historisch-zeitlich anderes Verständnis: Fühlten sich Riesman u.a., Baran, Galbraith und Sweezy „Wachstum“ als Ziel (und damit auch als zentrales Ziel gesellschaftlicher Kommunikation) verpflichtet, so thematisiert Hirsch Probleme und Grenzen von Wachstum. Er sieht die zeitgenössische Gesellschaft an einer Grenze bzw. in einer „Sackgasse“ angelangt. Damit relativiert er zugleich die Bedeutung von Keynes.
Galbraith, Sweezy und Hirsch thematisieren – wie auch schon Baran aus dem ersten Teil – „Public Relations“ nicht. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass Galbraiths ausführliche Behandlung des Managements der gezielten Nachfrage bzw. der Werbung die Öffentlichkeitsarbeit/PR von Unternehmen mit einschließt.
Lindblom (1980) nimmt nicht – wie die anderen Autoren – eine primär zeitlich-prozessuale, also „Entwicklungs“-Perspektive ein, sondern vergleicht die Meinungsbildung in demokratischen (polyarchischen) und autoritär-diktatorischen Systemen. Konditionierung für eine Wirtschaftsordnung über Verfestigung von Gewohnheiten, Ansprechen von Gefühlen, Nichtthematisierung von Problemen und „Überredung als ein System sozialer Steuerung“ (Lindblom, S. 96f.) kämen in allen Gesellschaften vor. Obwohl Lindblom nicht explizit „Public Relations“ problematisiert, dürften sie dem „präzeptoralen System“ – einem Kernkonstrukt von Lindblom (S. 101ff.) im Sinne von „Überredung oder ‚Erziehung‘“ durch eine aufgeklärte Elite – zuzurechnen sein.
Dass Public Relations erst auf einer bestimmten (!) Entwicklungsstufe industrieller bzw. kapitalistischer Gesellschaft notwendig wurden, konnte zwar aus den im ersten Teil behandelten Auffassungen gefolgert werden. Der zweite Teil stützt dies – mangels expliziter Behandlung von PR – nicht.
Ausgewählte Merkmale der neuen Phase, die eine andere Qualität von Kommunikation beschreiben
Aus dem ersten und dem zweiten Teil unserer Abhandlung lässt sich recht eindeutig schließen, dass auf einer bestimmten – wie auch immer von den Autoren definierten – Entwicklungsstufe industrieller bzw. kapitalistischer Gesellschaft eine höhere Qualität bzw. größere Dimension von öffentlicher und organisationeller Kommunikation (mehr Planmäßigkeit, Massenhaftigkeit, Wirksamkeit etc.) erforderlich wird. Im zweiten Teil kann dies jedoch nicht explizit mit „Public Relations“ in Verbindung gebracht werden.
Galbraith (1968) begründet vergleichsweise ausführlich, dass mit bzw. seit der „Keynes’schen Revolution“ eine höhere Planmäßigkeit des Handelns, gerade auch in der Beeinflussungstätigkeit und Werbung, eingesetzt hat. Umfangreich beschreibt er das erforderliche, wachstumsorientierte „Management der gezielten Nachfrage“ mittels Beeinflussung und Manipulation, das er einerseits als nahezu omnipotent einschätzt, andererseits aber für gesellschaftlich kaum schädlich hält.
Als eine neue soziale Entität begreift Galbraith die „Masse“, auf die sich – und nicht auf das Individuum – das Management der Nachfrage erstrecke. Der Werbung bescheinigt er auch soziale Funktionen, die insbesondere in der Stabilisierung von Gewohnheiten liegen, die für das „Industriesystem“ wichtig sind. Um eine zu weit gehende Nivellierung sozialer Interessenunterschiede zu vermeiden, sieht er Erzieher und Wissenschaftler in der Pflicht.
Mindestens indirekt thematisiert auch Hirsch (1980) neue Anforderungen an Kommunikation, weil die bisherige Gesellschaft einem Legitimationsschwund mangels sozialer Gerechtigkeit unterliegt. Die nötige Bändigung und Steuerung des Marktes bräuchten unbedingt „öffentliche Legitimation“. Technokratisch-individualistische Vorstellungen vom Funktionieren des Marktes seien an ihre Grenzen gelangt.
Lindblom (1980) attestiert den demokratischen (polyarchischen) Staaten zwar deutlich weniger Einschränkungen im Meinungsspektrum als in Diktaturen, sieht diese aber im Vergleich mit demokratischen Idealen trotzdem als relevant an. Die zentrale Erkenntnis seines Buches bestehe darin, „dass die Steuerungs- und Kontrollmechanismen, die auf die Meinungsbildung einwirken, in diesen Systemen ebenso wichtig sind wie die polyarchischen Prozesse selbst.“ (S. 335) „In den Polyarchien sind die Kernüberzeugungen das Ergebnis eine einseitig verzerrten Wettbewerbs der Ideen.“ (Lindblom 1980, S. 336)