Zusammenfassung (III)

PR zwischen Lenkung der öffentlichen Meinung und Partizipationsförderung

Selbst Ludemann (1952) mit seiner teilweisen Berufung auf Social Engineering verkündet ein sehr dialogisches Kommunikationsideal: „Partnerschaft pflegen“ bedeute, (…)

(…) alle Menschen, die das Unternehmen inner- wie außerhalb seiner Produktions- oder Handelsstätte als zu seinem Zusammenhang gehörig ansieht, nach ihren Kreisen mitwissen, mitplanen und mitwirken, sie teilnehmen oder teilhaben lassen. Dieses Teilhaben (participation) kann (…) ein geistiges und ein materielles sein.

(Ludemann 1952, S. 20. Herv. im Original)

Abb.: Die „zweite Hälfte“ des Inhaltsverzeichnisses der Dissertation von Schobert 1968 zeigt, wie sehr er die Beziehungen zwischen Unternehmung und öffentlicher Meinung „seziert“.

Schobert (1968) problematisiert die zweiseitigen Beziehungen zwischen Unternehmung und öffentlicher Meinung. Das Unternehmen sei „Rezeptor“ und „Aktor“ der öffentlichen Meinung. Einerseits wird eine (zunehmende) Abhängigkeit des Betriebs von der Öffentlichkeit behauptet, andererseits die (zumindest teilweise) Möglichkeit eröffnet, die öffentliche Meinung zu beherrschen. Die Beeinflussung und Lenkung der öffentlichen Meinung sei das eigentliche Ziel der PR (S. 163f.).

Im günstigsten Fall steuert die Unternehmung aufgrund ihrer organisierten Überlegenheit über die meist amorphe Masse der Meinungsträger die Meinungsbildung in ihrem Sinne und zu ihren Zwecken (…).

(Schobert 1968, S. 222)

Eine solche instrumentelle PR-Auffassung, überhaupt „manipulative Arrangements“ werden von Skowronnek (1979, S.11) kritisiert. Sie verfolgt ein emanzipativ-partizipatives Kommunikationsverständnis. Interessensidentität müsse erst einmal real hergestellt und nicht eingeredet werden (S. 12). Skowronnek referiert die frühe westdeutsche Begriffsdebatte über PR/Öffentlichkeitsarbeit. Zugleich verarbeitet sie kritisch die zwischenzeitlich aufgekommene Argumentation, die zunehmende Komplexität von Gesellschaft reduziere (staatliche) Öffentlichkeitsarbeit auf Loyalitätssicherung und „massenkonditionierende(n) Akklamationsbeschaffung“ (S. 1).

Wie verhält sich PR zur Propaganda? Verschiedene Perspektiven

Das Problem ist keins oder weniger wichtig

Die Mehrzahl der untersuchten Dissertationen trifft auch Aussagen zur „Propaganda“ bzw. ihrem Verhältnis zur PR. Für Schobert (1968) ist das „Problem“ kein Problem:

Die Zielsetzung der Unternehmung, die öffentliche Meinung zu beeinflussen – gleichgültig ob unter der Bezeichnung Meinungspflege, Beziehungspflege, Public Relations, Werbung oder Propaganda – geht darauf aus, über eine Beeinflussung der Meinungen das Verhalten der Öffentlichkeit im Sinne der Formal- und Materialziele der Unternehmung zu lenken.

(Schobert 1968, S. 217)

Steybe (1958) weist der Propaganda vor allem das Feld der Politik zu, mit der „seine“ PR in der Wirtschaft nichts zu tun habe (oder nichts zu tun haben sollte) (S. 59). So genannte „PR“ sei aber real manchmal Propaganda (S. 105). Ausdrücklich wendet er sich gegen schablonenhafte Auffassungen, Propaganda gäbe es nur in einer Diktatur und PR nur in einer Demokratie (S. 58).

PR ist nicht gleich Propaganda, Unternehmen können aber u.U. Propaganda treiben

Tut Steybe das Problem vergleichsweise leicht und vage ab, argumentieren andere Autoren ausführlicher und differenzierter.

Diese, die wie übrigens Steybe auch, den „Public Relations“ eine besondere Qualität zusprechen, stehen vor der Herausforderung, das innerhalb der Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation zu klassifizieren, was ihrem Verständnis nach nicht „PR“ ist. Löckenhoff (1958) sagt klar, dass dies u.a. Propaganda sein und dass PR auch in Propaganda übergehen könne. „(…) Public Relations (können …) propagandistische Formen annehmen, ohne dass sie jedoch ursprünglich und wesensmäßig Propaganda sein müssten.“ (S. 81 – Herv. im Orig.)

Abb.: Emil Dovifat (1890-1969), Publizistik-Professor in Berlin, zuletzt an der Freien Universität. Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) / ACDP-Fotoarchiv 2000. Im Internet unter: https://www.kas.de/de/statische-inhalte-detail/-/content/dovifat-emil

Löckenhoff (1958, S. 81) konstatiert zum Propaganda-Begriff, dass dieser „im wissenschaftlichen Sinne und sozialethisch wertfrei“ sei und zitiert die diesbezügliche Propaganda-Definition des Publizistikwissenschaftlers Dovifat. PR, so Löckenhoff, sei „Werbung um Verständnis und Vertrauen“, nicht aber – zumindest nicht „wesensmäßig“ – „Polemik in Gesinnung und Ausdrucksform, die im Willen zur Eroberung angelegt ist“ (Löckenhoff 1958, S. 81). Verfolgten einzelne PR-Aktionen jedoch einen „Machtanspruch“ und trügen sie „kämpferische Züge“, so müssten sie „dann folgerichtig als Propaganda gekennzeichnet werden“ (S. 82).

PR ist nicht gleich Propaganda, Propaganda ist verurteilungswürdige Manipulation

Auch Skowronnek 1979 (S. 31) verweist zunächst auf den wertfreien Propagandabegriff von Dovifat (1971), um dann aber gleich die Existenz vieler anderer weniger wertfreien Äußerungen dazu festzustellen. Die Promovendin (S. 32) wendet sich aufgrund der realen Geschichte gegen Versuche, den Propagandabegriff zu ‚retten‘ oder ihm gar – wie bei Maletzke (1972) – des ‚Guten zu viel‘ zu tun. Der Propaganda-Begriff sei „denunziert“ (Skowronnek 1979, S. 33).

Wie verhält sich PR zur Propaganda? Zusammenfassung

In der Zusammenschau – auch mit anderen Literaturbefunden – zeigt sich eine eigentümliche Mischung aus (mehr oder weniger strikten) Abgrenzungsversuchen, vor allem im Berufsstand und bei praxisnahen Autoren, und Betonung von Gemeinsamkeiten, vor allem in der offiziellen Wissenschaft, bis hin zur Gleichsetzung. Immerhin war ein wertfreier Propagandabegriff bis mindestens zu den 1960ern wissenschaftlich einflussreich.

Techniken, die einer Meinungsbeeinflussung dienten, waren in Folge des Dritten Reiches in Deutschland nicht nur von ihrer Semantik her, sondern auch funktional diskreditiert.

(Szyszka in Szyszka 1997, S. 118)

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In Abgrenzung zu den Propagandamethoden des Nationalsozialismus sollte die ‚moderne Meinungspflege‘ informieren, nicht formieren.

(Haedrich/Barthenheier/Kleinert 1982, S. 10)

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In der publizistikwissenschaftlichen Literatur hatten dagegen Koszyk (1969) und Noelle-Neumann (1971) in ihren Handbüchern noch Anfang der siebziger Jahre keine Probleme, Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit als Synonyme aufzufassen (Koszyk/Pruys 1969, S. 291; Noelle-Neumann/Schulz 1971, S. 307). Vgl. in jüngerer Zeit auch Kunczik 1993, S. 12ff.

(Szyszka in Szyszka 1997, S. 118)

Das Verhältnis zur Propaganda bleibt – im Ganzen genommen – ungeklärt. Begünstigt wurde dies auch dadurch, dass die „neue PR“ auch Ziele setzte und Methoden nutzte, die zumindest unrealistisch oder zweifelhaft waren. Nicht von ungefähr setzt sich Löckenhoff (1958, S. 118ff.) auch mit unredlichen Formen von PR auseinander. Oder, wie es in einem Überblicksbuch heißt:

Mit Hilfe quasineutraler Einrichtungen wie ‚Die Waage – Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs‘ sollten gesellschaftliche Interessenkonflikte harmonisiert werden. (…) (Es) wurden die Hindernisse zur Entfaltung einer betrieblichen Öffentlichkeit nicht herausgearbeitet. Hindernisse blieben auch nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1952 und 1972 bestehen, so dass die Rede von interner Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsarbeit bis heute eher programmatischen Charakter hat, als dass sie Realität sein kann. (…) Indessen erstarkten die Gewerkschaften zunehmend und es wurde deutlich, dass die Strategie der Interessen-Identitäten nicht eingelöst werden konnte. Die ‚Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot‘-Ideologie musste scheitern, da sozioökonomische Interessenunterschiede nicht durch Kommunikation beseitigt werden können. Allerdings wurde dieses Scheitern vernebelt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der 60er Jahre, der die Illusion der Gemeinsamkeit weiternährte.

(Haedrich/Barthenheier/Kleinert 1982, S. 10f.)

Autor(en): T.L.