Zusammenfassung (II)

Das „Neue“ an den Public Relations: Löckenhoffs Antwort von 1958

Bei Löckenhoff (1958) durchzieht ein „besonderer Sinn“ zwar nicht so tief und umfassend wie bei Ludemann jeden „Satz“ der Arbeit, ist aber wohl am klarsten ausgedrückt: Löckenhoffs Botschaft lautet – vereinfacht gesagt – zunächst einmal: Nicht alles, was sich „PR“ nennt oder an unternehmerischer Kommunikation existiert, selbst wenn es keine Werbung ist, verdient den Begriff „Public Relations“ (bzw. „öffentliche Meinungs- und Beziehungspflege“), so wie ihn Löckenhoff darstellt (und glaubt, ihn richtig zu verstehen). Insofern ist PR also nicht bloß ein neues „Etikett“ für eine ältere Kommunikationsdisziplin.

Nach Löckenhoff ist die Notwendigkeit von PR soziologischer Natur und liege tief in der industriellen Gesellschaft und ihrer Sozialstruktur begründet. Einerseits gibt es in dieser Gesellschaft (durchaus große) Interessengegensätze, andererseits sind zum Funktionieren und zum Erhalten dieser Gesellschaft ihre „Glieder“ aufeinander angewiesen. PR sei genau jene Kommunikation, die nicht die Unterschiede betont – dafür gibt es andere Kommunikationsformen –, sondern jene, die Gemeinsamkeiten hervorhebt und also Integrationsfunktionen wahrnimmt. „Öffentliche Meinungs- und Beziehungspflege“ nehme „eine Sonderstellung (…) ein, als (…)“

(…) sie nicht das Entgegengesetzte der Ansichten und Interessen, sondern das Gemeinsame betont, den Gedanken einer sozialen Partnerschaft und eines kampflosen Interessensausgleichs vertritt, der auf einer gegenseitigen Verständnisbereitschaft aufbaut.

(Löckenhoff 1958, S. 33)

PR als industriegesellschaftliche oder gar amerikanische „Ideologie“ zur Integration?

Jeder, der gewichtige wirtschaftliche, soziale etc. Interessengegensätze – beispielsweise zwischen Eigentümern und Lohnabhängigen – in den Hintergrund stellt und „partnerschaftlich“ überbrücken will, muss damit rechnen, „ideologischer“ Motive verdächtigt zu werden. Das war offensichtlich auch Löckenhoff klar, als er weiter über die PR bzw. öffentliche  Meinungs- und Beziehungspflege schrieb:

Dass sie dabei selbst ideologische Momente enthält, ergibt sich von selbst. (…) Die Art der von ihnen vertretenen Ideen schließt jedoch, wenn wir hier von (…) Entartungen absehen, ihre integrative Funktion nicht aus. Dahinter stehende Sonderinteressen mögen sie abschwächen, widersprechen ihr jedoch nicht grundsätzlich.

(Löckenhoff 1958, S. 33)

Löckenhoffs Arbeit wird später von Bauch (1963) mehrmals zitiert. Im Unterschied zu Löckenhoff steht bei Bauch „Public Relations“ im Titel nur in Klammern und Letzterer hinterfragt auch stärker die Übertragbarkeit amerikanischer Verständnisse auf (West-) Deutschland (S. 13ff.) – wenngleich der USA-BRD-Vergleich auch bei Löckenhoff eine wichtige Rolle spielte (dort S. 140ff.).

Ist nun die Charakterisierung von PR als einer in der Industriegesellschaft notwendigen Kommunikation zur Überbrückung von Interessenunterschieden zutreffende Beschreibung oder „Ideologie“ im Sinne von falschem Bewusstsein bzw. Manipulation? Die gewerkschaftliche Kritik an Unternehmens-PR in der damaligen Zeit lässt pauschal auf Letzteres schließen, allerdings sahen das selbst die Arbeitnehmer-Organisationen differenzierter:

Wir behaupten nicht, dass jedes Partnerschaftsexperiment gewerkschaftsfeindlich ist, dass jede Werkszeitung den Gewerkschaften den Wind aus den Segeln nehmen will. Wir lehnen die PR-Aktivität nach innen und außen nicht von vornherein ab. Wir unterstellen nicht, dass jedes Institut zur Menschenbeeinflussung im Betrieb der Erziehung zur Werkshörigkeit dient. (…) Es geht nicht um die Frage: Für oder gegen soziale Betriebspolitik, für oder gegen Partnerschaft, für oder gegen PR. Es geht um die Frage, ob die soziale Betriebspolitik offen oder versteckt dazu missbraucht werden darf, um die Arbeitnehmerschaft aus ihren gesellschaftlichen Bezügen herauszulösen, die durch die Gewerkschaften repräsentiert werden.

(Pahl 1951, S. 193)

Das „Neue“ an den Public Relations: Steybes Antwort von 1958

Abb.: Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der Dissertation von Steybe 1958. Charakteristisch für diese Promotionsschrift ist u.a., dass sie auch zwei Spitzenorganisationen der Wirtschaft fallstudienartig untersucht. Auch wendet sie sich – wie Ludeman 1952 u.a. – dem Verhältnis von Unternehmung und Presse zu.

Auch Steybe (1958) spricht – wie Löckenhoff – Public Relations eine besondere Qualität zu, die sie von x-beliebiger Unternehmenskommunikation unterscheide:

Richtig verstandene Public Relations sind der Ausdruck einer echten Verantwortung und Verpflichtung des Unternehmens gegenüber der Allgemeinheit. Sie sind darauf ausgerichtet, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen. Public-Relations-Arbeit erfordert: Einsicht in die Belange der Allgemeinheit und damit aktive Mitarbeit am Gemeinwohl; fortwährendes Bemühen, innerhalb des Unternehmens eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens herzustellen; Wahrheit, Offenheit und Ehrlichkeit; sachgemäße Information nach innen und außen.

(Steybe 1958, S. 33f.)

Damit ist Steybe nah an Löckenhoff mit dessen „Integrationsfunktion“, akzentuiert aber neben dem Interessensausgleich mit der Gesellschaft noch stärker die Vertrauensgewinnung für den PR-Treibenden (allerdings schon bei Löckenhoff 1958, S. 8; vgl. auch Steybe, S. 283). PR ist für Steybe eine „Funktion der Unternehmensleitung“ (S. 81ff., vgl. auch bei Löckenhoff, S. 142) bzw. eine „Führungsaufgabe“ (S. 283).

Steybe und Löckenhoff entfalten ein primär soziologisches Verständnis von Public Relations. Beide teilen auch eine Auffassung von PR als Teil menschlicher Beziehungspflege (bei Löckenhoff sogar im Titel), insbesondere zwischen „Sozialpartnern“ (Steybe, S. 10). Steybe akzentuiert aber einen engen Zusammenhang von PR mit Human Relations (S. 4, 36ff.), wodurch eine stärkere sozialpsychologische Komponente hineinkommt.

PR darf nicht politisch sein, sondern bedient soziologische Erfordernisse der Industriegesellschaft

Steybe artikuliert noch stärker als Löckenhoff – auch unter Einbeziehung zeitgenössischer Stimmen – Gefahren eines möglichen Missbrauchs von PR als politisches Kampfmittel, beispielsweise der Unternehmer gegen die Gewerkschaften.

Wir (…) meinen in den Fällen, in denen wir Public Relations erwähnen, auf keinen Fall politische Public Relations oder politische Meinungsbildung.

(Steybe 1958, S. 59)

Wie Löckenhoff fasst Steybe Public Relations als eine Kommunikationsform auf, die in einer Industriegesellschaft allgemein erforderlich ist, um beispielsweise alle im produktionstechnischen System Agierenden zu verbinden.

In dem sie diese „Beziehungspflege“ oder „Partnerschaftsbeziehungen“– unabhängig von bzw. zusätzlich zu sonstigen sozialen, politischen etc. Kommunikationen der Akteure zur Durchsetzung ihrer jeweiligen unterschiedlichen Interessen – im Wirtschaftsbetrieb für notwendig erachten, beziehen sie sich auch auf Ideen und Wissensbestände, die besonders Ludemann (1952) dargestellt hat.

Das „Neue“ an den Public Relations: die frühe Antwort von Ludemann 1952

Abb.: Carl Hundhausen hatte sich schon in der NS-Zeit mit dem Verhältnis von „innerbetrieblicher Werbung“ und (amerikanischer) PR beschäftigt. Faksimile von Der Markenartikel April 1940 mit dem Titel des Hundhausen-Beitrages.

Am terminologisch auffälligsten und die gesamte Arbeit durchziehend erfolgt eine besondere Sinngebung von PR durch Ludemann (1952), der vor allem ausgehend von US-Quellen und -Erfahrungen der 1940er-Jahre „business public relations“ als Anwendung des „Partnerschafts“-Konstruktes auf den „Betrieb“ konzipiert. Diese Konkretisierung „allgebildlicher Partnerschaftspflege“ beruht auf der Verknüpfung soziologischer (v.a. Beziehungssoziologie Leopold von Wieses), sozialpsychologischer und betriebswirtschaftlicher Sichtweisen. Zu dieser Tradition gehören auch die „Soziale Technik (social engineering)“ in den USA (S. 35) oder die so genannte „innerbetriebliche Werbung“ (S. 44) im Deutschland der NS-Zeit.

Abgesehen von dem aus heutiger Sicht antiquierten Begriffsgebrauch und dem nötigen Hinterfragen mancher dieser (insbesondere „sozialtechnologischen“) Traditionselemente lässt sich feststellen: Ludemann entwickelt strukturelle und prozessuale Vorstellungen von ganzheitlicher und zugleich Dialoggruppen-bezogener Unternehmenskommunikation, die beachtlich sind und auch für die gegenwärtige Fachdiskussion noch Anregungen bieten.

Autor(en): T.L.