Französische Herausforderungen für die Kommunikationspolitik

Anstöße aus Frankreich für mehr Öffentlichkeitsbeteiligung

Napoleon, der seit 1799 an der Macht war, stellte für alle seine Gegenspieler auch kommunikationspolitisch eine große Herausforderung dar, denn er repräsentierte ein neues Politik- und Öffentlichkeitsverständnis:

Er suchte Franzosen und andere Völker

(…) weislich für die großen Angelegenheiten zu interessieren, für die er ihnen so große Opfer auferlegte.“ (…) Napoleon wollte „nicht bloß Gehorsam, sondern auch die Überzeugung der andern für sich haben (…). Völliges Stillschweigen über Gründe und Ziele seiner Unternehmungen wäre unmöglich gewesen, hätte diese unmöglich gemacht. Ohne sorgfältige Verwendung psychologischer Mittel wäre ihm ein Volk (…) auf solchen Wegen nur kurze Zeit gefolgt.

(Everth 1931, S. 417)

Mit Napoleon kam ein neuer Typ Politiker und Staatsmann zum Vorschein, der sich seine Reputation weit mehr als seine aristokratischen Vorgänger und Kontrahenten selber und ständig erarbeiten musste.

Er

(…) war ein Sohn des Volkes, und das ließ sich nie vergessen (… S. 416). Er musste schon viel mehr die Trommel für sich selber rühren, um an seinen Platz zu kommen, als etwa ein hoher Herr, der in eine führende Stellung hineingeboren wird, und er brauchte mehr Agitation, um sich oben zu halten. Der Parvenü (…), der sich seinen Rang selber verdankte und immer auf sich selbst angewiesen blieb, nur Untergebene, aber keinen Höheren hinter sich hatte, der ihn stützte und hielt, musste ganz anders darauf bedacht sein, dass in der Öffentlichkeit von ihm gesprochen werde, und zwar möglichst günstig. Ohne die propagandistische Begabung, die er neben seinen anderen großen Gaben hatte, wäre er nie das geworden, was er war.

(Everth 1931, S. 418)

Anstöße aus Frankreich für eine systematische und leidenschaftliche Meinungswerbung

Nachdem die Französische Revolution trotz aller unwillkürlichen „Ansteckung“ im Ausland zuerst vor allem ein „innenpolitisches Problem“ Frankreichs gewesen war, machte „(d)ie Revolution“ (schon vor Napoleon) „aber nun selber in den benachbarten Staaten allmählich eine populäre Propaganda, die etwas ganz Neues war, und diese Werbung verfolgte mindestens zum großen Teil außenpolitische Ziele.“ (Everth 1931, S. 396)

Die Propagierung der allgemeinmenschlichen, politischen und sozialen Ziele der Revolution verband sich mit nationalen Interessen Frankreichs und Machtambitionen Napoleons.

Gewiss sollte sie auch den Idealen der Revolution dienen, die Lehre von den Menschenrechten auch außerhalb Frankreichs verbreiten, aber ebenso der Vormacht Frankreichs in der befreiten Welt den Weg bahnen (…)“. Es „gingen besondere Emissäre in die Nachbarländer, arbeiteten mit Flugschriften und mit der Tagespresse, soweit sie sich ihnen öffnete, und das tat sie zum guten Teil.

(Everth 1931, S. 396)1

Das Verhältnis von Positivdarstellung eines Ideals und Kritik an tatsächlicher oder vermeintlicher Realität erwies sich schon damals als schwierig, insbesondere dann, wenn bei den Zielgruppen pauschale Verteidigungsreflexe nationaler oder sozialer Gemeinschaften hervorgerufen wurden.

Man versuchte es nicht bloß mit leuchtender Darstellung der leitenden Ideen und der angeblich besseren Zustände in Frankreich, sondern auch mit Kritik an den auswärtigen, z. B. den deutschen Verhältnissen und verdarb sich dadurch freilich bisweilen die Wirkung, denn das nahmen die deutschen Bürger manchmal übel, wenn auch durchaus nicht überall.

(Everth 1931, S. 396)

Kontrolle, Repression und im Ausland zusätzlich Fremdbestimmtheit

Abb.: Napoleons Einzug in Berlin am 27. Oktober 1806 nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Gemälde von Charles Meynier (1768-1832), 1810. Quelle: Wikimedia Commons, Public Domain.

Neben Information, Meinungsbildung und propagandistischer Positivdarstellung konnte Napoleon unter den gegebenen Umständen der Revolution und ihrer Folgen nicht auf negativ-repressive Mittel verzichten, um den Erfolg seiner Politik zu erreichen:

Er

(…) brauchte auch mehr negative Methoden, um ihm schädliche Meinungen niederzuhalten, namentlich auch die Umtriebe der Schichten, die durch die Revolution um ihre Stellung in Staat und Gesellschaft gekommen waren. Jedenfalls waren auch die negativen Methoden bei ihm zum guten Teil aus der Schwierigkeit und Unsicherheit seiner Lage zu verstehen (…)

(Everth 1931, S. 418).

Wenn diese Argumentation richtig ist, so muss sie für die Kommunikationspolitik in den besetzten bzw. kontrollierten Gebieten des Auslands erst recht gelten. Der in Tilsit abgeschlossene Frieden ging für Preußen mit einer fremdbestimmten Kommunikationssituation einher, die Napoleon insbesondere mit Zensur und einer französischen Werbepublizistik durchsetzte.2

Allerdings gab auch von preußischer Seite bereits vor den Befreiungskriegen Vorschläge für eine offensive und subversive anti-französische Publizistik.

Scharnhorst, der in einer Zeitung des damals noch unbesetzten Königsbergs französische Kriegsbulletins mit satirischen Bemerkungen versah, reichte dem König einen Plan ein, nach dem durch Proklamationen hinter den französischen Linien das Volk aufgerufen werden sollte.

(Bialowons 1976, S. 144)

Autor(en): T.L.P.ST.

Anmerkungen

1 Interessant ist die Analogie, die Everth – im Jahre 1931 – von der Französischen Revolution zur Sozialistischen Oktoberrevolution 1917 in der späteren Sowjetunion zog: „(…) aber ebenso der Vormacht Frankreichs in der befreiten Welt den Weg bahnen, genau wie die heutige kommunistische Propaganda Russlands, die für die Weltrevolution und damit die Führung Russlands in der revolutionierten Welt wirkt.“ (S. 396). Aus heutiger Sicht lässt sich auch die Verknüpfung des Eintretens für Demokratie in der Welt mit dem für die nationalen Interessen der USA oder für Interessen der EU-Mitgliedsstaaten anführen.

2 Vgl. Hofmeister-Hunger 1994, S. 184f.