Die Reformer um Hardenberg und ihre Denkschriften II
Die Rigaer Denkschrift äußerte sich auch über öffentliche Meinung und ihre Beeinflussung
Zur Französischen Revolution und ihren Folgen
Zweifellos sind die Passagen über öffentliche Kommunikation in der Rigaer Denkschrift nicht ohne Hardenberg denkbar. Bereits während seiner Verwaltungstätigkeit in Ansbach-Bayreuth hatte dieser die Öffentlichkeit als Machtfaktor identifiziert. Die Publikation von Riga griff diese Erkenntnis auf. Allerdings darf deren Rolle in der Denkschrift auch nicht überschätzt werden: Schon rein quantitativ treten Aussagen zur öffentlichen Meinung – bemerkenswert ist der Gebrauch des Begriffes „Opinion“ – in der Rundumbetrachtung aller für Preußen existenziell wichtigen Politik- und Verwaltungsbereiche zurück.
Fundamental war die Einsicht, dass trotz der nationalen Unterjochung Preußens (bzw. Deutschlands) durch das napoleonische Frankreich viele der infolge der Französischen Revolution eingetretenen Wandlungen nicht rückgängig gemacht werden können und sollten.
Die Gewalt dieser Grundsätze ist so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, dass der Staat, der sie nicht annimmt, entweder seinem Untergange oder der erzwungenen Annahme derselben entgegensehen muss. Ja selbst die Raub- und Ehr- und Herrschsucht Napoleons und seiner begünstigten Gehilfen ist dieser Gewalt untergeordnet und wird es gegen ihren Willen bleiben.
(Hardenberg 1807)
„Demokratie“, „Vertrauen“, „Freiheit“
Das programmatische Dokument enthält mit Demokratie und Vertrauen zwei Schlüsselworte, die auch heutige PR-Definitionen prägen. Allerdings sind ihre jeweilige Relativierung bzw. der Kontext zu beachten:
Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung: dieses scheint mir die angemessene Form für den gegenwärtigen Zeitgeist. Die reine Demokratie müssen wir noch dem Jahre 2440 überlassen1, wenn sie anders je für den Menschen gemacht ist.
(Hardenberg 1807)
Ein zweites Zitat:
Preußen hat durch sein Betragen im Unglück und durch treue Beharrlichkeit einen großen Teil der verlorenen Achtung wieder erworben und sich rein gewaschen von den alten politischen Sünden. Man übe eine ehrliche, gerade, treue Politik ohne List und Trug, die entgegengesetzte Napoleons, aber mit großer Konsequenz. Nur dieses kann Vertrauen geben, und nur auf Vertrauen in Rechtlichkeit und Konsequenz kann Achtung gegründet werden, statt deren der Übermächtige Furcht gebietet. Nur Achtung kann dem Staat Ansehen und Sicherheit verschaffen, der durch Furcht nicht imponieren kann.
(Hardenberg 1807)
Im Kapitel „III. Grundverfassung des Inneren“ wurde für möglichst viel, aber dennoch begrenzte Freiheit plädiert:
Die Opinion unterstützt das rasche, kräftige Handeln, die Umstände machen es notwendig. Will man den Staat retten, ihn wieder aufblühen sehen, so säume man nicht, die einzigen Mittel dazu zu ergreifen. Ein Phönix erstehe aus der Asche. Der Herr Geh. Finanzrat von Altenstein hat diesen wichtigen Gegenstand vorzüglich schön abgehandelt; ich pflichte ihm aus voller Überzeugung bei und kann mich also desto kürzer fassen. Man schrecke ja nicht zurück vor dem, was er als Hauptgrundsatz fordert, möglichste Freiheit und Gleichheit.
(Hardenberg 1807)
Und:
Über die Presse- und Lehrfreiheit ist viel geschrieben und gestritten. Man erschöpft alles, dünkt mich, wenn man sagt: sie sei so weit ausgedehnt, als es die Umstände immer gestatten. Diese müssen bei den Verfügungen einer weisen Regierung allein über die seltenen Ausnahmen entscheiden. So kann es allerdings eine notwendige Maßregel sein, einen fremden Staat oder seinen mächtigen Herrscher zu schonen, um nicht große Übel über das Vaterland zu bringen. Schriften, die bloß zur groben Sinnlichkeit verführen, muss die Zensur allerdings verwerfen.
(Hardenberg 1807)
Verwaltung und Öffentlichkeit, Staat und Identität
Eine „zweckmäßige(n) Organisation der leitenden und verwaltenden Behörden“ („IX. Geschäftspflege“) habe u. a. dahin zu führen, dass „das öffentliche Zutrauen und die Opinion (…) mehr gewonnen (werden), und dadurch wird jedes Geschäft erleichtert“ (Hardenberg 1807, auch Ranke 1881, S. 432).
Ferner argumentierte Hardenberg, dass großzügiges und klares Auftreten Kredit gebe. Aus diesem Grund verwies er auch auf die Bedeutsamkeit von Symbolen und inszenierten Feierlichkeiten, die eine gemeinsame preußische Identität schaffen sollten:
Der ganze Staat heiße (zu)künftig Preußen. In diesem Namen fließe der eigentliche Preuße, der Pommer, der Brandenburger zusammen; der König nenne sich bloß König von Preußen und nehme das einfache Wappen davon an (…)
(Zit. nach: Ranke 1881, S. 382. Auch Hardenberg 1807. Vgl. auch Kunczik 1997, S. 76; Kunczik 2002, S. 104f.; Kunczik/Szyszka 2008, S. 111).
Öffentliche Meinung gewinnen und Auftreten im Ausland
In heutiger Sekundärliteratur wird darauf verwiesen, dass sich Hardenberg (wie auch schon zuvor Altenstein) u. a. der Meinungspflege zuwandte, die – in moderner Sprache – mittels „Lobbying“ (Kunczik/Szyszka 2008, S. 111) – in der Denkschrift als „Bestechungen“ bezeichnet – erreicht werden könne:
Die Opinion zu gewinnen, ist höchst wichtig, und doch vernachlässigt man dieses im In- und Ausland viel zu sehr. Ebenso wenig sollte man versäumen, durch gute Schriftsteller auf sie zu wirken (…). Bestechungen und Spione, im reinen moralischen Zustande verwerflich wie die Brieferbrechungen, sind ein notwendiges Übel und gehören zu den Waffen der Notwehr, da man sich ihrer allenthalben bedient (…)
(Hardenberg 1807, auch Ranke 1881, S. 373, und Kunczik 2002, S. 104).
Zu beachten bleibt aber, dass dieses letzte Zitat – also die Indienstnahme von Schriftstellern und der „Waffen der Notwehr“ – im Kapitel „II. Auswärtige Verhältnisse“ unter dem Abschnitt „24. Einfluss und Verbindungen im Auslande sind ein notwendiges Bedürfnis der Politik (…)“ zu finden ist.
Der chronologisch folgende Beitrag im PR-Museum beschäftigt sich mit dem Zeitabschnitt 1807-1813/14.