Die Reformer um Hardenberg und ihre Denkschriften I
Hardenberg als Außenminister und Reformer
Ab 1803 hatte Karl August von Hardenberg in Berlin den Posten des preußischen Außenministers inne. Auf Verlangen Napoleons musste er 1807 seinen Stuhl räumen.1 Der Korse duldete Hardenberg in Tilsit – dem Ort des Friedensschlusses – nicht, so dass der Ex-Außenminister nach Riga flüchten musste. Dabei nahm er den laufenden Auftrag seines Königs mit, „Leitsätze für eine Staatsreform auszuarbeiten“ (Haussherr 1965, S. 177).
Denkschriften als Speicher, Zirkulare und Argumentationsplattformen der Reform-Ideen
Hardenberg und Altenstein
Der Tilsiter Frieden hatte Preußen das Ausmaß der politisch herrschenden Situation verdeutlicht, einschließlich der Notwendigkeit, „sich mit (der) von außen herantretenden Macht auseinanderzusetzen, wollte es nicht gänzlich von dieser erdrückt werden“ (Seyffarth 1939, S. VI). Aus diesem Anlass formulierte Hardenberg 1807 die Rigaer Denkschrift Über die Reorganisation des preußischen Staates, die unübersehbare Gemeinsamkeiten mit der Denkschrift des Freiherrn von Altenstein aufweist.2
Nach Haussherr (1938, S. 270f.) hatte Altenstein, genauer gesagt: Karl vom Stein zum Altenstein (1770-1840) – ebenfalls preußischer Staatsmann – die Vorarbeit3 geleistet, die Hardenberg bis ins Detail übernommen habe. Der ehemalige Außenminister sei nur in den außenpolitischen Abschnitten selbständig gewesen. Nicht unwichtig ist die Feststellung, dass Hardenberg schon in Ansbach Vorgesetzter und später auch Förderer von Altenstein war. 1806 war Letzterer gemeinsam mit Hardenberg nach Tilsit und dann 1807 nach Riga gegangen, um am preußischen Reformwerk zu arbeiten.4
Kollektive Denkprozesse
Generell zeigt sich, dass die preußischen Reformideen mehrere „Väter“ haben: Auch Altenstein hatte in seiner Ausarbeitung auf frühere Texte anderer zurückgegriffen. Man kann die „Denkschriften“ geradezu als Medien von – modern gesprochen – Wissens- und Kommunikationsmanagement sowie Innovationskommunikation im preußischen Führungszirkel bezeichnen. Im folgenden Zitat kommt dieses kollektive und zugleich arbeitsteilige Vorgehen der Reformer5 deutlich zum Ausdruck:
Altenstein unterstützte in Tilsit und Riga Hardenberg
(…) bei der Ausarbeitung des von dem Könige geforderten Planes für die Neuordnung des preußischen Staates. Eine zu diesem Zwecke verfasste Denkschrift Altensteins wurde von Hardenberg als Grundlage seiner Ausführungen benutzt und mit denselben dem Könige übersandt. Für seine Vorschläge über die Umgestaltung der obersten Staatsbehörden hat A. die von Stein6 im April 1806 ausgearbeitete Denkschrift benutzt (…) Andere Ideen verdankt er, wie er selbst mitteilt, den Gesprächen mit Hardenberg, der Anregung (…). An einigen Stellen ist der Einfluss von (…) zu erkennen (…). Wohl aber gebührt ihm (Altenstein – T.L.) das Verdienst, dass er diese Gedanken zuerst im Zusammenhange erfasst und an der entscheidenden Stelle, d. h. bei Hardenberg und durch diesen beim Könige zur Geltung gebracht hat.
(Goldschmidt 1893, S. 645f.)
Heute weitgehend unbeachtet ist, dass Hardenberg vor Riga und noch vor dem Frieden von Tilsit ein erstes an den König gerichtetes Papier verfasste: die Memeler Denkschrift vom 3. März 1807. Der Chefreformer empfahl darin „Rücksicht auf die öffentliche Meinung“ und „zweckmäßige Publizistik“ (Hardenberg 1807a).
Anmerkungen
2 Vgl. Lambeck 1913, S. 15ff.; Kunczik 1997, S. 74ff.
3 Zu Altensteins Denkschrift an Hardenberg siehe bei Kunczik 1997, S. 74f.
4 1808 wurde Karl vom Stein zum Altenstein Nachfolger von Karl Freiherr vom Stein als Finanzminister. Ab 1817 diente er unter Staatskanzler Hardenberg als Chef des Kultusministeriums (Wikipedia 2014: Karl vom Stein zum Altenstein https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_vom_Stein_zum_Altenstein).
5 Einen plastischen Überblick aus heutiger Sicht über Kooperation und auch Rivalitäten zwischen den Reformern und ihren Verhältnissen zu König, weiteren Akteuren des Hofes und Napoleon gibt Fesser (2008).
6 Stein, genauer gesagt: Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757-1831), war neben Hardenberg der zweite prominente preußische Reformer. Ab 1804 war er Finanz- und Wirtschaftsminister. „Stein gehörte 1805 zur Kriegspartei um Königin Luise, die dafür stand, Napoleon entgegenzutreten.“ Noch im Jahr seiner Entlassung 1807 „verfasste er die Nassauer Denkschrift als Reformprogramm für den preußischen Staat, wobei dessen Verwaltung im Zentrum stand“. Bereits 1807 wurde er zum Staatsminister bestellt und ein Jahr später wieder entlassen. Nach einer Beratertätigkeit für den russischen Zaren war Stein einer der Organisatoren des Widerstandes in Ostpreußen gegen Napoleon und hatte noch einige Verwaltungstätigkeiten inne. (Wikipedia 2014: Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Friedrich_Karl_vom_und_zum_Stein)