Verhältnis von Messe und Medien mehr als Messe-PR
Messe als Medienförderung
Für die moderne Presse seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die strukturelle Kopplung von Journalismus und Werbung charakteristisch: Ein thematisch umfassender und aktueller Journalismus braucht die Anzeigeneinnahmen der Verlage als Finanzierungsgrundlage und dieser attraktive Journalismus schafft wiederum jene Leserkontakte, die die Presse für die gesamte Wirtschaft als Verbreitungskanal ihrer kommerziellen und sonstigen Botschaften unabdingbar macht. Die regelmäßigen Leipziger Messen stellten kontinuierliche „Spritzen“ für dieses Geschäftsmodell der modernen Massenmedien dar: Einerseits produzierten sie relativ verlässlich Neuigkeiten aus Warenwelt, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft, was sogar zum Typus des Messejournalisten bzw. zum „Messeschriftstellertum“ führte. Andererseits regten sie die Unternehmen fast zwangsweise im „Messetakt“ zur Erhöhung ihrer Werbeaktivitäten an.1
Die Rolle von Messen als Motoren für die Werbewirtschaft zeigte sich nicht nur in Leipzig, sondern auch in Frankfurt am Main – wobei Leipzig hier als Vorbild diente.2
Nicht unwichtig für die deutsche Kommunikations- und Mediengeschichte ist, dass 1924 das Leipziger Messeamt an der Wiege der MIRAG, des späteren Mitteldeutschen Rundfunks, stand. Am 1. März 1924 – zu Messebeginn – nachmittags um halb drei Uhr schallte es aus dem Äther: „Hallo – hallo, hier ist Leipzig, hier ist der Leipziger Messeamtssender der Reichs-Telegraphenverwaltung für Mitteldeutschland […]“. Das Messeamt war einer der Finanziers, das Studio befand sich in seinem Gebäude am Markt.3
Eine Interessenbündelung des Radiovereins Leipzig unter dem Zahnarzt Erwin Jäger mit Universität, Messe- und Verkehrsamt führte dazu, dass Leipzig der zweite Rundfunkstandort Deutschlands wurde. „Am 1. März 1924 um 14.25 Uhr war es dann so weit: ‚Es läuft, wir können anfangen‘, wurde kurz vor Beginn der Weihefeier in die Alte Waage telefoniert.“ (Pelzl 2014, S. 16)
Medien als Messeförderung
Aber auch das Funktionieren der Großveranstaltung Messe ist ohne Publizität und damit Publizistik undenkbar. Die Exposition im Kriegsjahr 1918 beispielsweise wäre ohne Presse und ihrer – mindestens teilweise auch selbstinitiierten, also journalistischen – Informations- und Überzeugungsarbeit für die Messe gescheitert.
Viele Anstöße zur Unterstützung der Messe und der Pressearbeit des Messeamtes gingen von den Redaktionen und Verlagen aus. Dem lagen nicht nur die Erkenntnis von der volkswirtschaftlichen, kulturellen sowie gesellschaftspolitischen Bedeutung der Messe und damit das Anerkennen der Messe als wichtiger journalistischer Berichterstattungsgegenstand zugrunde. Dazu führte auch die Einsicht, dass nicht wenige Journalisten von der Informationsfülle und -vielfalt auf der Megaveranstaltung Messe – einschließlich der von Ausstellern betriebenen einzelunternehmerischen bzw. branchenbezogenen Produktwerbung und PR – kapazitär, fachlich und vom Urteilsvermögen her überfordert waren.4
Heutige Problemzonen bereits damals bekannt
Die prinzipiell symbiotischen Beziehungen zwischen Messe(wirtschaft) und Medien(wirtschaft) waren allerdings im Konkreten nicht immer konfliktlos. Fachzeitschriftenverlage beispielsweise schauten mit Argwohn auf die zunehmenden „messeamtlichen Zeitschriften“, also auf die – wie man heute sagen würde – Corporate Media des Messeamtes, die zur eigenen Refinanzierung Anzeigenteile enthielten.5
Auch zeigte sich das Beziehungsgeflecht zwischen Messe- bzw. Aussteller-PR und (vor allem freiem) Journalismus – ähnlich wie heute – problembehaftet. Der ethisch zu verurteilende Typus des „PR-Journalisten“ trieb auch damals schon sein Unwesen, was niemanden mehr störte als das Messeamt selber, wie der „Fall Herr G. und Frau H. v. H.“ zeigt:
Herr Prof. Dr. Houben schildert das Vergehen gewisser Presseleute. die für den Abdruck eines Artikels den Ausstellern bedeutende Summen abfordern. Der Bund für Fachschrifttum habe in einer Sitzung in Braunschweig dieses Verhalten verurteilt, einen formulierten Beschluss darüber aber bis heute nicht veröffentlicht. In der Streitsache wegen des bekannten Tageblatt-Artikels scheine eine Einigung in Vorbereitung zu sein. Das Messeamt habe insofern ein Interesse an der Sache, als diese Personen das Pressezimmer des Messeamts benutzen und dieses sogar als Adresse angeben. Es steht zur Entscheidung, ob man den Besuch des Pressezimmers vermerken, Pressekarten verweigern könne u. a. m.
Der Vorsitzende tritt dafür ein, dass Personen wie Frau H[…] vom H[…], Herr G[…] usw. von der Messe ferngehalten werden und ersucht den Ausschuss, einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Herr Dr. Grautoir [oder Grantoff – T.G.] ist in der Sache beim Gericht als Sachverständiger tätig gewesen und hat dabei festgestellt, dass die Praxis der Fachpresse, bestimmte Veröffentlichungen überhaupt nicht zu honorieren, allerdings den zu Tage getretenen Missständen Vorschub leiste.(StA-L LMA [I], Geschäftsakten Nr. 1292, Aufnahme 8. Vgl. auch Tänzler 1999, S. 476)
Anmerkungen
1 Tänzler (1999, S. 471) berichtet beispielsweise von Zeitschriften, die nur wegen der Messe existierten, und von den anzeigenstarken Messesonderausgaben vieler Fach- und Branchenzeitschriften. Große Tageszeitungen des In- und Auslands brachten ebenfalls Extraausgaben heraus (S. 475).
4 Tänzler (1999, S. 471) verweist beispielsweise auf die Initiative der Ortsgruppe Leipzig des Landesverbandes der deutschen Presse, einen Sachverständigenausschuss für Messepresseangelegenheiten zu schaffen.