Messe in der Weimarer Republik
Probleme, aber trotzdem Wiederaufschwung
Der 1914 begonnene Erste Weltkrieg setzte das bislang erfolgreiche Modell der Leipziger Mustermesse unter Druck, weil die politischen und militärischen Auseinandersetzungen die Handelsströme behinderten, zum Teil sogar unterbrachen.1 Auch ließ der Krieg an der Messe und dem deutschen Messestandort einen Reputationsschaden entstehen. Deutschland agierte aus Sicht seiner Gegner in diesem Krieg aggressiv, weshalb sich das Image einer fried- und handelsliebenden Nation sowie völkerverbindenden Messe kaum aufrechterhalten ließ.
Trotz der schwierigen Situation nach dem Friedensschluss 1918 und den Wirren der Revolution gelang der Messe in den Jahren danach ein rasanter Wiederaufstieg. Die Messe wuchs an Ausstellern, Fläche, Umsatz der Händler und Bedeutung für die Stadt, Sachsen, Mitteldeutschland und die gesamte Weimarer Republik. Die Zahlen übertrafen die Vorkriegswerte schon nach wenigen Jahren.
Der Messe kamen technische Entwicklungen zupass. Als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung der Großindustrie und ihrer Maschinen, entschloss sich die Stadt nach Druck aus der Leipziger Wirtschaft, namentlich des Porzellanfabrikanten Philipp Rosenthal, südöstlich der Innenstadt ein neues Messegelände auszuweisen. Damit beschränkte sich die Messe nicht mehr auf die Innenstadt oder innenstadtnahe Quartiere. Die Technische Messe fand 1920 zum ersten Mal auf dem Gelände statt, das heute als Altes Messegelände bekannt ist.2
Messekommunikation und Forum sowie Bühne politischer bzw. gesellschaftsbezogener Kommunikation
Die Messen waren auch wichtige Orte sowie Gegenstände städtisch-kommunaler3 und staatlicher Selbstdarstellung bzw. Imagepolitik. Hier soll nur auf die Nutzung der Messe für staatlich-politische Zwecke eingegangen werden. Für die aufgrund des Versailler Vertrages international in die Defensive gelangte Weimarer Republik bot der Außenhandelsplatz Leipzig interessante Möglichkeiten, um Kontakte anzubahnen und die außenpolitische Isolation aufzuweichen.
Zugleich wirkte die wieder zunehmende internationale Akzeptanz der Messe motivierend nach innen, verbesserte Stimmung der heimischen Wirtschaft sowie Selbstachtung des Kriegsverlierers Deutschland und förderte seine Reintegration in die Völkergemeinschaft.4
Messekommunikation hieß ,,Propaganda“
Die seinerzeit gängige Bezeichnung der Kommunikationsaktivitäten der Messe mit dem Begriff Propaganda darf allerdings nicht zu dem Irrtum verleiten, solche staatlich-politischen Zwecke hätten in der Weimarer Republik die Öffentlichkeitsarbeit der Messe dominiert. Propaganda bezeichnete in den 1920er-Jahren – neutral bis positiv konnotiert – die systematische Darstellung von Vorzügen einer Sache oder Idee, war also auch im geschäftlichen Bereich üblich und ein Synonym für strategische, werblich-persuasive Kommunikation auch wirtschaftlicher Aktivitäten – beispielsweise von Messen – bzw. Organisationen, also vor allem Unternehmen.
Messamtschef Köhler (1917/18, S. 9) sah in Propaganda eine zentrale Aufgabe seiner Einrichtung. Zugleich wies er der Propaganda der Messe ethisch und qualitativ eine höhere Stufe zu als Kommunikationsaktivitäten von kommerziellen Einzelunternehmen. Dies unterstrich er dadurch, indem er für Letztere – jedenfalls in der konkreten Quelle – den Begriff geschäftliche Reklame verwandte. Dies ist ein Indiz dafür, dass er Propaganda eher als Synonym für das, was wir heute Öffentlichkeitsarbeit nennen, gebrauchte, denn als Synonym für Werbung.
Die negative Konnotation, die dem Propaganda-Begriff heute anhaftet, ist vor allem eine Folge der exzessiven und exklusiv-monopolisierten Indienstnahme meinungsbeeinflussender Kommunikation – also der vormaligen,allgemein-pluralistisch gebrauchten Propaganda – durch die NS-Diktatur.5
Anmerkungen
2 U. a. Geyer 1999, S. 460. Die Leipziger Messe fand zwei Mal im Jahr statt. Die Frühjahrsmesse begann am Sonntag vor dem ersten Montag im März, die Herbstmesse am letzten Sonntag im August. Die Mustermesse dauerte eine Woche. Die Technische Messe und die Baumesse öffneten und schlossen im Herbst mit der Mustermesse, allerdings war die Große Technische Baumesse im Frühjahr länger als eine Woche geöffnet. Die Textilmesse sowie die Schuh- und Ledermesse fanden im Zuge der Mustermesse statt, dauerten allerdings nur vier oder fünf Tage. (T.G.)
3 Vgl. Liebert 1999, u. a. S. 690.
4 Die Messe wurde zu einer Angelegenheit ,,von nationaler Bedeutung“ (Rodekamp [Hrsg.] 1997, S. 354). Gesandte und Konsuln gaben sich die Klinke in die Hand, im Rathaus fanden so genannte ,,Ausländertage“ statt. Reichspräsident Paul von Hindenburg besuchte beispielsweise die Frühjahrsmesse 1926. (Rodekamp [Hrsg.] 1997, S. 339ff.) Auch Geyer (1999, S. 460) berichtet von Besuchen der Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg als ‚politischer Demonstration‘. Vgl. auch Tänzler 1999, S. 479f. Und Beitrag von Kowal im gleichen Band zu deutsch-polnischen Beziehungen. Im Geiste des Rapallo-Vertrages von 1922 wurde auch die Beziehungen zur kommunistischen Sowjetunion pragmatisch gestaltet: ,,Rettungsanker vieler Firmen (in der Weltwirtschaftskrise) waren (Messe-) Aufträge aus Sowjetrussland, das während seiner Industrialisierungskampagne Ende der zwanziger Jahre im großen Stil Maschinen in Leipzig bestellte. Anlaufpunkt für diese Ost-West-Geschäfte war eine 1926 gebaute sowjetische Halle.“ (Leipziger Messe GmbH, S. 20) (T.L.)
5 Vgl. u. a. Marhenke 1999, S. 485, 493; Peter 1999, S. 704ff.