Messe im Nationalsozialismus (vor Beginn des Zweiten Weltkrieges)
„Reichsmesse“ Leipzig
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 verlor die Messe ihre organisatorische Eigenständigkeit und unterstand fortan dem Berliner Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das Joseph Goebbels leitete.1 Die nun so bezeichnete Reichsmesse2 war, so lautete die offen kommunizierte Botschaft, nicht nur ein Ort des Handels und des Austausches, sondern sie sollte eine Demonstration der Stärke Deutschlands unter dem Hakenkreuz sein. Leipzig war Deutschlands einziger Standort einer Mustermesse.
Die Quellen zeigen zwei Tendenzen: Einerseits wurde die Messe staatlich und politisch-ideologisch vereinnahmt, andererseits behielt sie ihre primär wirtschaftliche Funktion und einen nicht-totalitären Charakter. Im Folgenden werden beide Interpretationen beleuchtet.
Vereinnahmung der Messe durch das NS-Regime
Die politischen Ziele der neuen Machthaber zeigten sich in inhumaner Weise in der Ablösung jüdischer Geschäftsleute aus den Leitungsgremien der Wirtschaft. Dieser folgte die erzwungene Emigration oder Inhaftierung bzw. Ermordung. Leipzig war eine Stadt mit einem großen jüdischen Bevölkerungsanteil. Der Widerspruch aus der Bürgerstadt Leipzig angesichts der beginnenden Judenverfolgung blieb leise. Die „Arisierung“ im Leipziger Messewesen verlief bis 1938 wohl – jedenfalls was Prominente betraf – formal weniger drastisch als anderswo und es gab durchaus Menschen oder Situationen, die an die Verdienste der jüdischen Unternehmerpersönlichkeiten für Leipzig und die Messe erinnerten, wie aus Geyer (1999, S. 464-469) zu schließen ist. Beispiele für Förderer der Messe mit solchen Schicksalen sind der Porzellanfabrikant Philipp Rosenthal oder der Bankier Hans Kroch.3
Neben den rassistisch motivierten Angriffen auf die jüdische Bevölkerung nahm das NS-Regime die Messestadt aber auch für nationalsozialistische Großveranstaltungen in Anspruch. Die Braune Großmesse öffnete schon im Herbst 1933, wenige Monate nach der Machtübernahme. „Um einem Fehlschluss vorzubeugen, soll (…) betont werden, dass es sich dabei nicht um wirkliche Messen handelte. Es waren nationalsozialistische Propaganda- und Verkaufsveranstaltungen, die sich direkt an die Verbraucher wandten.“ (Baß 1999, S. 553) Sie war eine Schau des Mittelstands und operierte unter Bedingungen der Arisierung, da nur Unternehmer teilnehmen konnten, die keine jüdischen Wurzeln hatten. „Denkt deutsch – handelt deutsch – kauft deutsch“ war das nationalsozialistische Motto. Sie blieb zwar die einzige Braune Großmesse in Leipzig, allerdings veranstalteten die NS-Arbeiterorganisation Deutsche Arbeitsfront und die Jugendorganisation Hitlerjugend mindestens jährlich Treffen auf dem Messegelände. Außerdem diente die Messe als Ausflugsziel für Teilnehmer am „Kraft durch Freude-Programm“. Auch hier wurden messefremde Ziele mit der Funktionsweise der Messe verzahnt.4
Das Messeamt wurde dafür kritisiert: In Briefen und anderen Äußerungen beklagten sich Aussteller besonders aus dem Ausland über die Politik der Nationalsozialisten. Dem Messeamt war klar, dass eine „Weltmesse“ Leipzig nur mit Ausländern funktioniert und ihre Internationalität behalten musste. Das war nach Ansicht Baß‘ ein Grund dafür, weshalb die Braune Großmesse nur einmal in Leipzig stattfand. Allerdings hatte sich das Messeamt offenbar auch aus wirtschaftlichen Gründen auf diese Veranstaltungen eingelassen: Insbesondere die Braune Großmesse verhalf zu zusätzlichen Einnahmen – die wichtig waren, zumal die Messe seit 1931 zunächst Verluste schrieb. 1934 erreichte sie aber wieder die Gewinnzone, und auch die Weltwirtschaft hatte sich nach der großen Krise wieder stabilisiert.5
Gegentendenzen: Die Messe erhält einen Teil ihrer Eigenständigkeit
Diktator Hitler selbst war nur einmal kurz auf der Messe.6 Die Eröffnung überließ er seinem Minister Goebbels. „Nun kann allein auf die An- oder Abwesenheit von Hitler und Goebbels in Bezug auf die Messe kein umfassendes Urteil über den Grad der politischen Instrumentalisierung gestützt werden. Die wenigen hier möglichen Ausführungen können aber doch zeigen, dass die bis heute gängige Einschätzung, die Messen seien in den Jahren 1933 bis 1945 verkümmert und hätten ‚allenfalls […] noch der politischen Propaganda‘ gedient, in ihrem generalisierenden Anspruch keinen Bestand haben kann.“ Für Leipzig habe dies jedenfalls nicht gegolten, schreibt Geyer (1999, S. 463).
Es ist zu vermuten, dass die Messe auch deshalb nicht übermäßig politisiert wurde, weil sich das Regime der Wirtschaft gegenüber kooperativ zeigen musste. Einen Hinweis darauf gibt ein Schreiben aus dem Goebbels-Ministerium – sogar schon unter Kriegsbedingungen -, das eine Reaktion auf Bedenken der Industrie darstellte, dass politische Einflussnahme schaden könne:
es sei vollständig ausgeschlossen, dass die Regierung etwa beabsichtige, in bürokratischer Weise in die Belange der deutschen Wirtschaft einzugreifen. […] Das Reichsmesseamt in Leipzig sei ein Organ der Wirtschaft. […] Die Wirtschaft habe das Vorrecht. […] Die Regierung führe die Aufsicht, die wirtschaftlichen Dinge bleiben dem Beirat überlassen.
(Zit. nach Geyer 1999, S. 470)
Das Nazi-Regime wie auch andere autoritäre oder diktatorische Systeme mit festen ideologischen und zentral- bzw. planwirtschaftlichen Vorstellungen für ihr eigenes Herrschaftsgebiet hatten und haben offensichtlich so viel pragmatische Einsicht, dass die Notwendigkeit des Verkehrs mit dem (ggf. noch) nicht beherrschten und nach anderen Regeln funktionierenden „Außen“ zu Kompromissen nötigt. So lassen sie geografische (in Form von der nationalen Gesetzgebung nicht unterzogenen Sonderwirtschaftszonen bzw. special administrative regions – heute ein beliebtes Modell) oder temporär-punktuelle (z. B. in Form von zeitweisen internationalen Messen mit freiheitlichem und auch kommunikativem Ausnahmezustand) „Inseln“ zu oder fördern sie gar.
Die zunächst naheliegende Vermutung, der grenzüberschreitende Handel habe unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten stark gelitten, trifft nicht zu. Sie wird durch die Besucher- und Ausstellerzahlen nicht gedeckt. Diese sind bis Kriegsbeginn nur leicht zurückgegangen – allerdings sank die Zahl der Besucher aus dem Ausland.
Es bleibt im Dunkeln, inwieweit sich die Leipziger Messe ab 1933 im Verhalten ihrer Funktionäre und deren Entscheidungen einer Selbstzensur und vorauseilendem Gehorsam unterwarf. Die Messe und die dahinter stehenden Kräfte aus Wirtschaft und Region dürften sich alles in allem passiv gegenüber der Politik der Nationalsozialisten verhalten haben – wohl auch, weil sie von ihr profitierten oder zu profitieren glaubten. Möglicherweise waren Kommunikationsprofis der Messe auch von der hohen Rolle der Propaganda im NS-Staat und von den Wirkungsmöglichkeiten in einem gleichgeschalteten Mediensystem fasziniert.
Anmerkungen
1 Vgl. StA-L LMA (I), Geschäftsakten Nr. 15. Vgl. auch Rodekamp (Hrsg.) 1997, S. 354f. Die Quellen lassen keinen gesicherten Schluss zu, ob und inwiefern das Messeamt reale Kompetenzen an das Propagandaministerium abgeben musste. Einige Dokumente des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig zeigen allerdings, dass nach 1933 mehr Veröffentlichungen des Messeamtes aus Berlin stammten. Hypothetisch kann angenommen werden, dass das Berliner Ministerium die Dokumente vor der Veröffentlichung noch einmal redigierte oder zensierte. (T.G.)
2 Mit diesem formalen Status als Reichsmesse, den Leipzig offiziell vorher in seiner langen Geschichte – trotz aller herrschaftlichen und sogar königlich-kaiserlichen Messe-Privilegien – nie hatte, sollte die Messestadt wohl auch etwas geködert werden. Vgl. zu dieser Statusdiskussion u. a. Geyer 1999, S. 453. Eine Umwidmung des Leipziger Messeamtes in Reichsmesseamt durch Minister Goebbels erfolgte erst im Herbst 1940 (Geyer 1999, S. 469). (T.L.)
3 Zu ihren Bibliografien siehe unter: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00016410/images/index.html?id=00016410&fip=193.174.98.30&no=&seite=95 und http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kroch
4 Vgl. Baß 1999, S. 556f., und Leipziger Messeamt (LMA) (Hrsg.): Aus der Arbeit des Leipziger Messeamts. Nr. 2, Februar 1936. S. 6. Hier heißt es allerdings auch, dass die Leipziger Messe nicht mit Besuchern überfrachtet werden sollte: „Die außerordentliche Zusammenballung des Verkehrs während der wenigen Messetage macht es aber erforderlich, dass für den breiten Massenverkehr bestimmte Tage festgelegt werden.“ Vgl. zur Nutzung durch andere NS-Massenorganisationen: Ehrenhalle der Deutschen Arbeit. In: Leipziger Messeamt (LMA) (Hrsg.): Aus der Arbeit des Leipziger Messeamts. Nr. 2, Dezember 1937. S. 4.
6 Tatsächlich blieb er nur zu einem kurzen Rundgang über die Technische Messe. Am selben Tag eröffnete er zugleich das neu errichtete Denkmal Richard Wagners.