Leipziger Messeamt als neue Organisations- und Kommunikationszentrale

Wirtschaft nahm Zügel in die Hand

Abb.: Werbung auf der Leipziger Messe März 1923: Reklameauto eines Spielzeugherstellers. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-00001, CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Die Leipziger Messe war traditionell eine Angelegenheit der Stadt, ihrer Bürger und der Wirtschaft. Diese Führungsstruktur, ausgeübt über den Rat der Stadt (dort gab es u. a. eine Messe- und Marktinspektion bzw. Abteilung für Messe- und Handelssachen) und die Leipziger Handelskammer (mit dem Messeausschuss) blieb bis 1916 erhalten.1 Doch während des Ersten Weltkriegs geriet die Messe zunehmend in Schwierigkeiten: Die Aussteller- und Besucherzahlen sanken, das Vertrauen aus dem Ausland schwand, und sowohl im Inland (Frankfurt am Main, Berlin) als auch im Ausland (Lyon, Mailand, London) positionierten sich Konkurrenzmesseplätze.

Die Leipziger und mitteldeutsche Wirtschaft sowie Verbände von Branchen, die in Leipzig ausstellten, sahen sich gezwungen zu handeln. Zunächst gründeten sie Anfang 1915 in der Reichshauptstadt Berlin, am Sitz der großen Wirtschaftsverbände, die Zentralstelle für Interessenten der Leipziger Muster(lager)messen. Im Interesse der Zukunft der Leipziger Messe übte diese Zentralstelle Druck auf die lokalen Leipziger Behörden und Gremien aus. Als Ergebnis wurde im Sommer 1916 das Messeamt2 für die Mustermessen in Leipzig (LMA) geschaffen.3 Formal war zwar weiterhin der Leipziger Oberbürgermeister Vorsitzender, doch gaben in den operativen Funktionen deutlich die Wirtschaftsvertreter den Ton an. Das Messeamt „lag fest in der Hand der Zentralstelle und der hinter ihr stehenden Wirtschaftsverbände“. (Geyer 1999, S. 453)

Modernes Organisations- und Kommunikationsverständnis

Physische Repräsentanz und Optik der Außendarstellung von Messeverwaltung bzw. Messe wurden schrittweise verändert: Das Messeamt bekam 1917 seinen Sitz im Gebäude der Alten Waage am Markt.4 Ebenfalls 1917 führte die Messe das Signet mit dem Doppel-M ein. Das von Erich Gruner gezeichnete Symbol ist seither Logo für die Leipziger Messe.

Leipzig verfügt damit über Deutschlands berühmtestes Messelogo:

‘Kein anderer deutscher Messeplatz kann seine Identität, Geschichte und Gegenwart so eindringlich an seinem eigenen Logo festmachen wie die Leipziger Messe‘ meint noch heute Messechef Wolfgang Marzin. ‚Es ist immer wieder erstaunlich, wo überall unser Logo bekannt ist. Besonders in Mittel- und Osteuropa ist es bei Verhandlungen ein regelrechter Türöffner.‘ Begonnen hat alles am Anfang des letzten Jahrhunderts. Durch den Ersten Weltkrieg isoliert und harter internationaler Konkurrenz ausgesetzt, suchte das neu gegründete ‚Meßamt für die Mustermessen‘ im Jahr 1917 ein neues, einprägsames Logo. Beauftragt wurde der Leipziger Maler und Grafiker Erich Gruner. Im August des Jahres stellte der Künstler das unverwechselbare Markenzeichen vor. Kurze Zeit später feierte es auf der Herbstmesse bereits Premiere. Dass der Freiraum zwischen den beiden Buchstaben eigentlich als drittes ‚M‘ gedacht war und das Logo insgesamt für ‚Meßamt für die Mustermessen in Leipzig‘ stand, geriet schnell in Vergessenheit. Übrig blieb das Doppel-M als Kürzel für ‚Mustermesse‘. (…)
Obwohl das Doppel-M stets für den Erfolg der Leipziger Messe stand, zeigte es sich facettenreich. Über 50 Varianten des Logos sind im Laufe der Zeit entstanden. Mal verschnörkelt am Rokoko-Stil angelehnt, mal verziert mit wehenden Bändern oder dem Leipzig-Schriftzug. Erst in den 60er-Jahren legte man sich auf die bis heute gültige schlichte Version fest: Das frei stehende, hohe und schmale Doppel-M – kaum zu unterscheiden von Gruners Erstentwurf. Als eingetragenes Markenzeichen ist es in rund 60 Ländern geschützt. Für die Leipziger ist das Doppel-M inzwischen zum heimlichen Stadtwappen geworden.

(Transfair 2007, S. 8)

Vor allem aber fungierte das Messeamt (LMA) als Mittler – damit auch als Kommunikationsdrehscheibe – zwischen Messe, Wirtschaft, Politik und Medien. Der Vorsitzende des Messeamts, Dr. Raimund Köhler, ist nur ein Beispiel einer Personalunion von Messamtsoffiziellen und wirtschaftlichen wie politischen Entscheidungsträgern. Köhler war vor seiner Leipziger Funktion industrieller Verbandsfunktionär und saß später auch im Stadtrat Leipzigs.5 Etliche andere Unternehmer und Wirtschaftsvertreter waren zugleich an der Messe und Entscheidungen über die Messe direkt oder indirekt beteiligt.

Wie bei einer – heute würde man sagen – private public partnership zu erwarten, gab es zu ihrer Finanzierung durchaus unterschiedliche Ansichten. Ständig warben Emissäre der Leipziger Messe in der Stadt Leipzig, der Landeshauptstadt Dresden und in der Reichshauptstadt Berlin um finanzielle Zuschüsse der öffentlichen Hand – zugleich eine wichtige Kommunikationsaufgabe.6

Das LMA war eine seinerzeit moderne Service-Einrichtung, die über verschiedene Abteilungen verfügte: Verwaltung, Kaufmännische Abteilung, Reise und Verkehr sowie die Literarische Abteilung, in der auch die Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt war.7 Hier arbeiteten Schriftsteller, Zeichner und später auch Fotografen. Die Mitarbeiterzahlen des LMA insgesamt wuchsen von anfangs 12 über 72 im März 1918 auf etwa 125 zum Kriegsende – zuzüglich „zu jeder Messe über 100 vorübergehend beschäftigte Hilfskräfte“.8

Etliche Industriebranchen konnten durch das LMA an Leipzig gebunden werden. Die Teilnahmezusage einer Branche bedeutete zugleich das Messe-Monopol in diesem Segment: Die dort tätigen Unternehmen stellten auf anderen Messen dann nicht mehr aus. Für Journalisten bedeutete dies: Wer die Neuheiten sehen wollte, musste nach Leipzig kommen.

Autor(en): T.G.T.L.

Anmerkungen

1 Auch für folgende Abschnitte: Köhler 1917/18 und Wendtland 1917/18 sowie Stadt Leipzig (Hrsg.): Verwaltungsbericht 1914-18.

2 Die zeitgenössische Schreibweise war Meßamt oder Messamt.

3 Aus der Satzung des Vereins für das Messeamt:

„§1. Gründer und Zweck des Messeamts. Zur Pflege und Förderung der alljährlich zweimal in Leipzig stattfindenden Messen für Musterlager treten der Rat der Stadt Leipzig, die Handelskammer Leipzig und die Zentralstelle für Interessenten der Leipziger Mustermessen (e.V.) in Berlin zu einem Verein zusammen, der den Namen ‚Messeamt für die Mustermessen in Leipzig‘ führt, seinen Sitz in Leipzig hat und die Rechtsfähigkeit erwerben soll.

§2. Besondere Aufgaben des Messeamts. Das Messeamt hat insbesondere den Zweck,

a) den Behörden in allen die Mustermessen betreffenden Maßnahmen als fachverständiges Organ zu dienen,

b) die Einrichtung der Mustermessen in jeder Weise, namentlich durch eine zielbewusste Werbetätigkeit, zu fördern und sie im Interesse des deutschen Wirtschaftslebens weiter auszubauen,

c) den Besuch der Mustermessen und den Verkehr auf ihnen zu erleichtern, […]“ (StA-L LMA (I), Geschäftsakten Nr. 1, Aufnahme 12-14). Vgl. auch Stadt Leipzig (Hrsg.): Verwaltungsbericht 1914-18, S. 26f.

4 Das Gebäude steht auch heute noch am Markt – ist allerdings eine Rekonstruktion, nachdem das beim Bombenangriff am 4. Dezember 1943 schwer beschädigte Haus 1944 gesprengt worden war. (Lehmstedt 2003, S. 46f.)

5 Zu Köhler: Geyer 199, S. 453, 460, 465 und 469. Im selben Band auch S. 585ff. und 600.

6 Vgl. u. a. Geyer 1999, S. 459f. Die Auseinandersetzungen um Zuschüsse belegen zahlreiche Akten. In einem Schreiben vom 22. September 1924 an den Rat der Stadt Leipzig mit unklarem Verfasser, allerdings aus dem Bestand der Akten des LMA, heißt es: „Die anwesenden Vertreter der deutschen Industrie wiesen wiederholt und energisch: darauf hin, dass die Lasten, die die Industrie für die Leipziger Messe zu tragen habe, herabgemindert werden müssten. Dafür müsste Reich und Land, aber vor allem die Stadt Leipzig zu stärkeren Beiträgen für die Leipziger Messe herangezogen werden, weil diese tatsächlich aus der Messe den größten Nutzen zieht. Es ist denn auch in dieser Sitzung die Ermäßigung des Werbebeitrages [eine Art Grundgebühr für die Beschickung der Messe] beschlossen worden.“ (StA-L LMA [I], Geschäftsakten 78, Aufnahme 75)

7 Stadt Leipzig (Hrsg.): Verwaltungsbericht 1914-18, S. 29f.

8 Stadt Leipzig (Hrsg.): Verwaltungsbericht 1914-18, S. 30f.