Wachsende Marktdynamik im 18. und 19. Jahrhundert
Veränderungen im System der Städte und Einflüsse der Märkte
Zunehmend galt es, sich auf die Eigendynamik der Märkte einzustellen. Im 17. und 18. Jahrhundert verschob sich die Wettbewerbssituation zwischen den großen deutschen Zentren zu Gunsten von Leipzig:
Je mehr Frankfurt (als Messeplatz – T.L.) an Internationalität verlor, um so mehr entwickelte sich Leipzig zum Zentrum des europäischen Ost-West-Handels. Auch der Aufstieg Hamburgs zur wichtigsten deutschen Hafenstadt, die stark am Kolonialwarenhandel beteiligt war, wirkte sich auf Leipzig aus. (…) Ende des 17. Jahrhunderts hatte Leipzig in allen Handelszweigen eine Vorrangstellung vor der ehemals wichtigsten deutschen Messestadt Frankfurt am Main. (…) Im 18. Jahrhundert hatte die Leipziger Messe eine solche Universalität des Warenangebotes erreicht, dass sie die Kaufleute aus ganz Europa herbeilockte (…)
(Rodekamp 1997, S. 249)
Die Verschiebung von Frankfurt nach Leipzig hatte nicht nur etwas mit der zunehmenden Bedeutung ostdeutscher Handels- und Nachfragegebiete zu tun, sondern auch mit der weiter wachsenden Produktionskraft sächsisch-thüringischer (mitteldeutscher) Areale um Leipzig/Halle/Chemnitz/Erfurt.1 Nicht von ungefähr fand 1850 eine sächsische Industrie-Ausstellung in Leipzig statt.2 „Noch um 1900 stammen etwa 75 Prozent aller Aussteller der Mustermesse“ aus dem „sächsisch-thüringisch-oberfränkisch-nordböhmischen Raum“ (Möller 1989, S. 111). Zunehmende Verankerung im erstarkenden mitteldeutschen Wirtschaftsgebiet und Weltgeltung schlossen sich jedoch nicht aus, im Gegenteil: Auf der Ostermesse 1824 traten die ersten Besucher aus Brasilien, Argentinien, Nordamerika und Indien auf.3
Binnenmarkt und Verkehr
Mit Zollverein und deutschem Binnenmarkt ergaben sich sowohl Chancen als auch Gefahren für die Leipziger Messe: Zwar verzeichnete sie eine durchaus dynamische Entwicklung, „die Zuwachsraten blieben jedoch hinter dem Wachstum der industriellen Führungssektoren (Roheisenproduktion oder Baumwollspinnerei) zurück. Ein immer geringerer Teil des Absatzes einer wachsenden Produktion konnte damit auf den traditionellen Warenmessen realisiert werden.“ Hinzu kam, dass die Leipziger Messe „in ihrer traditionellen Rolle als Verteiler westeuropäischer Gewerbeprodukte für Mittel- und Osteuropa nach 1834 einen starken Bedeutungsrückgang hinnehmen musste.“ (Ludwig 1999, S. 353)
Die Eisenbahn hatte ebenfalls ambivalente Auswirkungen auf die Messe. Auf jeden Fall erhöhte sie aber die Besucherzahlen beträchtlich: „War der sprunghafte Anstieg der ‚Messfieranten’ (das sind die Besucher – T.L.) zur Ostermesse 1840 nach der Fertigstellung der Leipzig-Dresdner Eisenbahn noch mit hohem zeitlichen und wohl auch personellen Einsatz zu bewältigen, so machte die Fertigstellung der Leipzig-Magdeburger Eisenbahn die Kontrolle der Anzahl der Messebesucher seit der Michaelismesse in der alten Weise unmöglich, so dass die entsprechenden Angaben in den Messeberichten fortan fehlen.“ (Ludwig 1999, S. 352; Schreibweisen teilweise modernisiert)
Die letzten Jahrzehnte der Dominanz der Warenmesse
Zur Jahrhundertmitte (1854) betrug die Rangfolge der deutschen Messen nach ihrer Warenmenge:
Die größte Messe war mit 153.000 Ztr. die Leipziger Michaelismesse vor der Ostermesse mit 144.000 Ztr. Ihr folgte die Margarethenmesse in Frankfurt/Oder vor der Reminiscere- und der Martinimesse beide ebenda. Auf Platz sechs käme die Neujahrsmesse Leipzig mit 59.000 Ztr. gefolgt von der größeren der beiden Frankfurter (Main) Messen, der Herbstmesse mit 42.000 Ztr. Hiernach käme die Frühjahrsmesse Frankfurt/M. und schließlich die beiden Braunschweiger Messen, voran die Laurentiusmesse mit 29.000 Ztr. gefolgt von der Lichtmesse.
(Pohl 1989, S. 417)4
In den 1860er-Jahren überschritt die Warenmesse ihren Zenit „in Bezug auf die Umsätze“.
(…) die Zahl der Musterlager nahm spürbar zu, schon 1870 waren mehr als hundert Firmen auf diese neue Art vertreten, 1885 waren es 348. Die nunmehr offenkundig gewordene Krise der Warenmesse führte zum Erliegen der Messen von Braunschweig, Frankfurt/Main und Frankfurt/Oder. Auch Leipzig bekam diese Entwicklung zu spüren (…)
(Blaschke 1991, S. 267)
Hoffnungsvoll stimmten die Geschäfte mit den USA, in denen sich „ein neuer Trend hin zur Leistungsschau und letztlich zur Mustermesse“ zeigte. Für die US-Amerikaner war typisch,
dass sie auf den Messen nicht unbedingt als Käufer auftraten, sondern ‚mehr in der Absicht, einen Überblick der Leistungen der inländischen Industrie im Allgemeinen zu erlangen‘ und dass sie die gewünschten Waren bei den Fabrikanten auf der Messe bestellten oder auf anschließenden Reisen in den Fabrikorten kauften. Die Messe wurde von ihnen somit als Leistungsschau benutzt, die einen raschen Überblick über die (zoll-) vereinsländische Produktion bot.
(Ludwig 1999, S. 355)
Leipzig vollbrachte als einziger Standort 1894/1895 den Wandel von der Waren- zur Mustermesse. Die Entwicklung der Mustermesse wird im PR-Museum an anderer Stelle behandelt.