Medien und Messe

Umschlagplatz und Verlagsort für Informationen und Bücher

Abb.: Marktplatz Leipzig zur Messezeit, Kupferstich um 1800. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Wo Menschen sich trafen und Waren ausgetauscht wurden, darunter auch Bücher, war ein idealer Umschlagplatz für Wissen und Neuigkeiten aus allen Richtungen. Auf engem Raum in der Leipziger Innenstadt konzentrierte sich das Messegeschehen und verdichtete sich Kommunikation.

Dies zog die Aufmerksamkeit verschiedenster Akteure, von Macht und Geist, auf sich. So setzten die sächsischen Kurfürsten die Leipziger Bücherkommission (1559) ein, „die die Aufgabe hatte, ‚das gesamte Buch- und Druckgewerbe besonders während der Messezeiten zu überwachen'“ (Rodekamp 1997, S. 212)

Buchdruck wurde zum Geschäft

Zugleich ergaben sich erweiterte und neue Geschäftschancen. Die Buchdrucker gründeten 1595 ihre eigene Innung. 1594 gab Henning Große d. Ä. den ersten Leipziger Messekatalog (Meßkatalog) für Buchhändler heraus, eine Art Bibliographie.1 Leipzig sollte sich bald zum Zentrum des deutschen Verlags- und Druckereiwesens entwickeln. In der Industrialisierungsperiode, die auch die Medienproduktion revolutionierte, erwies sich die Innenstadt als Medienstandort zu klein. Innerhalb der Ostvorstadt bildete sich auf einem relativ kleinen Gebiet von 1,2 Quadratkilometern das sogenannte Graphische Viertel heraus. Brockhaus, Hofmeister und Reclam prägten dieses Viertel.

Verlagsstadt und Buchhandelsplatz befruchteten sich gegenseitig. „Die Einführung des ‚Netto-Handels‘ und später des Kommissionsgeschäftes, ein vorzügliches Organisationsgefüge, die Gründung einer ersten Berufs- und Interessenvertretung deutschen Verleger und Buchhändler, später die Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler ließen Leipzig im 19. Jahrhundert zum führenden deutschen Buchhandelsplatz aufsteigen, der zeitweise europäische Dimensionen erlangte und eine der Voraussetzungen für den Übergang von der Waren- zur Mustermesse bildete.“ (Rodekamp 1997, S. 252)

Leipzig und die Entstehung der periodischen Presse: erste Tageszeitung der Welt

Leipzigs Eigenschaften als bedeutende Stadt mit viel Handel und einer guten Lage haben die Entwicklung periodischer Medien begünstigt, auch wenn die Zusammenhänge zwischen Messe und Medien hier weniger direkt sind als oft angenommen wird.

Abb.: Faksimile von zwei Zeitungsvorläufern. Quelle: Schlimper 1999, S. 180f.

Die erste überlieferte Leipziger Messerelation, eine Vorstufe der periodischen Presse, stammt von 1605 (damit allerdings erheblich später als die von Frankfurt/Main oder Köln): „die erste nachweisbare Meßrelation, die zur Ostermesse bei Abraham Lamberg gedruckte ‚Historische Relation, und Gruendliche Wahrhaffte Beschreibung aller gedenckwürdigen Sachen [ … ]’“ (Schlimper 1999, S. 169).

Mitten im Stadtzentrum, in der Ritterstraße, konnte Timotheus Ritzsch 1650 die erste Tageszeitung der Welt drucken.

Der Ursprung der Zeitung an sich lag allerdings nicht hier und nicht ursächlich in (Leipzigs) ökonomischer Messe-Funktion. „Only bad news are good news“: Was dieser amerikanische Journalisten-Spruch aussagt, drückt wissenschaftlicher der Nachrichtenfaktor „Negativität“ oder abstrakt-systemtheoretisch Luhmanns „Irritationsfunktion“ der journalistischen Massenmedien aus. Insofern verwundert es in der historischen Rückschau nicht, wenn insbesondere unklare Situationen, Krisen und Kriege Treiber für die Entstehung der periodischen Presse waren. Und es kann dann auch nicht überraschen, wenn vom zunächst friedlichen und von den unmittelbaren Krisenzentren (Entwicklung hin zum Dreißigjährigen Krieg) abgelegenen Leipzig nicht die Initialzündungen ausgingen. Allerdings vermag auch der Markt Unsicherheit und also Nachrichtenhunger auszulösen. Und die Messe-Funktion wirkte wohl begünstigend: Leipzig konnte auch „in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges seine Postverbindungen aufrecht erhalten“ (Schlimper 2010, S. 7. Vgl. dazu auch Schlimper 1999, S. 175-177).

Kriegsereignisse erhöhten Nachrichtenbedarf

Ein Schlüsselereignis jener Zeit war die grausam-spektakuläre Zerstörung Magdeburgs 1631 – nicht allzu weit von Leipzig entfernt. Die „leistungsfähigen Leipziger Drucker wie Gregor Ritzsch“ bzw. die Leipziger „Newen Zeytungen“ nutzten dieses Ereignis, schufen mediale Aufmerksamkeit, inspirierten auswärtige Publikationen. „Nicht zuletzt zwang der öffentliche Druck auch den sächsischen Kurfürsten, (…) an der Seite des Schwedenkönigs in den Krieg mit dem katholisch geführten Lager einzutreten.“ (Schlimper 2010, S. 6)

Mit der Einbeziehung des Kurfürstentums Sachsen „in den Krieg gewann das (Leipziger) Zeitungswesen eine neue Qualität: 1632 erschien dann auch der erste nachweisbare ‚Aviso Aus dem Schwedischen Posthause zu Leipzig’, herausgegeben vom schwedischen Postmeister Wechel.“ (Schlimper 1999, S. 171) Wichtig dürften auch Blätter von Moritz Pörner gewesen sein: Die vermutlich ihm zuzuordnende „Einkommende Wochentliche Zeitung“ brachte es bereits 1636 auf immerhin 259 Ausgaben. (Schlimper 2010, S. 7)

Nach einem Koalitionswechsel des Kurfürsten eroberten die Schweden die Stadt zurück. Eine offizielle Messepublikation schreibt: „Die schwedische Besatzung dauerte über den Westfälischen Frieden (1648) hinaus bis 1650. Als Hinterlassenschaft blieb die erste deutsche Tageszeitung zurück, die seit 1642 auf schwedischen Befehl vom Buchdrucker Timotheus Ritzsch hergestellt wurde.“ (Leipziger Messe GmbH ca. 2002, S. 10) Dies ist sehr verkürzt und damit falsch dargestellt: Denn zwar erschien nach 1642 eine vom schwedischen Postmeister Johannes Dickpaul herausgegebene „Wöchentliche Zeitung“ mehrmals wöchentlich (aber nicht täglich) und bald auch von Ritzsch gedruckt und möglicherweise auch redigiert.

Aber erst zur Jahresmitte 1650 – mit „Wiederherstellung der kursächsischen Autorität über Leipzig“ – war die „erste Tageszeitung der Welt“ geboren, vermutlich am 1. Juli: die „Einkommenden Zeitungen“ von Herausgeber und Drucker Timotheus Ritzsch. (Schlimper 1999, S. 173) Bereits im Jahre 1649, „als absehbar war, dass die schwedischen Besatzer auch aus Leipzig abziehen würden“, hatte er sich „mit einem Privileg die Zeitungsherausgabe auf eigene Rechnung“ gesichert. Mehrere Merkmale seiner Zeitung sind bemerkenswert: Er redigierte durchaus die einlaufenden Texte und passte sie ein, sie wurden also „nicht nur einfach nachgedruckt“.2 Und sie erschien ohne Zensur, weil sie eben Informationen von außerhalb vermittelte und die eigentlich zuständige Leipziger Bücherkommission sich außerstande sah, „die Korrektheit der eingegangenen Nachrichten zu überprüfen“.

Ritzsch hatte sich in den Folgejahren auch Konkurrenten zu erwehren und legte ab 1660 ein Nachfolgeprojekt für weitere zwölf Jahre auf. Die „Neu Einlauffenden Nachrichten von Kriegs- und Welthändeln“ kamen sogar sieben Mal in der Woche heraus. (Schlimper 2010, S. 8)

Allerdings wurde nach dem Auslaufen von Ritzschs Privileg die Periodizität der Leipziger Presse ab den 1670ern wieder reduziert, auf viermal in der Woche. (Schlimper 1999, S. 178)

Leipzig als deutsche Pressehauptstadt: vor allem Zeitschriften

Die erste deutschsprachige wissenschaftliche Zeitung („Acta eruditorum“) wurde 1682 in Leipzig gedruckt, „es folgten Gelehrtenzeitungen, Journale, Musik- und Kinderzeitschriften“ (Rodekamp 1997, S. 252).

Leipziger Adressbücher erschienen seit 1701.3 August der Starke verfügte 1718 die Herausgabe eines Messeadressbuches (Meßadreßbuches).4

Im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt Leipzig als deutsche „Pressehauptstadt“. „(W)esentliche Entwicklungen der deutschsprachigen Zeitschriften (fanden) in Leipzig ihren Ausgangspunkt“. „Die ersten Repräsentanten der massenhaft verbreiteten Presse, die in allen gesellschaftlichen Kreisen ihr Publikum fanden, entstanden in der Messe- und Buchstadt Leipzig: das ‚Pfennig-Magazin‘ (1833), die ‚Leipziger Illustrierte Zeitung‘ (1843) und die ‚Gartenlaube‘ (1853).“ (Schlimper 1999, S. 167)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Leipziger Messe GmbH (Hrsg.) ca. 2002, S. 8.

2 In seinem Aufsatz von 1999 schrieb Schlimper allerdings, dass man nicht von einer redaktionellen oder gar journalistischen Tätigkeit Ritzschs sprechen können. Vgl. dort S. 174.

3 Vgl. Steinführer in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hrsg.) 1999, Teilband 1, S. 287-300.

4 Rodekamp 1997, S. 212.