Die 1990er-Jahre – Zeit wechselnder Chancen und Allianzen III

Immer für Überraschungen gut: Persönlich-professioneller Wandel 1996 – aber ohne Aufgabe der Familientradition

Der unerwartete Rücktritt

Abb.: Einladung zu zwei für einen Kunden durchgeführte Pressekonferenzen im Mai 1996. Urheber: IPR&O. Quelle: Interne Materialien der Agentur Orca van Loon. Eine Veröffentlichungsgenehmigung wurde nur für das PR-Museum erteilt, Weiternutzungen sind ohne Zustimmung der Agentur nicht erlaubt.

Zum Monatsende Juni 1996 gab Dieter Schulze van Loon seine Funktionen als geschäftsführende Gesellschafter der PR-Gruppe IPR&O mit Sitz in Hamburg, Bonn und Berlin sowie als Chairman der Euro RSCG International Communications auf. „Seine Agenturanteile in Höhe von 24 Prozent übernimmt Euro RSCG. Auch die Anteile an IPR&O Bonn, die bisher die Muttergesellschaft IPR&O Hamburg hält, gehen an die Euro-RSCG-Gruppe.“1

Diese Entscheidung2 überraschte viele, zumal Schulze van Loon als für 1997 designierter GPRA-Präsident galt. Die Trennung sei „sehr freundschaftlich“ erfolgt und er bleibe der Euro-RSCG-Gruppe sowie der IPR&O „noch ein Jahr als Berater erhalten, um die Ablösung so sanft wie möglich zu gestalten“. (W&V 21.6.1996, S. 44)

Neben Überraschung schien es auch ins Persönlich-Biografische gehende Kritik gegeben zu haben: „Böse Zungen behaupten, mit dem Verkauf der restlichen IPR&O-Anteile an die Euro-RSCG-Gruppe habe Dieter Schulze van Loon sein Familiensilber verscherbelt“, kolportierte die Fachpresse. Umso wichtiger war der „zweiten Generation“ Dieter, auf das Wohlwollen der „ersten Generation“ Reiner verweisen zu können:

‘Das Familiensilber wird nicht verjubelt. Das liegt da, wo es hingehört, im privaten Bereich‘, weist er Andeutungen schlagfertig zurück (…) Dieter Schulze van Loon hat die Rückendeckung seiner Familie. (…) ‚Die freuen sich, dass der einzige Sohn, der Junior, noch mal aus der Kurve kommt.‘

(Horizont 21.6.1996, S. 14)

Die Neugründung mit Paukenschlag

Dieter Schulze van Loon und Kerstin Molthan – die mit ihm in der Geschäftsleitung von IPR&O gearbeitet hatte3 – betätigten sich am 1. Oktober 1996 als „Starthelfer“ einer künftigen Hamburger Filiale des PR-Agenturnetzes Kohtes & Klewes. Beide – Schulze van Loon und Molthan – leiteten als geschäftsführende Gesellschafter das K&K-Büro in der Hansestadt mit zunächst vier Mitarbeitern. „Molthan ist für Marken-PR, Schulze van Loon für Corporate-PR verantwortlich.“ (W&V 27.9.1996, S. 36)

Der „Paukenschlag“ bestand u.a. darin, dass Kohtes & Klewes und Schulze van Loon frühere Konkurrenten waren und Letzterer der K&K-Gruppe Unredlichkeit bei der Mitarbeiterrekrutierung vorgeworfen hatte. Der „Mitbewerber Kohtes & Klewes, Düsseldorf“ habe „wettbewerbs- und sittenwidrig Mitarbeiter abgeworben“. Im Namen der Euro RSCG – seinerzeit immerhin Branchenführer – hatte Schulze van Loon deshalb sogar mit dem Austritt aus der GPRA gedroht (Horizont 19.5.1995, S. 33. Vgl. auch 12.5.1995, S. 1). Das war schon starker Tobak.4

Die zweite Hälfte der 1990er-Jahre bei Kohtes & Klewes

Weder K&K-Satellit noch IPR&O-Verschnitt

Die K&K Kohtes & Klewes Kommunikation Hamburg GmbH war in der Hudtwalckerstraße 11 ansässig (Stand 1998).5 1997 arbeiteten in der Agentur „bereits zehn (Mitarbeiter). Und die hat er sich zum größten Teil nicht von IPR&O oder anderen Agenturen geholt, sondern von K&K Frankfurt und Düsseldorf. ‚Wir wollen in Hamburg kein Satellit sein, sondern in der K&K-Kultur richtig bedeutend werden.‘“ (W&V 21.11.1997, S. 130-132, mit vielen Informationen zur Lage von K&K)

Zu den Kunden (1997) zählten u.a. Audi, E-Plus, die D-Box von Premiere und Lucky Strike.

Dabei seien die Hamburger Kunden keine ‚IPR&O-Mitbringsel‘. ‚Das haben wir ganz fair geregelt‘, beteuert Schulze van Loon. ‚Wir haben immer gesagt, K&K Hamburg wird kein IPR&O-Verschnitt.‘

(W&V 21.11.1997, S. 130-132)

Dem wirtschaftlichen Trend auf der Spur

Was auch immer die konkreten Umstände für den „big Change“ 1996 von Dieter Schulze van Loon gewesen sein mögen: Der Neustart war wohl nicht nur eine richtige, sondern sogar eine rechtzeitige, Entscheidung am richtigen Ort. Eher früh als spät wurde die Notwendigkeit Rechnung getragen, sich zu Größe neuer Dimension – und in passender Figuration – zusammenzufinden.

Später, zur Jahrtausendwende, wird es allgemein heißen: „Der Markt wächst, aber er konzentriert sich klar im oberen Segment“ (PR-Report 20.4.2001, S. 5). „Der Trend zu Merging und Networking“, der spätestens „1999 auch die PR-Agenturen erfasst(e)“ (PR-Magazin 2000/5, S. 31), wurde von Dietrich Schulze van Loon und Kerstin Molthan mitbestimmt: Das PR-Agenturnetz Kohtes & Klewes, zu dem die Hamburger Agentur ab 1996 gehörte, war ein „big Player“. Mit einem Honorarumsatz 1999 von 57 Millionen DM (gegenüber dem Vorjahr bedeutete dies eine Steigerung um 20 Prozent) und 310 Mitarbeitern stand es um die Jahrtausendwende mit deutlichem Abstand auf Platz 1 des GPRA-Rankings.6

Unternehmenskultur als neue „Königsdisziplin“ der PR?

Der Trend zu Merging unter den PR-Agenturen spiegelte letztlich gesamtökonomische Prozesse. Oder salopp formuliert: Den Menschen geht es wie den Leuten. Die Wechsel, die Schulze van Loon vollzog, waren und sind auch ein existenzielles Problem seiner Kunden. „Fusionitis zwingt das Management, über die eigene Identität nachzudenken. Was wird aus der schwäbischen Marke Mercedes-Benz, wenn sie zur Hälfte plötzlich aus Chrysler besteht?“

Die öffentliche Darstellung von Unternehmen und das Prinzip, mit einem guten Image Kunden zu beeindrucken, hat Hochkonjunktur. Integrierte Kommunikation, Corporate Communication, Reputation Management und Firmenkultur sind die Schlagworte. (…)

Vom übergeordneten Wert einer Firmenkultur ist auch Dieter Schulze van Loon überzeugt. ‚Die Führungskräfte müssen sie nur wirklich wollen und danach handeln, sonst ist die Arbeit umsonst.‘ Der entscheidende Faktor: Unternehmensziele und angestrebte Kultur müssen die Corporate Identity prägen. (…)

Noch verwirrender ist, dass früher fein säuberlich getrennte Schubladen sich nicht mehr einzeln öffnen lassen. Die Trennung von Corporate Identity in Corporate Communication (Kommunikation nach innen und nach außen) und Corporate Design (Logo, Schriftzug, Verpackung) funktioniert nicht mehr. (…)

Dieter Schulze van Loon hat (…) die Kultur fest im Blick: ‚Die Firmenkultur ist für mich eins der wichtigsten Themen, das ist so etwas wie die Königsdisziplin der PR.‘ (…) Beste ökonomische Ergebnisse, da ist (sich) Schulze van Loon sicher, erzielen nur noch Unternehmen mit einer fest verankerten, eigenen Identität.

(W&V 20.11.1998, S. 134-135)

Dietrich Schulze van Loon als designierter GPRA-Präsident

Frühzeitig als GPRA-Präsident im Gespräch

Abb.: Dietrich Schulze van Loon. Aus: DRPR (Hg.): 20 Jahre Deutscher Rat für Public Relations (DRPR). 2007.

Durch das mutige Erproben neuer Agenturkonzepte hatte sich Dieter Schulze van Loon nach der Übernahme der renommierten väterlichen Agentur 1989 einen Namen gemacht. Es dürfte den Vater – einst auch GPRA-Präsident – stolz gemacht haben, dass bereits sieben Jahre nach seinem aktiven Ausscheiden aus der PR der Sohn ebenfalls für diese Funktion vorgesehen war.

Im Mai 1996 wählte die GPRA ein neues Präsidium. „Dieter Schulze van Loon von der Hamburger Agentur IPR&O ist designierter Präsident. Schulze van Loon wird Dietmar Müller 1997 ablösen.“ (W&V 17.5.1996, S. 34)

Präsidentschaft kam (zunächst) nicht zustande

Allerdings wurde daraus erst einmal nichts und das Schicksal erforderte einen Aufschub:

(…) da der 1996 zum President Elect ernannte Dieter Schulze van Loon durch seinen Wechsel von Euro RSCG zu Kohtes & Klewes eine Zeit lang keiner Agentur angehörte und sein Amt abgeben musste.

(Horizont 22.05.1997, S. 30)

Wenn es Regeln gibt, müssen sie halt für alle gelten.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „Die Hamburger Agentur wird von den beiden Gesellschaftern Patrick Buchtien und Ulrike Hanky-Mehner weitergeführt. Gisela Weck-Köhler leitet schon seit längerem das Bonner Büro. Für einen neuen Chairman Euro RSCG International Communications gebe es, so Andreas Danyliuk, Chairman Euro RSCG Deutschland, keinen kurzfristigen Bedarf.“ (W&V 21.6.1996, S. 44) 2 „Eine Begründung will Dieter Schulze van Loon nicht geben. ‚Als Sternzeichen Zwilling bin ich eben sehr spontan‘, sagt er ausweichend. (…) An Ideen für die Zeit nach dem Ausstieg mangele es ihm nicht: ‚Ich werde der Branche auf jeden Fall erhalten bleiben.‘ Von Unternehmens- und Kommunikationsberatung ist bei ihm da die Rede, von Public Affairs und politischen Projekten und von ‚endlich mehr Zeit für die Kinder‘.“ (W&V 21.6.1996, S. 44) Die Formulierung in einem anderen, späteren Fachartikel, das Hamburger IPR&O-Büro habe „schon vor dem Weggang von Dieter Schulze van Loon erhebliche Risse im Fundament“ gezeigt (Horizont 15.11.1996, S. 48), ist wohl er als „Nachtreten“ von Seiten der Euro RSCG zu deuten. Aus dem von uns mit Dieter Schulze van Loon geführten Interview ist zu schließen, dass zunehmend inhaltliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und anderen Führungskräften von Euro RSCG sowie Unterschiede im Firmen- und Leitungsstil auftraten. Dadurch gewannen bei Schulze van Loon alternative berufliche Ambitionen an Attraktivität (vgl. DSvL Interview). 1997 ging auch Andreas Danyliuk von Euro RSCG weg (vgl. W&V 7.2.1997). Eine wichtige Rolle spielte auch der Wunsch, noch einmal etwas Neues zu wagen. Dazu: „Gerade 43 Jahre alt geworden, zieht der PR-Manager Bilanz: ‚Ich habe 17 Jahre lang geackert wie ein Pferd und eigentlich alles erreicht, was man erreichen kann. Da fängt man an, über sich selbst nachzudenken.‘ Das Ergebnis dieses Prozesses: ‚Es ist der richtige Zeitpunkt, etwas anderes zu machen.‘“ (Horizont 21.06.1996, S. 14.) 3 Vorher war sie Reemtsma-Sprecherin. Vgl. W&V 27.09.1996, S. 36. 4 Dazu DSvL im Interview: „Ich habe denen auch mal die Pistole auf die Brust gesetzt, wegen Abwerbung. Man muss auch mal in die Luft schießen.“ Trotz solcher Scheingefechte gab es offensichtlich kollegiale Solidarität: „Bei einer GPRA-Sitzung bei Baden-Baden, oben auf der Höhe. Da sitze ich neben Jochen Klewes. (…) Er sagte mir: Wenn du mal mit deinen Partnern Stress (…) hast, kannst du mich jederzeit anrufen (…). Und so kam das mit Kohtes & Klewes in Gang.“ (DSvL Interview) Umgekehrt muss man allerdings auch sehen, dass K&K offenbar an den internationalen Erfahrungen und Verbindungen von Dieter Schulze van Loon Interesse hatte, nicht zufällig wurde er später eine Art „Außenminister“ der Agenturgruppe ECC (Welt 13.8.2001, S. 43). 5 Vgl. GPRA 1998, S. 2. 6 Vgl. PR-Magazin 2000/5, S. 32.