Lingner/Odol

Wandel im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts

Neue Produkte setzten Aufklärung voraus

Abb.: Karl August Lingner. Quelle: Wikimedia Commons (mit hoher Wahrscheinlichkeit gemeinfrei).

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vollzogen sich in Wirtschaft und Lebensweise der Bevölkerung tiefgreifende Wandlungen. Die Wissenschaft revolutionierte die Erkenntnis, neue Technologien ermöglichten in vielen Bereichen die Herstellung bisher nicht gekannter Waren und Dienstleistungen. Daraus erwuchsen bei Erfindern und Unternehmern neue Mitteilungsbedürfnisse, zugleich richteten sich auf sie viele Fragen aus den sich vor allem nach 1870 entwickelnden Massenpublika und differenzierenden Teilöffentlichkeiten.1 Dies galt beispielsweise ähnlich auch für die Implementierung des elektronischen Stroms in Wirtschaft und Alltag bzw. die Kommunikationsaktivitäten von AEG und Siemens. Dieser hohe Erklärungs- und Aufklärungsbedarf war ein wichtiger Treiber für unternehmerische Öffentlichkeitsarbeit, denn bloße Produkt-Anpreisung („Reklame“) konnte bei Waren und Dienstleistungen „neuen Typs“ nicht funktionieren.

Die Einführung neuer, bisher nicht gekannter Waren und Dienstleistungen veränderte z. T. die Lebensweise breiter Bevölkerungskreise grundlegend, sodass bloß auf Absatz gerichtete Aktivitäten erfolglos bleiben mussten, wenn sie nicht mit grundsätzlicher Aufklärung über die neuen individuellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten einhergingen.

(Bentele/Liebert 2005, S. 232)

Ein prägnantes Beispiel mit hoher Alltagsrelevanz stellen Karl August Lingner (* 1861; + 1916) und die von ihm geschaffene Marke Odol dar.

Kampf gegen Bakterien und für Hygiene

Abb.: Lingner und das von ihm gestiftete Deutsche Hygiene-Museum in Dresden wurden 1987 auf einer Briefmarke der DDR-Post gewürdigt. Quelle: Wikimedia Commons (gemeinfrei).

Die Vermarktungs- und Kommunikationsidee für ein Mundwasser passte in die Zeit: Immer mehr Bakterien wurden von der Wissenschaft entdeckt, zum Beispiel von Robert Koch und Louis Pasteur. Der „unsichtbare Mikrokosmos“ sprach die Phantasie der Menschen an, vermutlich auch Angstgefühle aus dem historischen Bewusstsein der Wirkung von Seuchen. Aus dieser von der Wissenschaft aktualisierten „Bedrohungssituation“ folgerte das Streben nach „Desinfektion“. Die Mundhöhle galt als die Haupteintrittspforte krankheitserregender Bakterien.2 Zahnmedizin und -pflege waren noch unterentwickelt: Häufig gingen noch „Kurpfuscher“ ans Werk und die Zahnbürste war noch kein Alltags-Utensil aller Menschen.3

Zugleich gab es in der großstädtischen Lebenswelt immer mehr – im wortwörtlichen Sinne – Berührungspunkte zwischen vielen Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen und damit auch „Geruchswelten“. Die mit der industriellen Produktionsweise einhergehende Trennung von Arbeits- und Freizeit machte es zum Problem, den natürlichen Arbeitsschweiß nach Feierabend und in den Massentransportmitteln wirksam auszumerzen. In Berufen, die zunehmend auf Kundenorientierung und -kontakt setzen mussten oder in geschlossenen Räumen ausgeübt wurden, war die Kontrolle des natürlichen Körpergeruches ein ständiges Problem. Ein Problem, das der Bauer, der mit seinen Tieren naturverbunden und meist in frischer Luft in agrarischen Verhältnissen lebte, so nicht gekannt hatte. Aus dieser vielschichtigen Konstellation erwuchs die Notwendigkeit von von mehr und besserer Körper- und insbesondere Mundhygiene.

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Bentele/Liebert 2005, S. 234; Liebert 2003, S. 13-29.

2 U. a. http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Lingner

3 U. a. http://love-odol.de/historie.html

 

Bildnachweis für Beitragsfoto (ganz oben): Odol-Flaschen, links historisch, rechts modern. Foto: N-Lange.de Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Odol-Flaschen.jpg&filetimestamp=20110102161058 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode