Lingnersche Werke in Dresden

Die Lingnerschen Werke in Dresden

Institutionalisierung von Kommunikation im Unternehmen

Abb.: Seine erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit brachte Lingner eine prachtvolle Villa ein, das „Lingnerschloss“ in Dresden. Foto: adornix. Quelle: Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

In seiner ersten Firma Lingner & Kraft, die weiterhin bestehen blieb, war ab 1910 ein Reklamebureau, 1911 eine Annoncenexpedition und eine Verlagsbuchhandlung aufgebaut worden.1

Im Dresdner Chemischen Laboratorium Lingner bzw. ab 1912 den Lingner-Werken entwickelte sich eine Organisationsstruktur, welche auch dem hohen Vermarktungs- und Kommunikationsaufwand für Odol Rechnung trug.2 Neben der kaufmännischen, der bakteriologischen und der Personal- sowie Verwaltungsabteilung existierte schon seit Längerem – seit 1896 – auch eine „Propaganda-Abteilung“. Letztere beschäftigte sich hauptsächlich mit – wie man damals auch sagte – „Reklame“-Tätigkeiten. Der Begriff „Propaganda“ wurde in jener Zeit noch wertfrei, sogar eher positiv, und üblicherweise auch für den kommerziellen Bereich verwendet. Geleitet wurde die – wie man heute sagen würde – integrierte Kommunikationsabteilung von Richard Zörner.3

Geschäftliche Propaganda widmete sich insbesondere öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten und der Legitimierung der betrieblichen Tätigkeit. Beispielsweise nutzte diese Abteilung neue Forschungsergebnisse als Argumente in der Kommunikation, in der Art wie: „Nach dem heutigen Stande der Wissenschaft ist Odol nachweislich das beste Mittel (…)“ (Funke 2001, S. 21).

Einen Schwerpunkt in dieser Abteilung sah Lingner in der „Zeitungs-Revision“ (zur Erfolgskontrolle) und „Zeitungs-Inspektion“ (thematische Sammlung von Dokumenten und Zeitungsartikeln). Die Öffentlichkeit erhielt 1901 einen Einblick in die Struktur und den Aufbau des Unternehmens durch eine Firmen-Anzeige Lingners, vermutlich durch das Bedürfnis begründet, Transparenz zu schaffen.4

Für gewisse Bereiche schloss Lingner Transparenz aber strikt aus oder sah sie mit Missbehagen. Rezeptur und Herstellung von Odol wollte er verständlicherweise als Geschäftsgeheimnis bewahren.5

Kommunikation barg neben Chancen auch Risiken

Lingner machte auch die Erfahrungen, dass Publizität nicht in jedem Falle von Vorteil ist und dass das (Be-) Gründen von Produktvorteilen – insbesondere im Themenfeld Gesundheit – auf (wissenschaftliche) Argumente fragil und zwiespältig sein kann. Die so genannte Lingner-Bombastus-Affäre 1906-1911 wurde durch einen publizistischen Angriff des Naturheilkundlers Reinhold Gerling („Der Odolzauber“) ausgelöst, der Odol schlichtweg als wirkungslos oder gar gefährlich bezeichnete.6 Diese Abrechnung mit dem erfolgreichen Mundwasser und dem „Odolkönig“ Lingner stieß bei den Konkurrenten – so auch bei der Firma Bombastus – verständlicherweise auf großes Interesse. U. a. konnte der öffentliche und juristische Streit um Zusammensetzung und Wirkkomponenten des Odol-Mundwassers Auswirkungen auf die Einstufung des Produktes haben, wovon im pharmazeutisch-kosmetischen Sektor die Marktchancen erheblich abhängen.

Die gängigen Mundwässer wurden entweder den Naturheilprodukten oder den apothekenpflichtigen Erzeugnissen zugeordnet. Das Odol besaß beide Aspekte und stand dabei im Lichte der Öffentlichkeit, welche eine Zuordnung tendenziell zur Apothekenpflicht haben wollte. Für Lingner war es aber wichtig, mit seinem Produkt die Masse zu erreichen und es als „kosmetischen ‚Toilettenartikel’“ freiverkäuflich anzubieten.7 Gutachten und Gegengutachten, publizistische und juristische Maßnahmen, auch wohl unsaubere Aktivitäten wechselten einander ab8 – am Ende gelang es Lingner weiter zu wachsen.

Interne Kommunikation und weitere Entwicklung

In der internen Kommunikation engagierte sich Lingner für seine Arbeiter und Angestellten, indem er ihnen finanzielle Zuwendungen (Weihnachtsgratifikationen, betriebseigene Sparkasse, Unterstützungsfonds für Notfälle) und Sozialleistungen (Urlaubsansprüche, Betriebsfeier/Sommerfeste/Ausflüge, Betriebskantinen, Nutzung von Badeeinrichtungen, Pausengymnastik etc.) zur Verfügung stellte.9

Das Unternehmen wurde am 2. Januar 1912 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren Vorsitz Lingner behielt. Damit konnte er sich vollends seinen gemeinnützigen Vorhaben, insbesondere der Errichtung eines nationalen Hygiene-Museums, widmen. Zuvor hatte er noch eine dritte Unternehmung, das Sächsische Serumwerk, gegründet. Dieses belieferte u. a. im Ersten Weltkrieg die Truppen mit Impfstoffen und Heilserum.

Autor(en): K.H.T.L.

Anmerkungen

1 Funke 2001, S. 11.

2 Für Werbezwecke wurden jährlich ca. 10-14 Prozent vom Gesamtumsatz aufgewendet. Für damalige Verhältnisse eine außergewöhnlich hohe Summe. Vgl. Funke 2001, S. 21; Büchi 2006, S. 77.

3 Funke 2001, S. 20f. Die Existenz einer Kommunikationsabteilung schloss aber nicht aus, dass Lingner auch externe Beratung in Anspruch nahm. So war um die Jahrhundertwende Richard Kropeit als „Reklameberater“ für Lingner tätig. Kropeit gab 1907/08 das Buch „Die Reklameschule“ heraus. Vgl. Lamberty 2000, S. 243.

4 Büchi 2006, S. 76f.; Väth-Hinz 1985, S. 12, 44f.; Schmidtt 1931, S. 49; Wollf 1930, S. 44f.

5 Büchi 2006, S. 50.

6 Obst 2005, S. 15ff.

7 Hodgson 1993, S. 33f.; Büchi 2006, S. 58f.

8 Eine ausführliche Aufarbeitung der Prozesse unternimmt Obst 2005. Kürzer geht auch Büchi 2006 (S. 193ff.) darauf ein. Ob aus der Affäre Zweifel am Lingner-Image als Philanthrop berechtigt sind, kann hier nicht entschieden werden.

9 Auch gab es Milchkaffee, um dem Alkoholkonsum vorzubeugen. Im Gegenzug verlangte Lingner Pünktlichkeit und die Achtung der „Schutzklausel“, die „engere Beziehungen“ zwischen den Geschlechtern verbot. Büchi 2006, S. 174f.; Funke 2001, S. 26.