Die 1990er-Jahre – Zeit wechselnder Chancen und Allianzen II

Kunden-Portfolio in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre

Alle Organisationen treiben PR – und brauchen dafür Dienstleister

Auch wenn die „Gästebücher“ (Fotoalben) der Agentur nicht das gesamte Geschäft widerspiegeln, sondern nur die Pressearbeit und Veranstaltungstätigkeit, so lässt sich aus ihrer Durchsicht doch eine weitere Diversifizierung des Kundenspektrums erkennen. Dieser – hier allerdings nicht im strengen Sinne quantitativ-empirisch belegbare – Eindruck korrespondiert mit Szyszkas Kennzeichnung der PR-historischen Phase von 1984 bis 2004 als „Expansion“: „großer Expansionsschub; PR-Arbeit bei allen gesellschaftlichen Organisationstypen“ (Szyszka 2015, S. 502).

Abb.: Pressemeeting Sommer-Zitrusfrüchte am 29.7.1993 im Hilton-Hotel Berlin. Hartmut Meyer-Ohrt, Geschäftsführer von Outspan Deutschland, informiert über Marktentwicklungen. Foto: IPR&O. Quelle: Interne Materialien der Agentur Orca van Loon. Eine Veröffentlichungsgenehmigung wurde nur für das PR-Museum erteilt, Weiternutzungen sind ohne Zustimmung der Agentur nicht erlaubt.

Dass die „Grundaussage“ der agenturinternen Fotoalben richtig zu sein scheint, ergibt auch ein punktueller Abgleich mit Meldungen aus der Fachpresse – hier für 1992/1993:

Neue Kunden der Hamburger Agentur sind unter anderem Tchibo, die Zucker AG Uelzen-Braunschweig, der Whisky-Hersteller Glenfiddich, der Airbus-Konzern und der Finnische Außenhandelsverband. Weiterhin wird (die nun als) IPR&O (firmierende Agentur – T.L.) im Auftrag des Handelsunternehmen Geest eine Informationskampagne für die im Juli erstmals in Deutschland erhältliche ‚AKP-Banane‘ – AKP steht für die Herkunftsregionen Afrika, Karibik und Pazifik – durchführen. Neben diesen neuen Klienten konnte die Agentur in den vergangenen Monaten auch einige frühere Kunden zurückgewinnen. Dazu zählen der schwedische Mineralwasser-Produzent Ramlösa, das Königreich Saudi-Arabien und die ARD-Fernsehlotterie ‚Die Goldene Eins‘. (…)

Große Chancen verspricht sich die Agentur mittel- bis langfristig vom Europäischen Binnenmarkt, speziell in den Bereichen Business-to-Business, Finanz-PR, Umwelt sowie Gesundheit und Ernährung.

(Horizont 19.3.1993, S. 31)

Allerdings bedeuten eine größere Kunden- bzw. Auftragsvielfalt nicht unbedingt mehr Erfolg und Gewinn für die Dienstleister. Insbesondere dann nicht, wenn sie nicht nur Ausdruck einer generell höheren Bedeutung von PR in der Gesellschaft, sondern krisenbedingt verursacht ist. Dies sollte sich beispielsweise 1994 zeigen, als Dietrich Schulze van Loon feststellen musste:

(… Es) verlange die Verlagerung des Geschäftes von Langzeitaufträgen hin zu kurzfristigen Projekten flache Hierarchien und eine ‚Optimierung der Kapazitätsauslastung‘. Die Network-Agenturen sollen dort zusammenarbeiten, wo ‚Synergien gewünscht sind‘, aber in Konkurrenz auftreten, wo es ‚angebracht ist‘.

(Horizont 14.10.1994, S. 27)

Was die „Gästebücher“ der Agentur konkret dokumentieren

Eine Auswertung der agenturinternen Materialien ergab für die Zeit von 1990 bis 1996 – nur bis dahin liegen sie vor1 – insbesondere folgende Kunden, für die bereits im vorherigen Jahrzehnt gearbeitet wurde: BNIC (Cognac), Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA), portugiesische Wirtschaft, Charles Hosie GmbH (Import-Spirituosen), Outspan Hamburg (Südfrüchte), Finnlandhaus bzw. finnische Wirtschaft/Außenhandel, Italienisches Institut für Außenhandel (ICE), Champignon- u. Kulturpilzanbauer e.V., Knaack Krane Transport-Technik GmbH, The Body Shop Int. (britisch) …

Abb.: Eröffnungs-Pressekonferenz der Nordischen Filmtage am 5.11.1993. Foto: IPR&O. Quelle: Interne Materialien der Agentur Orca van Loon. Eine Veröffentlichungsgenehmigung wurde nur für das PR-Museum erteilt, Weiternutzungen sind ohne Zustimmung der Agentur nicht erlaubt.

Als neue Kunden ab 1990 sind u.a. dokumentiert: Alfa-Laval Holding bzw. Agrar GmbH, Nordische Filmtage Lübeck, Brau u. Brunnen AG Dortmund als Importeur für schwedisches Mineralwasser, Stadt Hamburg, Party & Paper Weidenstieg, Ring Deutscher Makler (Landesverband Niedersachsen), High-Tech-Beratungsunternehmen Putz & Partner GmbH, Roland Marken-Import KG GmbH & Co. Bremen, Penta International (Hotels), Zucker-AG Uelzen-Braunschweig, Bundesumweltministerium, Bundestag, Königreich Saudi-Arabien, Hamburg-Mannheimer-Stiftung für Informationsmedizin, Charles Heidsieck Hamburg, Vidal+Sohn GmbH & Co. KG (Nutzfahrzeuge), Norddeutscher Reiterverein …

Tätigkeits-Spektrum in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre

Beispiele aus der konzeptionell-strategischen Agenturarbeit

Ziel einer Agentur mit Qualitätsanspruch ist es, für ihre Kunden möglichst langfristig eine analytisch fundierte und strategisch ausgerichtete, also konzeptionell basierte und systematisch-integrierte Kommunikation zu betreiben. Die Entwicklung von Konzepten, Strategien und Kampagnen gilt deshalb als eine „Königsdisziplin“ der PR.

Dietrich Schulze van Loons Agentur sah es als Aufgabe an, diesen Anspruch nicht nur selbst umzusetzen, sondern auch in die Branche und vor allem an die Kunden zu tragen. Dafür nutzte sie auch eigene Veranstaltungen bzw. Pressegespräche und startete beispielsweise 1994 unter dem Motto „Neue Wege gehen‘“ eine „Offensive auf dem Kommunikationsmarkt“. „Norddeutschlands führende Kommunikationsagentur zeigt innovative Trends in der Öffentlichkeitsarbeit auf, entwickelt Dialog-Visionen für die Zukunft.“

Als Beispiel dafür diente „eine überparteiliche Kampagne“, die die Agentur „im Auftrag des Präsidiums des Deutschen Bundestages“ entwickelt hatte. (Einladung zum Pressegespräch am 20. Juli 1994. In: Gästebücher [Fotoalben] der Agentur)

Dem Auftrag des Bundestags ging eine erfolgreiche Wahlmotivationskampagne für die Hamburger Bürgerschaftswahl voraus. Unter dem Slogan „Stell dir vor, es ist Wahl und alle gehen hin“ gelang es, ein Netzwerk von Prominenten und Medienhäusern als Unterstützer zu knüpfen und die Wahlbeteiligung zu steigern.2

Über lange Zeit, auch in den 1990ern, konnte die Hamburger Agentur ihre konzeptionell-strategischen Erfahrungen für ihren Kunden Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) fruchtbar machen. In „Kombination aus klassischer Werbung und Public Relations, aber eben aus einer Hand“ wurden mehrere Kampagnen entwickelt und umgesetzt. „Da ging es nicht darum zu sagen: Leute, kauft Fleisch. Sondern ihnen ernährungsphysiologisch den Vorteil von maßvollem Fleischkonsum im Rahmen ausgewogener Ernährung darzustellen.“ (DSvL Interview)

Für mehr Breite unter den PR-Handlungsfeldern

Was von vielen klassischerweise als Handlungsfelder der PR betrachtet wird, erscheint zunehmend zu eng. „Klassische PR-Arbeit leide an einem negativen Image, außerdem erwarte der Kunde integrierte Kommunikationskonzepte“, erklärte Agenturchef Schulze van Loon Mitte der 1990er-Jahre. PR solle „als Bestandteil von integrierter Kommunikation stärker als in der Vergangenheit vorangetrieben werden (…) ‚PR ist tot, es lebe die Kommunikation‘.“ (Horizont 24.3.1995, S. 36 und 1)

Im Sinne „eines vernetzten Kommunikationsansatzes“ werde seine Agenturgruppe „stärker als bisher Felder wie Corporate Communications, Krisenkommunikation, Social-, Marken- und interne Kommunikation besetzen“. Auch gelte es, die eigene Professionalisierung weiter voranzutreiben. So arbeite man „parallel zu möglichen Umsetzungen der Qualitätsnorm ISO 9000 an einer eigenen Kundenzufriedenheitsanalyse“. (Horizont 24.3.1995, S. 36)

Für mehr Vielfalt und „Lebendigkeit“ in der instrumentell-operativen PR-Arbeit

Wie bereits oben dargestellt, dokumentieren die „Gästebücher“ (Fotoalben) der Agentur eine vielfältige, einfallsreiche Pressearbeit für mannigfaltige Kunden. Diese stellte immer schon eine der Stärken der Agentur dar, wurde nun aber weiterentwickelt und stärker als früher in einen größeren instrumentellen Kontext gestellt.

Dietrich Schulze van Loon formulierte 1994, „neben die klassischen Agenturservices wie Presse- und Informationsarbeit“ trete „zunehmend die Öffentlichkeitsarbeit in Gestalt von Event- und Sponsoring-Aktivitäten“.

Der überzeugende Kommunikator muss sich zum wort- und handlungsgewandten Ereignismanager weiterentwickeln. Der gute PR-Mann der Zukunft wird sich vom schlechten ganz maßgeblich durch seine organisatorischen und improvisatorischen Qualitäten und seine Fähigkeit, Öffentlichkeitsarbeit zielgruppenbezogen lebendig zu machen, unterscheiden. Die Zeit der stubenhockenden Wortproduzenten geht zu Ende!

(Horizont 28.10.1994, S. 39)

Schulze van Loon zufolge müsse „die derzeitige im Wesentlichen reagierende und verlautbarungsgeprägte Papier-PR via Pressenotiz, -gespräch und -konferenz zu einer aktionsgeprägten, kontaktintensiven, lebendigen PR mit dem Schwerpunkt auf tatsächlichen Begegnungen mit der Öffentlichkeit weiterentwickelt werden“ (Horizont 28.10.1994, S. 39).

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Dabei ist das Jahr 1996 nur marginal und also sehr unvollständig dokumentiert.

2 Vgl. DSvL Interview.