PR von Renn-Stars I

PR von Renn-Stars: Akteurssouveränität und Beispiel Stuck

Rennfahrer als relativ eigenständige Akteure

Abb.: Abb.: Eine wichtige Quelle stellt eine DDR-Publikation dar: Kirchberg, Peter (1984): Grand-Prix-Report Auto Union 1934 bis 1939 (2. Auflage). Berlin: transpress VEB Verlag für Verkehrswesen. Hier Abbildung des Buchdeckels. Bibliotheksexemplar mit leichten Gebrauchsspuren.

Die Rennfahrer-Stars waren „keine glühenden Anhänger der NS-Ideologie“. Sie handelten vielmehr „im Sinne ihrer materiellen und sozialen Interessen pragmatisch“, gingen „taktische Allianzen mit Konzernen, Staat und NS-Institutionen“ ein, „um ihr privates Glück zu sichern“ (Day 2004, S. 218). Eine ähnliche Einschätzung traf auch bereits die DDR-Publikation von Kirchberg (1984, S. 171).

Auch ihre Stellung gegenüber der Industrie war zumindest anfangs komfortabel. Ihre Popularität nutzend, konnten sie an den Rennställen der Konzerne vorbei noch Zusatzgeschäfte mit Zubehörfirmen machen. Sie stellten sich beispielsweise dem Zündkerzenhersteller Bosch oder dem Reifenfabrikanten Continental als Testimonials zur Verfügung. Deshalb mussten die Rennpiloten auch an Eigen-PR interessiert sein. Zunächst durften die Fahrer die Werbegelder selber kassieren, später wurde das verboten und diese Einnahmen waren direkt an die Autokonzerne abzuführen.1

Kampf um den Grad der Eigenständigkeit

Wieviel Eigenständigkeit man den Fahrern zubilligte, war eine wichtige kommunikationsstrategische Frage, die die Autokonzerne zu lösen hatte.

Abb.: Rechnung des Hotels Chemnitzer Hof (später zu DDR-Zeiten ein so gen. Interhotel) für das „Versöhnungsmahl“ mit Porsche am 24.11.1934. Aus: Kirchberg 1984, dort als Originaldokument abgedruckt.

Diese Problematik konnte auch gegenüber anderen Beteiligten an den Rennsporterfolgen auftauchen: Zwischen der Auto Union und Entwicklungsingenieur Porsche bzw. seinem Ingenieursbüro „Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH“ gab es durchaus technische und finanzielle Differenzen, aber auch Streit darüber, inwieweit Porsche bzw. der „P-Wagen“ im Namen der Rennfahrzeuge auftauchen solle oder nicht. „Schließlich verübelte man Porsche Äußerungen in der Öffentlichkeit, die seine nächsten Pläne und Tendenzen der technischen Entwicklung im Rennwagenbau betrafen.“

Im November 1934 fand „bei opulentem Mahl und erlesenen Getränken“ im Hotel Chemnitzer Hof eine „Klärung dieser Unerfreulichkeiten“ statt. (Kirchberg 1984, S. 27-36) 1936 löste die Auto Union allerdings den Vertrag mit Porsche.2

Zurück zu den Fahrern: Die massenmedialen und -kulturellen Star-Qualitäten und damit ihr Wert – wie auch wohl ihre Souveränität gegenüber politischen oder wirtschaftlichen Autoritäten – erhöhten sich noch, wenn schillernde Frauen an der Seite der Rennfahrer standen. Rosemeyers Eheschließung im Sommer 1936 mit der draufgängerischen Fliegerin Elly Beinhorn (1907-2007) „galt als populärkulturelle Sensation“ und ergab ein zur Wirklichkeit gewordenes „Traumpaar“: „Jet-set unter dem Hakenkreuz“ (Day 2004, S. 239. Vgl. auch S. 235ff.).

Beispiel Herr und Frau Stuck

Abb.: Hans Stuck im Jahre 1929. Quelle: Bundesarchiv, Bestand Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl. Bild 102-08188 / Wikimedia Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Größte Autonomie gegenüber Politik und Industrie erlangte wohl Hans Stuck – mit wesentlicher Unterstützung seiner Frau. Stuck war einstiger Mercedes-Mitarbeiter, fuhr aber ab 1934 für die Auto Union. Nach Aussagen von Zeitgenossen machte der Rennfahrer „übermäßige Eigenpropaganda (…) in den Zeitungen“, die sich zum Teil „negativ für die Auto Union“ auswirkte. So versuchte er, eigene Presseempfänge zu organisieren, ohne dass der Autokonzern erwähnt wurde. „Die medialen Alleingänge des PR-Unternehmens Stuck wurden zum ständigen Ärger der Auto Union“. Nichtsdestotrotz brauchte „die unbekannte Firma“ die „Popularität des Routiniers“, jedenfalls bis 1935, und spannte ihn in ihre Kommunikation und Werbung ein. (Day 2004, S. 250f.)

Was die Karriere des Autorennfahrers Hans Stuck so lehrreich macht, ist das kommunikative Potential, das sich um ihn als einen der populärsten Männer seiner Zeit entfaltete. Kommunikatives Potential lässt sich dabei im Sinne einer Vermittlung von verschiedenen Interessen innerhalb der Gesellschaft verstehen, aber auch und vor allem im Sinne der subjektproduzierenden Erfahrung auf Seiten der Fans, die mit ihrem Idol auf verschiedene Weise in Kontakt bleiben, indem sie sporadische Gemeinschaften, Teilöffentlichkeiten und Schattenökonomien bilden und dabei von einer Eigendynamik des so aufgefächerten Kontaktes profitieren.

(Bokel 1997, S. 95)3

Das ‚Unternehmen Stuck‘ (Bokel 1997, S. 95) bestand aus dem Rennfahrer und seiner Frau Paula Stuck von Reznicek. Paula hatte Hans Stuck 1929 „ins Berliner Lokalmilieu hineinpromotet“ (Bokel 1997, S. 108).

Die vormalige Tennisspielerin und Journalistin – die ihre Stellung beim Ullstein-Verlag 1933 verlor, weil sie im Sinne des NS-Regimes nicht arisch genug war – besaß einen „ausgeprägten Sinn für Werbung“ (Day 2004, S. 250) und übernahm die Rolle von Stucks Managerin und PR-Agentin.4

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu Day 2004, S. 220.

2 Vgl. Kirchberg 1984, S. 80.

3 „Das, was Stuck geleistet hat, soll nachträglich keineswegs als idealistische Realisierung von Öffentlichkeit oder gar emanzipatorischer Gegenkultur nobilitiert werden. Doch zeigt sein Beispiel, wie ein Star auch im Dritten Reich Vermittler zwischen politisch-historischem Kontext, Privatinteressen und kulturellen Trends werden konnte, und wie sich diese Vermittlung im kommunikativen Austausch von Star und Fangemeinde entwickelte.“ (Bokel 1997, S. 95)

4 Das NS-Regime tolerierte Paula Stuck von Reznicek und ihre persönliche Managerrolle, weil es Stuck und seinen Erfolg brauchte. Daran konnten auch antisemitische Aktionen gegen Stuck, so im berüchtigten Kampfblatt „Stürmer“, nichts ändern. „Görings ‚Wer ein Arier ist, bestimme ich‘ soll in diesem Zusammenhang gefallen sein.“ (Bokel 1997, S. 95) Vgl. auch Day 2004, S. 254, und Kirchberg 1984, S. 174ff.