Rahmen: Politische Verhältnisse
Staatliche Pressearbeit unter den Bedingungen eines stark politisierten Lager-Kampfes
In der heutigen Bundesrepublik ist staatliche Öffentlichkeitsarbeit normativen und juristischen Regeln unterworfen (z. B. Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1977), die sie deutlich von parteipolitischer PR abgrenzen. Zu Weimarer Zeiten hingegen war staatliche Kommunikation stark von den gerade herrschenden Parteien und ihrem Streit mit den jeweiligen Oppositionsparteien beeinflusst.1 In gewisser Weiser schlug das Pendel nun zur anderen Seite aus: Denn im Kaiserreich und im Ersten Weltkrieg hatten parteipolitische Auseinandersetzungen als ‚kleinliches Gezänk‘ gegolten und waren vom Obrigkeitsstaat eingegrenzt worden.
Hinzu kam, dass die Parteien fest in sozialen Gruppen bzw. Milieus verwurzelt waren. Dadurch gerieten viele politische Auseinandersetzungen zu weltanschaulich-ideologischen, sozialökonomischen und kulturellen Kämpfen.2 Unter solchen Bedingungen galt die Meinung des Andersdenkenden nicht viel, Kompromissbereitschaft und Toleranz bildeten knappe Güter. Für eine neutrale, überparteiliche, sachlich-informierende Öffentlichkeitsarbeit des Staates war eher wenig Platz.3
Insofern konnten herrschaftssichernde Funktionen und persuasive bzw. manipulative Formen der Staatskommunikation vor 1914 bzw. 1918 auch unter den neuen demokratischen Verhältnissen überleben. Die Ziele der staatlichen Pressearbeit waren denen im 19. Jahrhundert durchaus noch ähnlich. „Immer noch galt es, loyale Anhänger zu sammeln, Schwankende zu gewinnen und Gegner auszugrenzen.“ (Lau 2003, S. 368)
Der Politisierungsgrad der Länder-Pressearbeit lag zwischen dem von Reich und Kommunen, was Cramer (1931, Sp. 370f.) vor allem an der Besetzung der Chefposten fest machte: Der Reichspressechef wechselte in der Regel mit dem Kabinett. „In den Ländern ist das Amt des P[resse]chefs zwar auch politisch, aber weit weniger od. fast gar nicht dem Wechsel unterworfen, weil die Politik hier kontinuierlicher ist (Preußen, Bayern, Baden).“ Im Gegensatz dazu würden die Presse- und Nachrichtenämter der Städte „politisch neutral“ arbeiten.
Für eine politische Besetzung des Pressestellenleiters plädierte auch der Amtsinhaber in Preußen, dem mit Abstand größten deutschen Teilstaat. Regierungsrat Goslar (1921, S. 1), seit Herbst 1919 Pressechef der preußischen Staatsregierung, argumentierte, dass eine demokratisch gewählte Regierung ihre Standpunkte vermitteln können muss. Dies gehe nur, wenn die Funktion des staatlichen Pressechefs von einem politischen Beamten eingenommen würde. Die Pressearbeit der einzelnen Ministerien und Staatskommissariate könne aber unabhängig von Politikwechseln durch einen journalistischen Fachmann geleitet werden.
(Nicht-) Öffentlichkeit und (Des-) Integration
Staatliche Pressearbeit sollte eine öffentliche Wirkung erzielen. Ein großer Teil der Arbeit geschah jedoch – trotz Kritik, die genau das bemängelte – im nicht-öffentlichen Raum. Ließen sich die Methoden der Pressepolitik nachvollziehen, wurde sie von Seiten der Pressestelle nicht mehr als Pressepolitik angesehen bzw. als erfolglos eingeschätzt.4 Gegner, die nicht belehrbar waren, mussten diskreditiert werden – als potentielle Verbündete kamen Andersdenkende nicht in Frage. Damit verbauten sich Pressechefs die Möglichkeit, die Zone informeller Kooperation auszuweiten und passten sich an die Konfrontation zwischen Regierung und Opposition an.5
Allerdings wirkten auch Impulse für eine staatliche Öffentlichkeitsarbeit im heutigen Sinne. Ziel der staatlichen Pressearbeit war es, die Verbindung zu den einzelnen Bevölkerungsgruppen herzustellen und zu festigen. Dass die zersplitterte Gesellschaft der Integration bedurfte, war durchaus augenfällig. Aufgrund der ständigen Angriffe von links und rechts wurden jedoch meist bloß die ‚Erblasten’ aufgezeigt und deklamatorisch die Fortschritte nach Ansicht der Regierenden dargelegt, ohne in einen echten gesellschaftlichen Diskurs zu gelangen.6
Als Bremsen des Lagerkampfes wirkten die Koalitionsregierungen. Aus ihnen wuchsen Impulse, Pressestelle und Pressearbeit so neutral wie möglich zu halten. Damit wollten sich die Akteure auch nach Koalitionsveränderungen bzw. Regierungswechseln die Möglichkeit zur Mitwirkung sichern.7
Anmerkungen
1 Das Parteibuch der jeweiligen Pressestellenleiter prägte auch deren Verständnisse vom Verhältnis Staat-Journalismus: „Die individuell ganz unterschiedliche Interpretation der Pressechefs von politischem Journalismus wird durch einen Vergleich des BVP-nahen Leiters der bayerischen Pressestelle, Hans Eisele, mit dem Zionisten Hans Goslar, so genannter ‚Pressechef‘ in Preußen, sowie dem Braunschweiger Sozialdemokraten Gerhard von Frankenberg deutlich.“ (Hartwig 2003)
2 Schließlich bestand auf Reichsebene seit März 1930 keine die Republik tragende parlamentarische Mehrheit mehr, so dass der Reichskanzler mit vom Parlament unabhängigen Notverordnungen regierte (Goros 1998, S. 131).