Spätere Fortsetzung wichtiger Themenlinien zur PR

Ethische Verantwortung

Avenarius gehört innerhalb der „einführenden deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur“ über PR zu den Autoren, die ausführlicher auf Ethik eingehen (Bentele 2015, S. 1081).

Abb.: Titel von Avenarius/Bentele (Hg.) 2009.

Nachdem sich Avenarius bereits in seinem Hauptwerk von 1995 zu grundsätzlichen ethischen Fragen positioniert hatte, vertiefen und akzentuieren weitere Aufsätze und Beiträge dieses Themenfeld in der Folgezeit. Die wichtigsten davon sind auch in der Sammelpublikation Avenarius 2019 dokumentiert.

Insbesondere die Beiträge zu Wahrheitsfragen und des beruflichen Einsatzes der Lüge als bewusste Negation wahrer und richtiger Aussagen stechen hier mit klaren Positionen heraus. Radikal-konstruktivistisches Geschwurbel ist Avenarius‘ Sache nicht. Avenarius‘ klare (Gegen-) Positionen beispielsweise zu den Positionen von Klaus Merten oder Klaus Kocks, u. a. deren Position, dass Lügen für die PR notwendig seien, sind in diesem Buch (Avenarius 2019 – T.L.) nachzulesen.

(Günter Bentele in Avenarius 2019, S. VII)

Aus dieser teilweise hitzigen Kontroverse1 soll hier – dem Gegenstand unserer Abhandlung gemäß – die Position von Avenarius noch etwas vertieft dargestellt werden:

Avenarius geht in einer Replik (… 2008) kritisch auf Mertens Argumente ein, PR als ‚Differenzmanagement‘, zu sehen, die anwaltschaftliche Funktion der PR, die (angebliche) Zunahme von Täuschungen in der Mediengesellschaft und weist einerseits die Stigmatisierung der PR als Beruf, in dem besonders viel gelogen oder getäuscht werde, zurück und hält ihm vor, Täuschung als eine Art ‚Erbsünde der PR‘ zu sehen. Darüber hinaus thematisiert er Wahrheitstiefe und die zeitliche Relativität von wahren Aussagen. Gleichzeitig betont auch Avenarius: ‚Trotzdem finden nach wie vor viele Manipulationen, absichtliche Täuschungen und Desinformationen statt. Sie verfolgen das Ziel, Öffentlichkeiten zu irrigen Schlüssen und falschem Verhalten zu veranlassen.‘ Dies sei nach Code d’Athenes und Code de Lisbonne nicht gestattet. Avenarius weist hier also richtig auf den Unterschied zwischen faktischem Lügen und faktischer Täuschung und der Norm, dies nicht tun zu sollen, hin.

(Avenarius/Bentele 2009, S. 23f.)

Verdienstvoll ist auch Avenarius‘ Beitrag zur Dokumentation und Aufarbeitung der Spruchpraxis des Deutschen Rates für Public Relations (DRPR).2

Eine Art Bestandsaufnahme zu ethischen Problemen und zur Selbstkontrolle im Berufsfeld Public Relations haben im Jahr 2009 der langjährige DRPR-Vorsitzende Horst Avenarius und Günter Bentele, seit 2012 DRPR-Vorsitzender, vorgelegt (vgl. Avenarius/Bentele 2009). In diesem Band ist neben einigen grundlegenden und reflexiven Beiträgen zur PR-Ethik auch eine Dokumentation aller Fälle, die der DRPR seit Anbeginn bis zum Jahr 2009 behandelt hat, enthalten.

(Bentele 2015, S. 1081)

Gesellschaftspolitische Verantwortung

Im Zusammenhang mit ethischen Überlegungen steht auch die Akzentuierung einer gesellschaftlichen Verantwortung durch PR und der PR.

Welchen Nutzen die PR (…) der Gesellschaft erbringt, ist (…) ein offenes Feld, und damit auch die Frage, was sie alles zu verantworten hat. Der Nutzen der PR besteht offensichtlich zunächst in der Transparenz, die sie ermöglicht. (…)

(Avenarius 2001/2008 in Avenarius 2019, S. 212)

Avenarius wendet sich gegen die Auffassung, es bei „dieser sozusagen kommunikativen Verantwortlichkeit“ oder beim Beitrag zum guten Wirtschaften zu belassen. Er fragt vielmehr:

(E)ndet die Verantwortung einer Firma wirklich an der Kasse? Ist sie nur für den Absatz und die Verlässlichkeit und nicht auch für den rechten Gebrauch ihrer Ware verantwortlich? Geht es BMW nichts an, wenn BMW-Fahrer rasen? Und was geschieht mit den Wagen nach ihrer letzten Fahrt? Kann es den Automobilfirmen egal sein, ob weit hinter den Straßenrändern Autofriedhöfe wuchern? Alles dies war ihnen nicht egal, und dass sie im Recycling wie in den Appellen an die Vernunft der Autofahrer aktiv wurden, ist Ausdruck einer wohlverstandenen gesellschaftspolitischen Verantwortung. PR wirkte dabei als Frühwarnsystem, als Initiator und bei der Umsetzung mit.

(Avenarius 2001/2008 in Avenarius 2019, S. 213)

„Sollen sich Firmen aber auch um Belange kümmern, die über solche nächstgelegenen Einflussbereiche weit hinausgehen?“ Diese weitergehende Frage beantwortet Avenarius am Beispiel einer PR-Anzeige der Deutschen Shell AG 1995:

‘Wir kümmern uns um mehr als Autos‘ proklamierte (… Shell). Auf dem vorausgehenden Seitenpaar hatte es geheißen: ‚Wir wollen etwas ändern‘. Dabei, so der Text, ginge es nicht um Geschäft und Produkte. ‚Es geht vor allem um Sie, um Ihre Kinder, Ihre Eltern, Ihre Stadt, Ihre Umwelt‘. Man wolle, so las man weiter, einen Beitrag zu etwas mehr Menschlichkeit, Rücksicht und Hilfe leisten.

Diese mehrfach publizierte, später gestoppte Geste bleibt bis in die Wortwahl beispielhaft für eine ins Allgemeine erweiterte Firmenverantwortung. Ihre Motive wurden offengelegt: ‚Wir wollen nicht bestreiten, dass hinter dieser Aktion auch eigennützige Interessen stehen, die Kampagne somit zugleich Werbung für Shell ist. Unser Ziel ist es jedoch, diese mit einem sinnvollen Beitrag für das Gemeinwesen zu verknüpfen‘.

(Avenarius 2001/2008 in Avenarius 2019, S. 213f.)

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 „Kocks und Merten müssen mit solchen Auffassungen und Formulierungen wie der ‚Lizenz zu lügen‘, ob mit oder ohne Fragezeichen, verständlicherweise jeden Berufsverband, den PR-Ethik-Rat und viele Berufskollegen provozieren (…)“. (Avenarius/Bentele 2009, S. 24)

2 Zu seiner Tätigkeit als Ratsvorsitzender siehe im ersten Teil.