Bestandsaufnahme und Förderung der PR-Wissenschaft

Einschätzung des Standes der (amerikanischen) PR-Forschung

Abb.: Die von der Herbert-Quandt-Stiftung geförderten Tagungen und Tagungsbände wurden von deutschen PR-Autoren aufmerksam verfolgt. Auch Kunczik (1993, S. 31) geht darauf ein, wie dieser Ausriss zeigt.

Zweifellos gingen die Bemühungen der Herbert-Quandt-Stiftung 1988 davon aus, dass die PR-Wissenschaft in den USA weiterentwickelt sei als in (West-) Deutschland. Der (absolute) Stand wurde allerdings eher zurückhaltend beurteilt. Horst Avenarius (1994a, S. 270) referiert Benno Signitzer, „ein(en) gute(n) Kenner der nordamerikanischen Szene“, mit dessen Einschätzung von 1988, „erst seit 1975 (…) könne man ernsthaft von systematischer PR-Forschung in den USA sprechen“.

Eine Theorie, eine ganz eigene, aus dem Fach selbst erarbeitete und an seinen Gegebenheiten geprüfte Theorie der PR entstand daraus in den USA bislang nicht. Vincent Hazleton und Carl Botan organisierten 1987 eine Zusammenkunft von Kommunikationswissenschaftlern an der Illinois State University, die sich mit dieser Aufgabe befassten. Sie fügten die ausgetauschten Erkenntnisse in einem Sammelband zusammen, dem sie den Titel ‚Public Relations Theory‘ gaben (Botan/Hazleton 1989). Es waren jedoch nur Bausteine dazu.

(Avenarius 1994a, S. 271.)

„Der Forschungsausschuss der amerikanischen Association for Education in Joumalism and Mass Communication (AEJMC) bewertete die Forschungsaktivitäten seiner Fachgruppe Öffentlichkeitsarbeit 1987 mit einem recht bemerkenswerten Votum (hier in einer Übertragung von Barbara Baerns wiedergegeben): (…)“ (Avenarius 1994a, S. 272)

(…) ‘Trotz ihrer großen Mitgliederzahl belegt die Gruppe gemessen an ihren Forschungsergebnissen wieder einmal den letzten Platz innerhalb unserer Aktivitäten. Die Forschungsbemühungen der Gruppe sind insgesamt gering. Die Gruppe scheint mit anderen Fachgruppen unserer Organisation intellektuelle Interessen kaum zu teilen.‘

(Zitiert nach Avenarius 1994a, S. 272)

Einschätzung des Standes der (deutschen) PR-Forschung

Das „Tor der Wissenschaften (…) weit aufgestoßen“ hätten Ronneberger/Rühl 1992 in Deutschland, die einen „erste(n) in sich geschlossene(n) Entwurf“ vorlegten, „der den PR eine eigenständige, wissenschaftlich fundierte Theorie zugrunde legte“ (Avenarius 1994a, S. 271). Und unter den Kommunikationswissenschaftlern habe sich in den 1980er-Jahren „die Einsicht in die Notwendigkeit, das Fach PR zu lehren“, vermehrt (S. 278).

Abb.: Autorenvorstellung von Avenarius in Armbrecht/Zabel 1994.

Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Einschätzung von Avenarius, dass es im Deutschland Anfang der 1990er-Jahre zu wenig Beachtung für das Wissensgebiet der Öffentlichkeitsarbeit gäbe. „Es mag daran liegen, dass die deutsche Kommunikationswissenschaft historisch aus der Zeitungsbetrachtung entstanden ist und dass sie ihre medienzentrierte Forschungstradition (…) bis auf den heutigen Tag beibehalten hat.“ (S. 274)1

Avenarius (1994a, S. 275) stimmt Rühl außerdem zu, dass PR von ‚älteren Forschern‘ ‚ignoriert‘, ‚kritisiert‘ oder ‚denunziert‘ werde. Und er fragt weiter: „Warum ‚denunzierten‘ sie wohl? Vielleicht liegt der Grund in einer Überlegung, die wir kürzlich in einem Brief des amerikanischen PR-Forschers Carl Botan an die Herbert-Quandt-Stiftung fanden (…)“ und Auswirkungen der NS-Diktatur ins Spiel bringt.2

Avenarius resümiert:

Die Methoden der NS-Propaganda lasten in der Tat wie ein düsterer Schatten auf der deutschen PR-Wissenschaft, ebenso wie die Machenschaften der press agentries in den USA auf der amerikanischen. Beide versuchen sie dadurch zu verscheuchen, dass sie Propaganda und Publicity aus ihrem Kanon verbannen. Es hat ihnen bislang nur wenig geholfen.

(Avenarius 1994a, S. 275)

Diese Erkenntnis dürfte wesentlich erklären, warum Horst Avenarius in seinem Lehrbuch von 1995 (siehe weiter hinten) ein sehr breites Verständnis von Public Relations und noch dazu offensiv, ja provokant, vertritt.

Drei wissenschaftliche Symposien 1990, 1992 sowie 1993 und ihre Tagungsbände

Salzburger Tagung 1990

Das Symposium am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg im Dezember 1990 hatte sich „(e)ine Bestandsaufnahme (…) grundsätzlicherer Art (…) zum Ziel gesetzt“ (Zöllner 1994, S. 234). Avenarius und Armbrecht3 – beide sind Herausgeber des Tagungsbandes „Kann PR eine Wissenschaft sein?“ (1992) – gelingt es mit den namhaften Autoren Hazleton, Grunig, Saxer, Rühl u. a., „einen guten Eindruck vom gegenwärtigen Konsens (und auch Dissens) auf diesem Wissenschaftsgebiet“ zu vermitteln. Zugleich zeigen die Beiträge u. a. von Baerns, Haedrich oder Schulz „multidisziplinäre Ansätze für die Erschließung des weiten Wissenschaftsfeldes Öffentlichkeitsarbeit auf(…)“ (Zöllner 1994, S. 234f.).

Insgesamt unterstreicht die Publikation die eminente Bedeutung der Theoriebildung für die Public-Relations-Forschung (…). Auch wenn die meisten Autoren bloß frühere Forschungsergebnisse reproduzieren, so bringen sie diese im hier vorliegenden Band jedoch in geraffter Form ‚auf den Punkt‘. Somit ist er als auf hohem Niveau konzipierte Einführung in Grundprobleme der PR-Forschung bestens geeignet (…).

(Zöllner 1994, S. 235)

Berliner Tagung 1992

Abb.: Ausriss aus einem Fachbeitrag im PR-Magazin 1992, Heft 3 (S. 56f.), von Reinhold Fuhrberg über die Tagung von 1992.

Avenarius gehört auch wieder zu den Herausgebern des Sammelbandes, der die Vorträge der Folgeveranstaltung zum Salzburger Symposium, die 1992 in Berlin stattfand, dokumentiert.4 Diesmal ist der Fokus enger gesetzt: „Kann Image Gegenstand einer Public-Relations-Wissenschaft sein?“ (1993) Die Vielfalt der Herangehensweisen ist aber kaum geringer: Kommunikationswissenschaftliche, sprachphilosophische, wahrnehmungspsychologische, symbolische u.a. Ansätze werden von den Autoren verfolgt.

Das Problemfeld der Reputation, in unserer mehr und mehr bildorientierten Gesellschaft gemeinhin als ‚Image‘ aufgefasst – auch wenn wohl kein Terminus der PR so schillernd, umstritten und missverständlich ist –, behandelt (der) Sammelband (…) (E)ine Sammlung von durchweg konträren Beiträgen auf höchstem Niveau, die ein facettenreiches Diskussionsforum wiederspiegeln und zusammengenommen ein hervorragendes Kompendium der PR-Forschung ergeben. Wenn die Hälfte der sechzehn Beiträge in englischer Sprache ist, lässt sich erahnen, dass die Zukunft der PR-Forschung in der Tat ‚transatlantisch‘ sein muss (…).

(Zöllner 1994, S. 236 und 238)

Münchner Tagung 1993

Abb.: Titel von Armbrecht/Zabel 1994.

„Die dritte Sammelpublikation aus dem Umfeld von Armbrecht, Avenarius und Zabel5 – wieder Resultat einer Tagung – nimmt sich mit dem Problemfeld Ethik der ‚Normativen Aspekte der Public Relations an (…).“ (Zöllner 1994, S. 238)6 Die Münchner Tagung diskutiert neben philosophischen, rhetorischen, vertrauenstheoretischen u. a. Aspekten die „ethischen Implikationen der zweiwegig-symmetrischen Dialog-PR, besonders prominent von James E. Grunig vertreten“ (S. 238).

Dieses Problemfeld wird umfassend herausgearbeitet, worin das Verdienst des Sammelwerkes liegt. Allerdings ist festzustellen, dass die Ähnlichkeit des Buches mit den beiden anderen aus dem Umkreis von Armbrecht, Avenarius und Zabel recht groß ist – viele Beiträge sind repetitiv, oft ist lediglich die Perspektive der Betrachtung graduell geändert. Insofern bietet der dritte Band aus dieser Reihe häufig ‚more of the same‘.

(Zöllner 1994, S. 239)

Teilzusammenfassung

Abb.: Avenarius war mit Aufsätzen auch in anderen Fachpublikationen vertreten, hier Avenarius 1995a in einem Sammelband zum Stand der PR-Ausbildung (Titel).

Szyszka zählte insgesamt 48 Beiträge dieser drei Tagungen. Unter dem Aspekt des PR-Theorie-Praxis-Diskurses hebt er vier hervor. Diese machen zugleich deutlich, dass auf den Tagungen nicht nur ‚Rezeption‘ stattfand, sondern auch ‚Spuren gelegt‘ wurden:

  • „Rühl (1992) fasste dort eine Essenz des 1992 gemeinsam mit Ronneberger veröffentlichten PR-Entwurfs einschließlich dessen Herleitung zusammen.
  • Saxer (1992) skizzierte einen innovationstheoretischen Zugang, der bald Einfluss auf Fassung und historische Verortung von Public Relations nahm.
  • Bentele (1992, 1994) präsentierte erstmals Bausteine seines rekonstruktivistischen PR-Ansatzes.
  • Mast (1992) implementierte den Begriff der ‚Kommunikationspolitik‘ wie selbstverständlich in unternehmenspolitischer statt in Marketing- oder politikwissenschaftlicher Perspektive.“ (Szyszka in Hoffjann/Huck-Sandhu 2013, S. 245)

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Ähnlich heißt es in WBV 1995: Die Kommunikationswissenschaftler „sind so ausschließlich auf die Medien fixiert, dass sie sich selbst die Vorurteile der Presse gegenüber der PR zu eigen machen. Der Autor fordert von ihnen einen Paradigmenwechsel von einer medienzentrierten zu einer quellenorientierten Betrachtungsweise.“

2 Geschrieben nach seiner ersten Begegnung mit deutschen PR-Wissenschaftlern bei der Stiftung im Dezember 1990 in Salzburg initiierten Tagung zum Thema „Ist PR eine Wissenschaft?“: “lt occurs to me that a German colleague may face a challenge not faced by participants from other developed countries. I am not sure, but in addition to the questions I pose to everyone, German work in public relations may face special questions because of the Nazi period. Is part of the response to public relations in Germany based on the perception of PR as something that was used immorally by the Nazis? Are the international public relations efforts of German companies (and government) judged by a different standard from American, or British efforts because of the Nazi period (a double standard)?” (Zitiert nach Avenarius 1994a, S. 375)

3 Wolfgang Armbrecht hatte ebenso wie Avenarius wichtige Kommunikationsfunktionen bei BMW inne. Vgl. Armbrecht/Zabel 1994, S. 309.

4 Vgl. auch Avenarius 1993 im Journal of Public Relations Research.

5 Ulf Zabel arbeitete seit 1988 für die Herbert-Quandt-Stiftung. Vgl. Armbrecht/Zabel 1994, S. 314.

6 Auf dem Buchdeckel werden nur Armbrecht und Zabel (1994) als Herausgeber genannt. Als Autor ist Avenarius (1994) mit dem Schlussbeitrag vertreten.