PR-Lehrbuch von 1995 (III): PR als „Grundform“

Basisthese (Ia) des Buches von 1995: PR als Grundform gesellschaftlicher Kommunikation, weil jede öffentliche Kommunikation Beziehungen schafft

Abb.: Horst Avenarius 2015. Quelle: Pressetext von DRPR/Günter Bentele im PR-Journal 26.8.2015 https://pr-journal.de/nachrichten/personalien/16439-dr-horst-avenarius-feierte-in-gauting-seinen-85-geburtstag.html

„Für den Autor ist PR die Grundform der gesellschaftlichen Kommunikation“, wiederholt die Pressemitteilung des Verlags den Untertitel des Werkes. Und, gewiss richtig: „Diese Betrachtungsweise ist neu und wird voraussichtlich auf Widerstand stoßen.“ (WBG 1995)

Wissenschaftlichen Anstoß erregte der Untertitel des Bandes, den der Verfasser mit der Frage begründete (Avenarius 1995: XI): ‚Lassen sich mit PR nicht die meisten Probleme unserer Gesellschaft – eine Informationsgesellschaft nota bene – klären, lösen, bereinigen, vertuschen, auf jeden Fall hinwegschaffen?‘

(Kunczik/Szyszka 2015, S. 136)

Trotz aller vorhergesehenen Widerstände „beharren“ wir – schreibt Avenarius (1995, S. 5) – „auf unserem einfachen, axiomatischen Ansatz für das Verstehen von PR“.

Er argumentiert wie folgt: „(…) PR beinhaltet die Fähigkeit, Beziehungen zu schaffen. Diese Fähigkeit liegt – als conditio sine qua non – aller öffentlichen Mitteilung zugrunde.“ Unter Berufung auf Paul Watzlawick intendiere „(j)ede Kommunikation mit Öffentlichkeiten (…) mehr als eine Mitteilung“. Sie ziele darauf ab, „eine Beziehung zu den angesprochenen Publika zu schaffen. Jede Kommunikation mit Öffentlichkeiten ist im Prinzip Public Relations.“ (Avenarius 1995, S. 3) Damit ist PR eine „anthropologische Konstante“ (Reisewitz 2018), zumindest seitdem es „Öffentlichkeit“ gibt.

Basisthese (Ib) des Buches von 1995: Jede Beziehungen schaffende Kommunikation ist persuasiv

Bereits vor Herausgabe seines Lehrbuches von 1995 hatte Avenarius (1994a, S. 282) jenen Autoren zugestimmt, die „das Wesentliche der Kommunikationsform Public Relations“ in der „Persuasion“ sahen.

Dabei unterwirft er sich nicht den weithin üblichen Abgrenzungen der PR von Propaganda, Marketing und Journalismus (1994a, S. 283). Indem er all diesen Kommunikationsbereichen Persuasivität unterstellt, untermauert er seine Basisthese (Ia) von der PR als Grundform gesellschaftlicher Kommunikation.

Durch Kommunikation zu überzeugen oder zu überreden ist nicht nur das Ziel aller Public Relations als geplante Kommunikation; es ist nicht nur das Bemühen aller publizistischen Kommunikatoren, also der Presse; es ist das Grundanliegen jeder Kommunikation.

(Avenarius 1995, S. 76)

Basisthese als intellektuelle Provokation mit Blick in die Zukunft

Unumwunden und selbstbewusst räumt Horst Avenarius die Ungewöhnlichkeit seines Herangehens ein: „Andere Ansätze sind geläufiger. (…)“

(…) Da gibt es die zweckhaft-rationalen Ansätze der Praktiker, darunter den die PR instrumentierenden Marketingansatz; sie positionieren die Öffentlichkeitsarbeit als arbeitsteilige Einheit in Organisationen. Da gibt es die gesellschaftspolitischen Ansätze etlicher deutscher Kommunikationswissenschaftler; sie verschaffen den nachdenklicheren Protagonisten die Rechtfertigung, sich mit dem suspekten Thema PR zu befassen. Und da gibt es deshalb auch die moralischen Ansätze des Publikums, die Frage, ob alles sein darf, was alles geschieht.

Wir ziehen auch diese Ansätze in Betracht. Wir vergessen vor allem nicht den ethischen Aspekt. Geplante Kommunikation kann gefährlich, ja geradezu diabolisch sein. Wir haben daher die Messlatte des rechten Verhaltens sehr hoch zu legen.

(Avenarius 1995, S. 5)

Avenarius sieht sich mit seinem Ansatz bestens für die Zukunft ausgerüstet: „Immer mehr Berufsgruppen werden realisieren, dass sie mit ihrer Kommunikation in öffentlichen Beziehungsfeldern ‚arbeiten‘. (…)“

Das gilt gewiss für alle berufsmäßigen Kommunikatoren, seien es die PR- und Marketingleute der verschiedensten, in unseren Gesellschaften wirkenden Organisationen und Institutionen oder seien es die Presseleute. Erstere haben es in der Regel auf Zustimmung oder Eindruck abgesehen, letztere auf eine Leser-Blatt-Bindung und andere Formen der Anhänglichkeiten an ein Medium im Wettbewerb mit anderen. Es gilt aber auch für Einzelkämpfer: Politiker allemal; Professoren, die für eine eigene Theorie Zulauf suchen; Schriftsteller, die Gehör finden wollen.

(Avenarius 1995, S. 4)

In einem Aufsatz von 1997 bekräftigte Avenarius seine Position:

Jedes kommunikative Wirken in Öffentlichkeiten ist Werbung um Vertrauen. Public Relations ist schon deshalb die Grundform der gesellschaftlichen Kommunikation. Hatte sich der Journalismus wie vormals die Hohen Gerichtshöfe und davor die Kirchen lange Zeit geziert, diesen Sachverhalt anzuerkennen, so sehen sie sich jetzt allesamt in eine Welt von geplanten, sogar strategischen Kommunikationsformen eingesponnen.

(auch in Avenarius 2019, S. 177)

Zu seinen Auffassungen zum Verhältnis von PR zu Propaganda, Werbung/Marketing und Journalismus siehe weiter im nächsten Kapitel.

 

 

Autor(en): T.L.