Wandel in Ökonomie und Gesellschaft

Leguminosen: ein Produkt zur rechten Zeit, aber erklärungsbedürftig

Abb.: Anzeige für das Leguminosenmehl von Maggi. Quelle: Anzeige von 1885 (A.H.).

Maggi überschritt die Grenzen der traditionellen Müllerei und beschäftigte sich zunächst mit der – auch chemischen – Verarbeitung von „Leguminosen“, also Hülsenfrüchten, zu einem neuartigen Lebensmittel, das nährstoffreich und zugleich in der Küche leicht verwendbar war. Schon der sperrige Begriff und die kurze Beschreibung deuten den hohen Kommunikationsbedarf an, den das Produkt mit sich brachte. Neue Technologien in Land- und Nahrungsgüterwirtschaft und Chemie ermöglichten Produktinnovationen, die in physischer Gestalt und Verarbeitung – sowohl bei der Herstellung im Produktionsbetrieb als auch bei der Verwendung in der heimischen Küche – mit bisherigen Gewohnheiten brachen. Man kann sich vorstellen, wie diese „Kunstspeise“ auf Menschen gewirkt hat, die die bisherigen Ernährungs-, Zubereitungs- und Essgewohnheiten des dörflich-bäuerlichen Lebens kannten.

Allerdings: Maggis Leguminosemehl reagierte auf ein sozial brennendes Problem, denn die vielen Menschen, die vom Dorf in die Städte zogen und in den Industriebetrieben Arbeit fanden, konnten sich dort nicht mehr so ernähren wie früher. Weder waren die klassischen Produkte aus Pflanzen (beispielsweise Roggengetreide) und Tier sowie Raum und Hilfsmittel (z.B. Holz) einer Bauernküche verfügbar oder bezahlbar, noch ließ der Takt der Fließbänder genügend Zeit für die traditionellen Kochverfahren. Dies tat der Gesundheit nicht gut, was auch bald die Arbeitgeber, die Fabrikbesitzer merkten: Schlecht ernährte Arbeiter brachten weniger Leistung und wurden schneller krank.

Der Wandel und die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft

Aus dieser Konstellation zwischen neuen technologischen Möglichkeiten und massenhaftem individuellen Wandel, der die Ausmaße eines gesellschaftlichen und kulturellen Problems annahm, erwuchs die ökonomische Chance von Maggi – aber auch die damit verbundene große kommunikative Aufgabe. Ein individueller Unternehmer allein, beispielsweise mittels klassischer Produkt-Reklame, hätte diese wohl nicht schultern können.

Die Einführung neuer, bisher nicht gekannter Waren und Dienstleistungen veränderte z.T. die Lebensweise breiter Bevölkerungskreise grundlegend, sodass bloß auf Absatz gerichtete Aktivitäten erfolglos bleiben mussten, wenn sie nicht mit grundsätzlicher Aufklärung über die neuen individuellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten einhergingen.

(Bentele/Liebert 2005, S. 232; vgl. auch Liebert 2003)

Ein einzelner Unternehmer, wie Julius Maggi, hätte die Problematik möglicherweise auch nicht in ihrer ganzen Dimension überblickt. So war es die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG), die die Brisanz der „sozialen Frage“ erkannte und die Lebens- sowie Ernährungsbedingungen der Arbeiterschaft verbessern wollte. Sie gab Maggi 1882 den Anstoß zur Entwicklung des neuartigen Produktes und zugleich diente sie als wichtige Bühne seiner Vermarktung: Maggi überzeugte die SGG von seiner chemisch-technischen Lösung, dem hohen Eiweißgehalt und dem günstigen Preis. Die SGG schloss nun mit Maggi einen Vertrag ab und verpflichtete sich, ausschließlich deren Leguminosen zu „patronisieren“, um die hohen Investitionskosten von Maggi zu kompensieren.

Maggi erhielt außerdem das Exklusivrecht für Werbung mit dem Namen der SGG. Auf Verpackungen und Zeitungsannoncen wurde fortan der Name der SGG immer wieder in Verbindung mit Maggi gebracht. Broschüren mit lobenden Kommentaren über Maggis Leguminosen wurden auf Kosten der Gesellschaft gedruckt und verteilt. Auch Ärzte, Betriebsköche und Vertreter anderer ernährungsrelevanten und einflussreichen Berufe hat die SGG angesprochen und mit Material versorgt, um sie von den Vorteilen der Maggi-Leguminosen zu überzeugen – mit Erfolg. In der Presse war zwar dieser Exklusivvertrag zwischen Maggi und SGG in Kritik geraten (mit dem Argument, dass eine gemeinnützige Organisation keine Unternehmen vorziehen dürfte), man hat aber auch in vielen Fällen positiv über die Leguminosen berichtet und dabei die Empfehlung seitens der SGG betont.1

Vermutlich hätte es ohne die „public-private partnership“ zwischen SGG und Maggi – und ohne die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit – den Durchbruch für Maggi nicht gegeben.

Autor(en): T.L.E.V.

Anmerkungen

1 Kunczik 1997, S. 208.