Markenaufbau und Vertriebssystem
Mit Bouillon zur Marke
Kochfertige Suppen und Würzen prägten ab der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre das Geschäft von Maggi. Dass sich der Firmengründer in diese Richtung bewegte, lag am zunächst noch nicht optimalen Geschmack seiner Leguminosen. Deshalb widmete sich Maggi der Entwicklung des Bouillon-Extracts – der heutigen Suppenwürze -, ein preiswertes Produkt, mit dessen Hilfe sich der Geschmack von Speisen verfeinern ließ. Auf dieser Grundlage konnte Maggi schließlich die ersten kochfertigen Suppen herstellen, die dem Geschmack der hausgemachten Suppen nahekamen und sich fortan als Volksnahrungsmittel für die Schweizer durchsetzten.1
1887 begann die Expansion nach Deutschland. Aus zollpolitischen Gründen eröffnete Maggi am 1. Mai 1887 die verkehrsgünstig gelegene deutsche Niederlassung, gründete zehn Jahre später die Maggi GmbH Singen und übertrug ihr den Vertrieb sämtlicher Maggi-Erzeugnisse. Der Handelsregistereintrag am 17. August 1897 stellte für das Unternehmen einen Einschnitt dar: Das ehemals schweizerische Unternehmen wurzelte von nun an in deutschem Boden.2 Aus italienischer Aussprache (sprich: ‚Madschi‘) wurde das heutige deutsche ‚Maggi‘. 1898 wurde das Auslieferungslager in Berlin zur Verwaltungszentrale der Firma.
Die Suppenwürfel und Würzmittel verursachten ähnliche kommunikative Herausforderungen wie die Leguminosen. Gerade weil diese Produkte nicht sinnlich-konkret Nährwert und Geschmack kommunizieren konnten, bedurfte es quasi eines „kommunikativen Stellvertreters“, der Marke. Eine zentrale Rolle spielte dabei ab 1887 die typische Flaschenform der Maggi-Würze.3
Maggi war aber auch bewusst, dass der Erfolg eines Markenartikels zunächst einmal auf hoher und gleichbleibender Qualität sowie auf Überall-Verfügbarkeit (Ubiquität) beruht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Vertrieb von Produkten allerdings noch von vielen Hindernissen erschwert: In kleineren Orten gab es noch keine Verkaufseinrichtungen, selbst in kleinen Städten häufig keinen Lebensmittelladen. Die Lieferzeiten waren wegen der teilweise noch schlechten Verbindungen sehr lang.
Die Maggi-Apostel
Maggi, wie auch viele andere Firmen, waren darauf angewiesen, ein (eigenes) Händlersystem aufzubauen. Diese Händler reisten von Ort zu Ort. Einerseits belieferten sie die örtlichen Händler und andererseits verkauften sie die Produkte direkt. Die reisenden Händler waren für einen großen Teil der Bevölkerung der einzige Zugang zur wachsenden Warenwelt. Für Maggi waren sie so wichtig, dass sie firmenintern anerkennend als „Apostel des Maggi-Evangeliums“ bezeichnet wurden.4
Die „Apostel“ sammelten oft Interessenten um sich und führten ihnen in vivo vor, wie man mit Maggi-Produkten das Essen verfeinern konnte.5 Diese Tradition der Kochvorführungen wurde später im 20. Jahrhundert fortgesetzt, in den 1950er-Jahren mit dem reisenden „Fridolin“ und dann mit dem Maggi-Kochstudio und den Kochstudio-Treffs. Wichtige Aufgabe der Maggi-Reisenden war es auch, in jedem Ort einflussreiche Menschen (Meinungsführer), wie Ärzte und Lehrer, anzusprechen und diese von der überragenden Qualität der Maggi Produkte zu überzeugen.
Zugleich fungierten die reisenden Händler als „Wächter der Qualität“. Sie überprüften die Qualität der von den örtlichen Händlern angebotenen Maggi-Produkte. „Schwarze Schafe“ vermischten damals Maggi-Produkte mit anderen minderwertigen Erzeugnissen und füllten die Mischungen dann in Maggi-Verpackungen ein, um vom guten Namen der Firma zu profitieren. In solchen Fällen schlug die Firma, sich auf den Bericht der Reisenden stützend, konsequent zu: Durch Anzeigen in der jeweiligen örtlichen Presse informierte sie die Öffentlichkeit über die Fälschung der Originalprodukte und die Suspendierung des betroffenen Händlers. So stellte Maggi sein Qualitätsimage unter Beweis. Die „Apostel“ waren auch damit beauftragt, die Schaufenster von Maggi-Händlern zu kontrollieren, um eine günstige und markengerechte Präsentation der Ware im Laden zu gewährleisten.