Treiber der Motorisierung: Automobilrennsport

Massenspektakel Autorennen und seine Protagonisten

Rennstall von Auto Union

Abb.: Porträt von Dr. Ferdinand Porsche, aufgenommen durch ein Lenkrad (1940). Fotograf unbekannt. Quelle: ADN-Zentralbild, jetzt Bundesarchiv Bild 183-2005-1017-525 / Wikimedia Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war der Motorsport in Deutschland schon ein „großes Massenspektakel“. Bereits 1932 war der Plan aufgekommen, „durch Kooperation von Automobilindustrie und Autoclubs1 einen von Ferdinand Porsche2 entwickelten Rennwagen zu realisieren“. (Day 2004, S. 92) Seine „P-Wagen“-Pläne verkaufte Porsche – obwohl früherer Mitarbeiter bei Mercedes-Benz – an die Auto Union, deren Rennstall bei Horch in Zwickau angesiedelt war.

Die neuen Wagen fuhren ab 1934, pilotiert vom damals schon sehr bekannten Hans Stuck (1901-1978, siehe auch weiter hinten). Stuck hatte bei Hitler „in Sachen Rennsportförderung“ schon vorgesprochen, als der noch nicht Reichskanzler war, und zwar mit positivem Ergebnis (Osteroth 2004, S. 123).3 Zum Fahrer-Team gehörten außerdem Prinz Leiningen und Wilhelm Sebastian, dann auch Bernd Rosemeyer (1910-1938). Durch eine rege Nachwuchsarbeit kamen mehrere neue Fahrer hinzu.4

Rennstall von Mercedes-Benz

Mercedes-Benz aus Stuttgart startete 1934 ebenfalls mit einem neuen Wagen. Die Rennpiloten Rudolf Caracciola (1901-1959) – „eine Art Mannschaftskapitän“ trotz schwerem Unfall 1933 in Monte Carlo – und Manfred von Brauchitsch hatten schon vor 1933 Siege eingefahren.

Ab 1937 wurde Hermann Lang (1909-1987) der drittwichtigste Fahrer, außerdem verpflichtete Mercedes-Benz – wie übrigens auch Auto Union – ausländische Piloten. (Day 2004, S. 99 und 255ff.)5

Rennsport und das NS-Regime

Abb.: Silberpfeil in Berlin. Vollverkleideter Mercedes W 25 K in der Steilkurve der AVUS, 1937. Fotograf unbekannt. Quelle: Bundesarchiv B 145 Bild-P016402 / Wikimedia Commons, Attribution-Share Alike 3.0 Germany license (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Rennsport war für das NS-Regime aus verschiedenen Gründen sehr attraktiv. „Tempo galt als ultimative Skala für den technischen Zivilisationsgrad einer Industrienation“.

Technisch und sportlich bestanden gute Chancen, die bis Mitte der 1930er-Jahre in „ausländischem Besitz“ befindlichen „absoluten Rekorde zu Wasser, zu Lande und in der Luft“ nach Deutschland, „‘heim ins Reich‘ zu holen“. Damit ließ sich eine massenwirksame Story spinnen, quasi als automobiler und rennsportlicher Vorgriff auf grundsätzliche Siegabsichten und Weltmachtambitionen. (Day 2004, S. 180f.)

Rennsport als relativ selbstständige kulturell-mediale Sphäre

Themenspezifische Teilöffentlichkeiten mit Eigendynamik

Während das Regime seinerseits gezielt versuchte, alle Lebensbereiche dauerhaft unter Kontrolle zu bringen, gab es andererseits im öffentlichen Leben des Dritten Reichs durchaus Bereiche, die einer Eigendynamik von Kommunikation und Erfahrungsaustausch folgten und somit eine hohe Resistenz gegenüber dem politischen Regime aufwiesen.

(Bokel 1997, S. 95)

Es bildeten sich relativ eigenständige kulturelle und massenmediale Diskurse, in deren Zentrum beispielsweise „Technik, Sport und Konsum“ standen (Day 2004, S. 10). Ein solcher Bereich entstand mit dem Automobilsport rund um die Rennpiloten von Mercedes-Benz und der Auto Union.6

Abb.: Förderlich war auch, dass der Rennsport bereits vor 1933 große Attraktivität besaß. Eröffnungsrennen des Nürburgrings am 18. Juni 1927. Rudolf Caracciola und Beifahrer siegen mit ihrem Mercedes Typ S. Quelle: Titelseite des Echo Continental im Juli 1927 (15. Jahrgang, Heft 5), signiert von Theo Matejko (1893 – 1946).

Wie wurde dies möglich? Sicherlich auch, weil der Diktator Hitler „mit seiner naiven Begeisterung für die Profisportarten Boxen und Automobilsport“ nah am „Geschmack des Massenpublikums“ war. Die ideologische Haltung der Nationalsozialisten zum Autorennsport geriet allerdings durchaus widersprüchlich. (Day 2004, S. 113. Vgl. auch S. 115f.).

Rennsport mit Helden und Rekorden sowie als Vorschuss auf Massenmotorisierung

Anderes ist aber wohl wichtiger: Die archaische, epochenübergreifende Thematisierungs- und Faszinationskraft von „Helden“ (und ihrem Tun) und die besondere von Sport (teilweise seit ur-olympischen Zeiten) sowie Technik (vor allem seit der industriellen Revolution) mit ihren jeweiligen – zum massenmedialen Funktionsprinzip und Takt passenden – „Rekorden“ dürfte die eine Seite der Medaille recht gut erklären. Der Sportkalender war bis 1939 mit Grand-Prix-Rennen, Eifelrennen, Großem Preis von Deutschland sowie – insbesondere aus absatzpolitischen bzw. werblichen Gründen – Veranstaltungen im Ausland gut gefüllt und generierte periodisch neue Tatsachen und Emotionen.7

Abb.: Zwei Volkswagen (KdF-Autos, später VW Käfer) auf der Reichsautobahn (Januar 1943). Quelle: Bundesarchiv Bild 146-1979-025-30A / Wikimedia Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

Die andere Seite der Medaille ist wohl zeitgenössisch-konkret zu verstehen: Der Rennsport wirkte als kommunikativer und propagandistischer „Vorschuss auf die von oben versprochene Massenmotorisierung“ (NS-Volkswagen, Autobahnen etc.), die von vielen – auch im Zusammenwirken mit der „Medienrevolution“ durch den Rundfunk – als noch weitergehendes Mobilitäts-Angebot interpretiert wurde.

Allein das bloße Versprechen von höherer Mobilität ermunterte viele Daheimgebliebene, ihren lokalen Horizont geistig zu überschreiten und eine mentale Mobilität zu entwickeln. Und häufig genug war dieses ‚Bild des Fortschritts (…) mit dem Hakenkreuz signiert.‘

(Day 2004, S. 15f., teilweise unter Zitierung von Peukert 1982 und Kaschuba/Lipp 1980)

Darin besteht wohl eine Ironie der Geschichte: Gerade zu Beginn der NS-Diktatur ergriff mit Motorisierung und Mobilität ein individuelles Freiheitsversprechen die Massen.8

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Der ADAC und der AvD schlossen sich 1933 zum DDAC (Der Deutsche Automobil-Club) zusammen. Darüber und vor allem mittels Infiltration durch das NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahr-Korps = die ehemals motorisierte SA-Truppe) erfolgte die Gleichschaltung der Verbändeszene. Schließlich übernahm das NSKK „die gesamte Motorsportorganisation, die seit September 1933 der Obersten Nationalen Sportbehörde für die deutsche Kraftfahrt (ONS) unterstellt wurde“. (Vgl. Day 2004, S. 93-97, insbesondere S. 95)

2 Gehörten Daimler, Benz und Diesel zur ersten Generation der Autobauer, war Ferdinand Porsche „einer der führenden Köpfe der zweiten Generation, die dem Automobil in pragmatischer Kombinatorik mehr und mehr zur Alltagstauglichkeit verhalfen“. (Osteroth 2004, S. 10)

3 Stucks persönliche bzw. rennsportliche Lobby-Erfahrungen mit Hitler waren für das junge Unternehmen gewiss sehr wertvoll: am 1. März 1933 hatte Stuck – nun gemeinsam mit Auto-Union-Chef von Oertzen und Konstrukteur Porsche – einen zweiten Termin bei Hitler. Porsche hatte vorher Hitler telegrafiert und seine Dienste angeboten. Der Termin der Auto-Union-Delegation schien zunächst nicht gut zu laufen, wendete sich dann aber positiv. Aber auch Mercedes-Benz verteidigte seinen Einfluss bei Hitler. (Vgl. Osteroth 2004, S. 126ff.)

4 Vgl. Kirchberg 1984, S. 10ff., 171ff., und Day 2004, S. 98. Zu Rosemeyer siehe bei Day auch S. 232ff., zu Stuck S. 250ff.

5 Zu Caracciola vgl. auch Osteroth 2004, S. 86ff., und Day 2004, S. 221ff., zu Lang dort S. 228ff. Siehe auch Kirchberg 1984 an verschiedenen Stellen.

6 Vgl. dazu Day 2004. Er umreißt auch den interdisziplinären Forschungsstand zum Rennsport im NS-System (S. 16f.).

7 Vgl. Day 2004, S. 98ff.

8 Damit ist wohl zugleich ein wichtiges Strukturproblem jeder Gesellschaft und insbesondere ein Funktionsprinzip von autoritären oder diktatorisch geführten Gesellschaften benannt: Menschen schätzen die allgemeine, „höhere“ politische Freiheit auf staatlich-gesellschaftlicher Ebene nicht unbedingt als wichtiger ein als soziale, ökonomische, kulturelle „Freiheiten“ im individuellen Alltagsleben bzw. in gesellschaftlichen „Nischen“.