Infrastruktur der Motorisierung: Autobahnen

Funktionen der Reichsautobahnen

Moderne Verkehrsinfrastruktur einer motorisierten Konsumgesellschaft

Autos müssen fahren, dazu sind Straßen nötig. Massenmotorisierung und flotte Autos brauchen viel und gute Fernverkehrs-Straßen, bequeme Autobahnen am besten. Massenabsatz von Individualfahrzeugen und ein leistungsfähiges Autobahnnetz, leistungsstarke Motoren und sichere Schnellverkehrswege bedingen einander – auch heute noch wird zwischen den Absatzinteressen der Autoindustrie, dem Mobilitätserfordernis kapitalistischer Marktwirtschaft und der prinzipiell fehlenden Geschwindigkeitsbegrenzung auf bundesdeutschen Autobahnen ein Zusammenhang gesehen.

Abb.: Die NS-Zeitung „Völkischer Beobachter“ vom 22.7.1933 (Titelseite).

Beim Bau der Reichsautobahnen ab 1933 vermischten sich allgemeine Erfordernisse moderner, motorisierter Gesellschaften mit spezifischen Interessen der NS-Diktatur.

Autobahnen als Testgelände für die Autoindustrie

In der NS-Zeit dienten Autobahnen zugleich als Strecken für Schnellfahrversuche, 1936 fand auf der Reichautobahn Frankfurt-Darmstadt der erste Rekordwettbewerb statt: „Wundertaten auf der Wunderbahn“ sollte es geben. Bereits 1934 fuhr Rennfahrer Hans Stuck für Werbezwecke auf der Berliner „Avus“. Auch auf der Autobahn Berlin-Halle/Leipzig, der heutigen A 9, wurde bei Dessau eine „Spezialrekordstrecke“ eingerichtet (Kirchberg 1984, S. 112).

Autobahnen als Gegenstand und Bühne politischer Inszenierungen

Abb.: Titel einer Ausgabe von Die Autobahn, herausgegeben von einer frühen Autobahn-Fördergesellschaft, der Hafraba, zum Baubeginn im September 1933. Vgl. dazu auch Schütz, Erhard; Gruber, Eckhard (1996): Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933-1941.

Die NS-Strategen nutzten diese Konstellation zudem für ihre politische Inszenierung – so als „erste(n) Spatenstich“ Hitlers an der Reichsautobahn bei Frankfurt im September 1933 (Osteroth 2004, S. 140) – und die Lösung anstehender Probleme (Arbeitsbeschaffung, internationale Geltung, Infrastrukturverbesserung auch für Kriegsvorbereitung etc.). Daraus ergab sich ein medial sehr wirksames „Bedeutungsgeflecht“ von „Rekordjagd, Autobahnveredlung, wissenschaftliche(m) Mehrwert für (…) Massenmotorisierung und nationale(r) Herausforderung“. (Day 2004, S. 181-183)

Autobahnen als Projekt der Beeindruckung und Integration von Gemeinschaft

Abb.: Titel einer wichtigen Sekundärquelle zum Thema: Schütz, Erhard; Gruber, Eckhard (1996): Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933-1941. Berlin: Christoph Links.

Die Reichsautobahnen bildeten „in der Propaganda das Herzstück des wirtschaftspolitischen Masterplans Hitlers“ (Kunze/Stommer 1982, S. 28. Zit. nach Day 2004, S. 181). Die bereits lange vorher ersonnenen „Nur-Autostraßen“ wurden nun als „Straßen des Führers“, als „größte Bauleistung der Welt“, als „Pyramiden des tausendjährigen Reiches“ (Schütz/Gruber 1996, u.a. S. 94) gebaut und inszeniert. Die Autobahnen und ihr Bau waren zudem sinnlich wahrnehmbar und auch emotional erfahrbar, verkörperten technische und ästhetische Ansprüche – und das an vielen Stellen des Reiches.

Sinnfällig wurde dies im Bau an mehreren Orten des Reiches, mit dem die flächendeckende Wiederkehr der Arbeit aufgeführt wurde, was im Eindruck noch durch simultane Rundfunksendungen verstärkt wurde. (Day 2004, S. 181, unter Verweis auf Schütz/Gruber 1996, S. 48) Der Bau der Autobahn sollte ‚Schmelztiegel der ‚Volksgemeinschaft‘ sein, um den Glauben an Technik, Führer, Volk und Vaterland in einem nationalen Wir-Gefühl aufzurichten: (…) Die Autobahnen manifestierten den Social-engineering-Anspruch der Nazis, mit Hilfe von Großprojekten die Welt nach ihrem absoluten Gusto auszubauen.

(Day 2004, S. 181)

Öffentlichkeitsarbeit für das Reichsautobahn-Unternehmen

Umfangreiche mediale Thematisierung verlangt Pressearbeit – Zentralisierung durch Generalinspektor Todt und seinen Stab

Die technische, ästhetische1 und politische Ausstrahlung begleitend und ergänzend fanden auch eine umfangreiche mediale – z.B. in Form themenbezogener Zeitschriften – und künstlerische2 Widerspiegelung sowie eine gesamt- und teilprojektbezogene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit statt. Bau und Betrieb von Autobahnen wurde dem per Gesetz vom 27. Juni 1933 gegründeten Unternehmen „Reichsautobahnen“, einem Zweigbetrieb der Reichsbahn, übertragen.

Abb.: Qrganigramm des Reichsautobahn-Unternehmens (1936). Aus: Schütz, Erhard; Gruber, Eckhard (1996): Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933-1941. Berlin: Christoph Links. S. 13.

Die oberste Leitung, eingeschlossen das „Management der Öffentlichkeitsarbeit für das Unternehmen Reichsautobahn“ (Schütz/Gruber 1996, S. 18), oblag einer Organisation, der der „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“ Fritz Todt vorstand.3

Vor allem (…) hatte sich Todt in den Anfangsjahren um die Pressearbeit zu kümmern. Dabei bewegte er sich zunächst in einem gewissen Dilemma. Einerseits musste ihm daran gelegen sein, möglichst viel und möglichst positiv veröffentlicht zu wissen. Andererseits wurden gerade in der Startphase die unterschiedlichsten Vorstellungen mit dem Projekt verbunden, vor allem in der fast unübersehbaren Zahl von Artikeln der technischen und bauwirtschaftlichen Fachzeitschriften und in den zahlreichen Motorsportzeitschriften. Mit ihren Beiträgen betrieben Titel wie Das Motorrad, Motor, Mitropa, Motor und Sport, Neue Kraftfahrer-Zeitung, Ostpreußische Motorwelt, Die Räder u.Ä. natürlich die jeweilige Interessenpolitik, machten Stimmung und suchten Entscheidungen vorzubestimmen und zu lenken.

Wenn hier oftmals von Todt allein die Rede ist, dann ist das keine unbedachte Personalisierung, sondern entspricht dem Zustand in der Anfangsphase der Planung und Verwirklichung der Autobahnen. Todt (…) verfügte über einen so kleinen Stab, dass er die Öffentlichkeitsarbeit mehr oder weniger allein zu betreiben hatte und – muss man allerdings hinzufügen – auch wollte.

(Schütz/Gruber 1996, S. 24)

Ausbau der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – auch intern und dezentral

Abb.: Titelblatt einer Ausgabe von Die Straße, herausgegeben von Generalinspekteur Todt sein 1934.

Bald wurde aber der Stab erweitert, so dass sich neben Todt und Ministerialrat Eduard Schönleben vor allem Walter Ostwald und Josef Pöchlinger um die publizistische Arbeit kümmerten. Man organisierte Konferenzen für die Fachpresse, gab eine eigene, aufwändig gemachte Zeitschrift („Die Straße“ unter der Chefredaktion von Friedrich Heiß; bis 1943) heraus, organisierte Rundreisen für ausländische Gäste u.a.

Auf dezentraler Ebene wurden für die interne Öffentlichkeitsarbeit Bauarbeiterzeitungen4 herausgegeben oder die jeweiligen Bauleitungen hatten die lokale Presse etwa monatlich über den Stand zu informieren. Die Autobahnen galten als eher „schönes“, unproblematisches Erfolgs-Thema (Streckeneröffnungen, kulturell-touristische Aspekte etc.), so dass die Zahl der Presseanweisungen aus Goebbels‘ Propagandaministerium „vergleichsweise gering“ war. Mit Kriegsbeginn wurde allerdings stärker reglementiert und der Ton insgesamt rauer. (Schütz/Gruber 1996, S. 25. Vgl. auch S. 24ff., 27f.)

Gigantische Pläne im Siegestaumel

Mit dem (zunächst) Fortschreiten des Vormarsches der deutschen Truppen in Europa stiegen die Ambitionen der deutschen Autobahn-Planer – und wohl auch die Hoffnungen der Kommunikatoren im Unternehmen „Reichsautobahnen“ auf neue strategische Herausforderungen und Budgets.

Abb.: Interner Netzplan für die deutschen Reichsautobahnen in ganz Mitteleuropa (1941). Aus: Schütz, Erhard; Gruber, Eckhard (1996): Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933-1941. Berlin: Christoph Links. S. 88. Für unsere These, dass auch die NS-Diktatur als eine Variante der modernen Massengesellschaft zu interpretieren ist, spricht, dass unser heutiges Autobahnnetz durchaus sehr weitgehend zu den damaligen Plänen kompatibel ist.

Der schließliche Verlauf des Krieges hat die Pläne unter deutscher Vorherrschaft obsolet gemacht.

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu Windisch-Hojnacki 1989.

2 Siehe vorherige Fußnote.

3 Diese schlanke Behörde war ein „‘erstes Beispiel für die Entstehung führerunmittelbarer Zentralorgane außerhalb der Organisation der Reichsregierung‘. Todts Organisation trat sowohl als Oberste Reichsbehörde auf, die zu außerordentlichen Anordnungen befugt war, als auch als staatlicher Auftraggeber gegenüber Firmen, die am Straßenbau beteiligt wurden.“ (Schütz/Gruber 1996, S. 18)

Todt war Bergbauingenieur und seit 1922 Mitglied der NSDAP. 1940 wurde er Reichsminister für Bewaffnung und Munition (damit war er also Vorgänger von Albert Speer), 1942 kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Vgl. Wikipedia 2018.

4 „Hier bediente man sich der Dinta, des ‚Deutschen Instituts für Nationalsozialistische Technische Arbeitsforschung und -schulung in der Deutschen Arbeitsfront‘. Noch ohne direkte NS-Integration war sie schon in der Weimarer Republik eine berüchtigte Organisation, die von der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie finanziert wurde und unter der Leitung des ‚Menschenbewirtschafters‘ Arnhold Rationalisierungsforschung sowie über einen Verbund von Werkszeitschriften die propagandistische Beeinflussung der Arbeitnehmerschaft im Sinne der Industrie betrieb.“ (Schütz/Gruber 1996, S. 25)