Kommunikative Mechanismen: Stars

Stars als Protagonisten der (überideologischen, universellen) Mediengesellschaft

Die markenähnliche bzw. mythische Gestalt der Rennfahrer erklärt ihr kommunikatives Potenzial allerdings noch nicht vollends. Hierzu ist das massenkulturelle Star-Phänomen erforderlich.

Sportstars sind in der Populärkultur einerseits übermenschliche Heroen, andererseits imaginierte ‚Mitmenschen‘, die als kulturelle Ideale soziale Identität stifteten. (…) Der Star ist ein attraktiver Transporteur von diskursiven Komplexen. Unter anderem verkörpert er symbolischen und materiellen Erfolg, verbunden mit Konsum.

(Day 2004, S. 26f., teilweise unter Bezugnahme auf Lowry 1997 und Dyer 1979)

Abb.: Hochzeit von Fliegerin Elly Beinhorn und Rennfahrer Bernd Rosemeyer (13.7.1936). Foto: Herbert Hoffmann. Quelle: Bundesarchiv Bild 146-2007-0212 / Wikimedia Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany (CC-BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

„(I)nmitten eines konzentrischen Feldes der kulturindustriellen Produktion“ steht der Star als „Träger eines Images“ im Zentrum „vielfältiger konvergierender und divergierender Repräsentationsinteressen“ (Day 2004, S. 217).

„Der Rennfahrer war der Dandy1 des Maschinenzeitalters. Zu diesem Habitus gehörten auch Symbole männlicher Lässigkeit. Nikotin galt als Nervennahrung für die Männer ohne Nerven (…)“ (Day 2004, S. 199) – was die Zigaretten- und Tabakbranche sicherlich erfreute. Damit und mit manchen anderen Eigenschaften gerieten die Renn-Stars durchaus in Konflikt zu Maximen und Persönlichkeitsidealen der NS-Ideologie.

Populär waren die lässigen Rennfahrer auch wegen ihres renitenten Umgangs mit den Ritualen des NS-Systems. Wenn Rosemeyer auf Fotografien eine Hand zum Hitler-Gruß erhob, während er in der anderen eine brennende Zigarette hielt [Bretz 1938, S. 32-33], mochten orthodoxe Nazis in dieser Pose ihre heiligen Symbole geschmäht gesehen haben. Das Publikum wiederum durfte aus den subversiven Gesten die Ambivalenz ‚ihrer‘ Helden zum NS-System herausdeuten. Die Stars signalisierten, trotz symbolischer Bekenntnisse keine Anhänger der verbohrten NS-Ideologien zu sein und stattdessen als Persönlichkeit einen individuellen Stil zu pflegen.

(Day 2004, S. 199, teilweise unter Verweis auf Bretz 1938)

Diese gewisse Gleichgültigkeit gegenüber NS-Zeichen und -Normen wurde ihnen aber von offizieller Seite aus nachgesehen. Ihre Funktion war nicht in erster Linie „Transporter nationalsozialistischer Gesinnung zu sein, sondern als volksnahe ‚Typen‘ Normalität vorzuleben und in der Bevölkerung Akzeptanz für das NS-System zu schaffen“ (Day 2004, S. 199f.).

Ohne Publikum keine Stars und ohne Wirtschaftsunternehmen keinen Konsum

Weil eine moderne Diktatur – wie das NS-Regime – auch Züge einer „massenkulturellen Mediengesellschaft“ aufweisen und also diesbezüglichen universellen, übernationalen Publizitätsprinzipien verpflichtet sein muss, kann der „Star“ – soll er als solcher funktionieren – nie völlig der Herrschaftsideologie entsprechen, nie ganz von der politischen Leitdoktrin vereinnahmt werden. Denn massenwirksame Kultur und Medienwelt sowie das Star-Phänomen realisieren sich nur mit dem – und nicht gegen das – Publikum.

Und weil sich die NS-Diktatur – trotz zunehmender Bedarfslenkung und Zentralverwaltung – nie vom Grundmodell einer auf privatem Eigentum sowie Massenproduktion und -konsumtion basierenden Warenwirtschaft verabschiedet hatte, war auch die „gemeinsame(n) Verwertungskette mit den Autokonzernen“ (Day 2004, S. 217) zu berücksichtigen. Schon von daher konnten industriell-kommerzielle Bedürfnisse nach Produkt-Werbung und Organisations-Kommunikation nicht einfach „abgeschafft“ werden.

Für eine massenmedial und kulturindustriell vermittelte und gestützte Diktatur braucht es also Mindestmaße an Selbstständigkeit der Wirtschaft gegenüber der Politik und an Autonomie des Publikums gegenüber Staat und Industrie. Zu viel Instrumentalisierung und Inszenierung – sei es durch Politik oder Wirtschaft – hätte die schöne Motorisierungs- und Rekord-Story kaputt gemacht und ihre Wirkung verhindert:

Das Publikum sah die Stars als authentische Helden einer dramatischen Reality-Show, als leibhaftige Helden in einem spannenden Unterhaltungstext. Die Forderung des Publikums nach Fair play war ein Plädoyer für die authentische Qualität eines kulturindustriellen Konsumartikels. Unterhaltungswerte durften nicht den Profitinteressen eines Konzerns“ – und auch nicht vordergründigen politisch-ideologischen Zielen – „geopfert werden.

(Day 2004, S. 220f.)

 

Autor(en): T.L.

Anmerkungen

1 Dandy = laut Duden sich übertrieben modisch gebender, eitler Mann. „Der Begriff Dandy kam Mitte des 18. bis Anfang des 19. Jahrhunderts auf und bezeichnet nach Friedrich Kluges etymologischem Wörterbuch ‚junge Leute, die in auffälliger Bekleidung Kirche oder Jahrmarkt besuchen‘. Der Dandy kultiviert seine Kleidung, sein Auftreten, auch Witz und Bonmot. Die originelle, aber jederzeit passende, elegante Kleidung zum Sport (Zeitvertreib), kombiniert mit den formvollendeten Manieren eines Gentlemans, wird zum Lebenszweck erhoben.“ (Wikipedia 2018)