Medium Film im Dienste der Industrie

Anfänge des Industriefilms

Als die AEG 1927 eine eigene Filmproduktionsabteilung schuf, war das nicht der Anfang des Filmeinsatzes in diesem Unternehmen. Bereits viel früher hatte die AEG Filme über die Kabelherstellung in Auftrag gegeben. Die AEG arbeitete in dieser Zeit auch mit dem Filmpionier Oskar Meßter (1866-1943) zusammen. Andere deutsche Institutionen und Industriebetriebe setzten ebenso frühzeitig den Film ein:

Die ersten ‚Gehversuche‘ des deutschen Industriefilms gehen auf das Jahr 1905 zurück, als Aufnahmen von Automobilrennen und Fischkuttern in der Nordsee gezeigt wurden. Der erste bekannte deutsche Industriefilm soll 1912 von der damaligen Reichspost in Auftrag gegeben worden sein. Zweck war es, die Öffentlichkeit über die Einrichtungen und den Betrieb dieser Behörde zu informieren. Bereits zwischen 1914 bis 1920 stellten die großen deutschen Industrieunternehmen Hoechst, Krupp und Siemens derartige Filme her. Sie dienten der technisch-wissenschaftlichen Information und wurden später als Industriefilme eingestuft.
Krupp beispielsweise ließ Arbeitsszenen in einzelnen Werken demonstrieren. Auch den Stapellauf eines Schiffes hatte man damals schon minutiös festgehalten. Bereits seit 1908 hatte Krupp eine eigene kinematographische Abteilung. Hier lagen die Arbeitsschwerpunkte sowohl in der Selbstdarstellung der Firma und ihrer Produkte, als auch in der anwendungsbezogenen Forschung.
Auch die Siemens-Schuckert-Werke in Berlin ließen in ihren Betrieben Filme drehen, die sie zur Werbung und zur Vorbereitung technischer Kenntnisse benutzten. Siemens verfügte seit 1912 über eine eigene kinematographische Abteilung. Auf der Turiner Weltausstellung kamen diese Filme dann zur Vorführung.

(Richter 2005)

Zielgruppen und Typen des Industriefilms

Abb.: Titel des Mörtzsch-Buches über den Industriefilm von 1959.

Mörtzsch setzte sich 1959 in seinem Standardwerk Die Industrie auf Zelluloid. Filme für die Wirtschaft mit der „Magie des bewegten Bildes“ (S. 12f.) anhand des Industriefilms auseinander. Er grenzte den Industriefilm vom unterhaltenden Spielfilm, vom Werbefilm etc. ab. Allerdings schrieb er in seinem Buch auch über diese anderen Filmarten, beispielsweise machte er auch PR-historisch relevante Aussagen zur Entwicklung des Werbefilms (S. 14f.) oder des Kultur- und Dokumentarfilms (S. 16f.).

Die Zielgruppe des Industriefilms sei nicht die breite Öffentlichkeit wie beim Spielfilm. Vielmehr richte er sich an bestimmte Zielgruppen. So könne der Industriefilm sowohl zu inner- als auch außerbetrieblichen Zwecken eingesetzt werden: nach innen zur Kommunikation mit seinen Mitarbeitern, als Schulungsfilm im Sinne der Aus- und Fortbildung (S. 49ff.) und als Aufklärungs- und Informationsfilm über Arbeitsschutz und betriebsinterne Belange. Nach außen eigne sich der Industriefilm für Kunden und Interessenten als Ersatz für Betriebsbesichtigungen (S. 31), auch könne er auf Messen gezeigt werden. Wichtig sei auch sein Einsatz im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit in Schulen (S. 51 und 70f.).

In seiner Abhandlung nahm Mörtzsch (S. 21) eine Klassifizierung der deutschen und ausländischen Industriefilmproduktion in sechs Gruppen vor:
(1) Filme zur allgemeinen Information über die Industrie,
(2) über Technik und Produktivität,
(3) über die Forschungsarbeit der Industrie,
(4) über Berufsausbildung und Berufsberatung,
(5) über betriebliche Sozialfragen und
(6) Filme über Unfallverhütung im Betrieb.1

Industriefilme zwischen Arbeitsmittel, Unternehmens-PR, Technik-PR und Kunst

Mörtzsch betrachtete den Industriefilm also nicht nur als Instrument der PR, sondern multifunktional in seiner Eignung für verschiedenste Zwecke unternehmerischer Kommunikation, einschließlich der im Arbeitsprozess. Dies schloss ein, für den Film medial-ästhetische Eigengesetzlichkeiten zu konstatieren und ihn als „Kunst“ zu sehen:

Ganz gleich, ob ein Industriefilm der Repräsentation eines Industriezweiges dient, ob er technische Informationen vermittelt, ob er über Forschungsarbeiten berichtet, Probleme des Menschen im Werk behandelt oder den Händlern jenes Wissen beibringt, das sie nicht nur als Verkäufer, sondern auch als Berater ihrer Kunden brauchen: Er muss letztlich doch ein Kind der Muße sein, wenn er im Betrachter jenen ‚Goodwill‘ wecken will, der die Voraussetzung für seine Überzeugungskraft ist

(Mörtzsch 1959, S.5).

Die Funktionalität des Industriefilms gehe deutlich über einzelunternehmerische Zwecke hinaus. Durch Filme könne nach amerikanischem Vorbild das Verständnis für Fragen der Technik und Wirtschaft erhöht und somit der wirtschaftliche und technische Fortschritt generell gefördert werden (S. 25). Laut Mörtzsch wäre es nur „eine Frage der Zeit (…), bis der Industriefilm auch in Deutschland diese Aufgabe übernimmt“. Weiterhin erörterte der Autor technische Aspekte der Produktion, dramaturgische Gestaltung, Fertigstellung und Kosten von Industriefilmen. So enthält beispielsweise der Anhang einen Muster-Kostenvoranschlag.

Die Auffassungen von Friedrich Mörtzsch zum Industriefilm würden „eher das Interessen geleitete Denken eines Marketing-Managers wider(spiegeln)“, meint ein heutiger Rezensent. Dies kann nicht wirklich verwundern. Möglicherweise zu idealistisch sind auf dieser Basis Mörtzschs Ansprüche, dass der „Industriefilm genuin ein Masseninformationsmittel wie andere filmische Gattungen sein kann und dazu bestimmt“ sei, „‘die in Jahrhunderten geformten Persönlichkeitswerte‘ zu erhalten sowie geeignet ist, reale soziale Spannungen zu verringern“ (Meyer 2007).

Autor(en): B.G.S.M.T.L.

Anmerkungen

1 Vgl. auch Richter 2005.