Karl August Varnhagen von Ense
Zur Frühgeschichte staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in Preußen
Einleitung
Kenner und Beeinflusser der öffentlichen Meinung
Karl August Varnhagen von Ense1, politischer Literat und Schriftsteller sowie Diplomat, wurde am 21. Februar 1785 in Düsseldorf geboren. Als Sohn eines Arztes, der die Aufklärung befürwortete und sich für Politik interessierte, setzte er sich schon früh mit macht- und gesellschaftspolitischen Absichten und deren Auswirkungen in Deutschland auseinander. Wie sein Vater vertrat er die Grundsätze der Französischen Revolution, kämpfte (auch als Soldat) gegen die napoleonische Fremdherrschaft und wünschte sich ein liberales Preußen. Nach dem Sieg über Napoleon im Jahr 1813 erhoffte er sich die nationale Selbstbestimmung der Deutschen, individuelle Freiheit und gesellschaftlichen Fortschritt.2
Auf dem Wiener Kongress (September/November 1814-Juni 1815) war er Teil des Literarischen Stabs unter Staatskanzler Hardenberg.3 Hier nahm Varnhagen spezifische Kommunikationsaufgaben wahr: Er erstellte kommentierte Pressespiegel, pflegte Kontakt mit Journalisten und lieferte (teilweise verdeckt) bestellte Beiträge an die Redaktionen weiter. In mancher Literatur wird Varnhagen als „Pressechef“ Hardenbergs benannt (z. B. Dittmer 1992, S. 70). Hofmeister-Hunger (1994, S. 283, 315) geht sogar so weit, ihn als „spiritus rector“ zu bezeichnen, der sich dem Sektor der Öffentlichkeitsarbeit „mit besonderer Hingabe“ gewidmet habe. Außerdem schrieb er eigene Artikel für den Deutschen Beobachter, die Allgemeine Zeitung, den Preußischen Correspondenten und andere liberale Blätter.
Zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit Preußens und seines Staatskanzlers Hardenberg auf dem Wiener Kongress und generell in jener Zeit hält das PR-Museum weitere Beiträge vor.
Für eine Zeitung im Geiste der Regierung
Mit seiner Denkschrift aus dem Jahre 1815 unterbreitete er Hardenberg einen Entwurf für die Gründung einer preußischen Staatszeitung, der jedoch nicht direkt umgesetzt wurde (Denkschrift über die Notwendigkeit, in Preußen die öffentliche Meinung nicht ohne die Mitwirkung der Stimme der Regierung zu lassen). Er gründete seine Überlegungen auf die Erkenntnis, dass sich die öffentliche Meinung zu einer selbstständigen Kraft entwickelt habe und forderte, diese zu berücksichtigen und zu steuern.4
Zur Umsetzung des Projektes einer Staatszeitung in Preußen ist im PR-Museum ein weiterer Beitrag hinterlegt.
Literat und Salon-Kommunikator
Insgesamt wird Varnhagen als ein scharfsinniger und kritischer Beobachter beschrieben. Er ging stets einer intensiven Lektüre nach und sah in der umfassenden Kenntnis der Tagesliteratur die Voraussetzung eines (tages-)politischen Wissens. Er nahm selbst die entlegensten Artikel zur Kenntnis.5 Varnhagen zeigte sich vielseitig und kommunikativ:
„Er war ein liberaler, kosmopolitischer ‚homme de lettres‘, Feuilletonist, Kritiker, Sammler, Briefschreiber, Erfinder der biografischen Geschichtsschreibung; ein Meister der geselligen Lebensverhältnisse; der unbequeme Chronist einer romantischen Generation, die um 1800 in Berlin und anderswo in die europäische Moderne aufbrach und meist im nationalen Biedermeier, in Resignation oder im Exil endete.“ (Rosenstrauch 2003, Klappentext)
Privat wie beruflich pflegte er Kontakt zu bedeutenden Persönlichkeiten aus Literatur, Wissenschaft und Politik. Zusammen mit seiner 14 Jahre älteren Frau Rahel, einer legendären „Salonnière“, versammelte er in seiner Berliner Wohnung zeitweise die Spitzen des literarischen und künstlerischen Lebens der preußischen Hauptstadt um sich. Varnhagen als Literat sowie staatlicher Pressearbeiter und seine Frau als „Geselligkeitskünstlerin“ (Kohlenberg 2009) bildeten eine Gemeinschaft, die beiden auch professionell als Kommunikations-Experten je eigener Art nützte.6
Mit der Revolution von 1848/49 wurde Karl August Varnhagen zum Linksliberalen der Nachrevolutionszeit mit partieller Annäherung an die Demokratie. Am 10. Oktober 1858 starb er in Berlin.7
Anmerkungen
1 Im Folgenden lassen wir den Namenszusatz von Ense weg. Kunczik 1997 schreibt „van“ Ense (S. 82f.), richtig ist aber „von“. Vgl. auch Brockhaus 1994, Bd. 23, S. 67. „Varnhagen, Varnhagen von Ense ist eine westfälische Briefadelsfamilie, die aus dem Ministerialengeschlecht von Ense genannt Varnhagen hervorgegangen ist; gleichnamiges Stammhaus bei Werl in Westfalen“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Varnhagen).
2 Vgl. Rosenstrauch 2003, S. 7ff., 38; Greiling 1993, S. 210.
3 Der Literarische Stab kann zu den Anfängen professioneller staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im heutigen Sinne gezählt werden. Zur allgemeinen Periodisierung der PR-Geschichte vgl. Bentele/Liebert 2005, S. 225f.
4 Vgl. Groth 1929, S. 78; Hofmeister-Hunger 1994, S. 281ff.; Kunczik 1997, S. 78.
5 Vgl. Greiling 1993, S. 38; Kuhn 1994, S. 41; Rosenstrauch 2003, S. 13; Wiedenmann 1994, S. 146.
6 „Größere Gegensätze in Charakter und Stimmung als Rahel und Varnhagen gesellten sich wohl nie zueinander. Ihr zwanzigjähriges Bündnis (…) war eine seltene Ergänzung der extremsten Eigenschaften, eines genialen und eigentümlichen, aber formlosen Inhalts und einer ebenso weltklugen wie anmutigen Form.“ (Wurzbach 1884, S. 283)