Zwischen Warten auf den Staat und literarischer Kreativität

Leben und Werk ab 1819 in Restaurationsphase und Biedermeier

Abb.: Graf Alexander von Württemberg im Kreis mehrerer Dichter (Seracher Dichterkreis), ganz rechts Karl August Varnhagen von Ense. Kolorierter Stich (nachträglich angefertigt 1866) nach einem verschollenen Ölgemälde von Heinrich von Rustige (1810-1900). Quelle: Goethezeitportal / Die Gartenlaube 1866 / Wikimedia Commons, Public Domain.

Nach seiner kurzen Karriere im Staatsdienst trat Varnhagen in den Wartestand, um bei nächster Gelegenheit in den Dienst Preußens zurückzukehren. Bis in die 1830er-Jahre hegte er die Hoffnung auf Wiederverwendung. Er nutzte diese Ruhe zum Schreiben von Artikeln und Denkschriften, die er unaufgefordert an Hardenberg sandte, um ihn von seiner Loyalität zu überzeugen und die Wiedereinstellung zu erreichen. Seine Erörterungen handelten vom Oppositionsgeist und Liberalismus in Deutschland. Einher ging wohl bei Varnhagen auch eine Desillusionierung:

Er habe wenig gehalten von

jener Entdeckung des deutschen Wesens, das sich nach den ‚Befreiungskriegen‘ so vehement Gehör verschaffte. Varnhagen versenkte sich in seine Aufzeichnungen, um einer Gegenwart zu entgehen, die sich Jahr für Jahr weiter von jenen Vorstellungen von Gesellschaft entfernte, die er einst (um 1800 – T.L.) mit Freunden und Freundinnen nicht nur erdacht, sondern auch gelebt hatte.

(Widmann 2003)

Varnhagens Frau Rahel knüpfte in Berlin, „mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende ihres ersten Salons“, wieder an ihre einstigen Erfolge an. Die „klassische Epoche der Berliner Salons“ dauerte an, in der die „leidenschaftliche, originelle Rahel (Levin) Varnhagen“ (wieder) als bedeutendste Salonnière hervortrat. Als Gäste in den 1820ern kamen u. a. Heinrich Heine, Alexander von Humboldt oder Leopold von Ranke. (Wilhelmy-Dollinger 2000, S. 76f., 83, 139)

Unter dem Eindruck der Julirevolution

Um 1830, unter dem Einfluss der französischen Julirevolution, änderte sich „das geistige Klima in Europa“ wieder. „Die Zeit des Biedermeier war zwar noch nicht vollständig beendet, aber die nationale, die liberale und die soziale Frage drängten nun stärker ins Bewusstsein der gebildeten Öffentlichkeit.“ (Wilhelmy-Dollinger 2000, S. 155) Diese für die konservativ geprägten Herrschenden wachsende Unsicherheit trug dazu bei, dass Varnhagens Wiedereintritt in den Staatsdienst in zunehmende Ferne rückte. 1831 führte er letzte publizistische Arbeiten im Auftrag der Regierung aus.

Varnhagen hatte Kontakt mit dem Jungen Deutschland, einer literarischen Gruppe liberaler Dichter (u. a. Heinrich Heine), die ab 1830 an Bedeutung gewann. Ihre Vertreter kannte er nicht zuletzt aus dem Salon seiner Frau. Varnhagen belieferte sie gelegentlich mit Artikeln. Als er jedoch ungewollt und aus seiner Sicht anmaßend von Vertretern des Jungen Deutschlands in direkte Verbindung mit dem Medium Deutsche Revue unter Karl Gutzkow gebracht wurde, wandte er sich ab und distanzierte sich – wie verschiedene andere Literaten auch – in einer öffentlichen Erklärung von der jungen Bewegung. Dabei spielten sowohl charakterlich-altersmäßige Unterschiede der Protagonisten als auch Meinungsverschiedenheiten über politisches Gestaltungsmethoden und nicht zuletzt Vorsicht gegenüber den Behörden eine Rolle – die Bewegung wurde schließlich 1835 verboten.1

Nach dem Tod seiner Frau

Abb.: Gedenktafel für Rahel Varnhagen von Ense in Berlin-Mitte, Jägerstraße 54, enthüllt am 28.2.1997 (Aufnahme von 2008). Foto: Axel Mauruszat. Quelle: Wikimedia Commons, Namensnennung 2.0 Deutschland http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de

Auch sein Privatleben erfuhr in den 1830er-Jahren erhebliche Veränderungen. So starb 1833 seine Frau Rahel. Schwer getroffen von dem Verlust begann er mit dem Band Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde, das er noch im selben Jahr als Privatbuch herausgab. Viel Kraft investierte er in das Anliegen, das literarisch-künstlerische Erbe seiner Frau zu bewahren und zu publizieren.

1834 reiste Varnhagen nach Wien, Salzburg, München sowie Weimar und ging eine Beziehung mit Marianne Saaling2 ein. Die Verlobung überdauerte allerdings wenige Monate nicht. Auch seine nächste Partnerschaft mit Henriette Solmar (1794-1890), die das Salon-Erbe Rahel Varnhagens angetreten hatte,3 hielt nicht bis an sein Lebensende.

Beruflich betätigte sich Varnhagen weiter als Literaturkritiker und Rezensent. Interessanterweise wurde ihm 1839 noch einmal der Wiedereintritt in den Staatsdienst angeboten, was er aber ablehnte.4

Revolutions- und letzte Lebensjahre

Abb.: Ludmilla Assing (1821-1880), Selbstbildnis, Pastell um 1850. Quelle: Staatsbibliothek Berlin, Varnhagen-Sammlung / Wikimedia Commons, Public Domain.

In den 1840er-Jahren stieg seine Sensibilität für die Situation und das Aufbegehren des Volkes in dem Maße, „wie er seine in die Reformbereitschaft des preußischen Königs gesetzten Hoffnungen getäuscht sah“ (Greiling 1993, S. 217). Laut Kuhn (1994, S. 40) trat Varnhagen somit erstmals aus dem „Schatten der feinen Gesellschaft“.

In den Revolutionsjahren 1848/49 wandte sich Varnhagen schließlich ganz von seinem früheren gemäßigt-liberalen Standpunkt ab. Angesichts der Geschehnisse verschob sich seine Position nach links, sodass er insgesamt den „Weg vom preußischen Diplomaten liberaler Prägung, der für eine kleindeutsche konstitutionelle Monarchie eintrat, zum Linksliberalen der Nachrevolutionszeit mit partieller Annäherung an die Demokratie gegangen [ist]“ (Greiling 1993, S. 271, auch 222; vgl. Gatter 1996, S. 377).

Zugleich zog sich Varnhagen ab 1848 zunehmend in seine private Sphäre zurück; in den beiden Folgejahren veröffentlichte er nur noch wenige Artikel und Aufsätze. Neben gelegentlichen Reisen verbrachte Varnhagen die letzten Lebensjahre gemeinsam mit seiner Nichte und späteren Erbin Ludmilla Assing (1821-1880), einer Schriftstellerin, in Berlin. Am 10. Oktober 1858 starb er dort.5

Autor(en): P.ST.T.L.

Anmerkungen

1 Varnhagen wurde auch vom preußischen Außenminister Ancillon zur Distanzierung gezwungen (Grimm 2010, S. 276). Vgl. auch http://www.literaturwelt.com/epochen/vormaerz.html

2 M. Saaling war die Schwester der Schriftstellerin Regina Frohberg (Wilhelmy-Dollinger 2000, S. 156).

3 Vgl. Wilhemy-Dollinger 2000, S. 155f.

4 Wie seinerzeit nach seiner Rückkehr aus Karlsruhe lehnte er dies ab. Dazu in seinem Tagebuch: ,,[I]ch wünsche diesen Wiedereintritt lebhaft, – aber ich mu[ss] alles ablehnen, denn meine Seele verkauf‘ ich nicht [ … ]. Was sollte mich reizen? Ist in unseren Staatsgeschäften [irgendetwas] Erfrischendes, in meinem Sinne Fortschreitendes, Aufstrebendes? Ihre Dummheiten soll ich aufzustutzen helfen, ihren Phantasien Verstand unterlegen, ihren Schwankungen den Schein fester Richtung zu geben versuchen! Nein, nein!“ (Rosenstrauch 2003, S. 142f.).

5 Vgl. Greiling 1993, S. 63ff.; Gatter 2004, Abs. 1858.