Vernetzung von Wirtschaft, Politik und Medien: pro soziale Marktwirtschaft

Wirtschaftspolitik und Publizistik

Abb.: Ludwig Erhard 1957 mit „seinem“ Buch. Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F004204-0003, Adrian, Doris; CC-BY-SA / Wikimedia Commons http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Ein Großteil der Berichterstattung im Handelsblatt – dessen Gründer und Namensgeber Gross war – nach Gründung der Bundesrepublik beruhte auf Informationen aus dem Wirtschaftsministerium, die Zeitung galt als Erhard-nah.1 Zur deutschen Pressetradition, auch noch nach 1945 und in den 1950er-Jahren, gehörte es, dass Journalismus (primär oder auch) als Gesinnungspublizistik verstanden wurde. Insofern war es weder für Interessenvertreter noch für mediale Kommunikatoren ungewöhnlich, dass Journalisten aktiv an der Durchsetzung politischer, weltanschaulicher, sozialer etc. Ziele mitwirkten.

Das starke Band, das in den 1950er-Jahren zwischen Wirtschaft und Journalismus geknüpft wurde, könnte wohl kaum besser beschrieben werden als durch die Beziehung zwischen Ludwig Erhard und Herbert Gross. Auf der einen Seite: die politische Leitfigur mit der damals neuen Idee der sozialen Marktwirtschaft. Deren Einführung in den Westzonen, die separate Währungsreform von 1948 und das „Wirtschaftswunder“ in den 1950ern stilisierten Erhard zur – nach Konrad Adenauer – zweiten Leitfigur des Nachkriegsjahrzehnts. Seine politische Karriere als Wirtschaftsminister (1949-1963) und zweiter Bundeskanzler der westdeutschen Republik (1963-1966) wird auch als Ära Erhard bezeichnet.2

Auf der anderen Seite: der Wirtschaftspublizist Gross mit der Fähigkeit, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft geistig-intellektuell und medial-kommunikativ zum Erfolg zu führen. Erhard war gewiss ein Politiker, der die Macht der öffentlichen Meinung erkannte und das Vertrauen in die neue Ordnung durch gezielte Information der Bürger stärken wollte.3 Gross gehörte alsbald zur „Brigade Erhard“, einem Expertenkreis von Journalisten, Bundestagsmitgliedern und Unternehmern, den Erhard dazu um sich scharte.4

Die Tradition der publizistischen Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschaftsminister und dem „Erhard-treuen“ Handelsblatt setzte sich fort, als Gross 1953 den Bestseller Deutschlands Rückkehr zum Weltmarkt als Ghostwriter für Erhard mitverfasste.5 Als 1958 die absatzwirtschaft – Zeitschrift für Verkauf, Vertrieb, Marketing im Handelsblatt-Verlag erscheint, galt Gross als Spiritus Rector. Erhard gab dem neuen Periodikum mit auf den Weg: „Die europäische wirtschaftliche Gemeinschaft nimmt allmählich Gestalt an. Ich begrüße es darum, dass gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt die absatzwirtschaft ihren Weg beginnt […].“6

Netzwerkkommunikation

Bereits vor Gründung der Bundesrepublik stand Gross in Verbindung mit dem späteren Wirtschaftsminister. Die Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947 (WIPOG) war eine Vereinigung von Unternehmern, Politikern, Wissenschaftlern und Publizisten, die die Linie der sozialen Marktwirtschaft vertrat. In Arbeitskreisen und auf Tagungen beschäftigten sie sich mit den zeitgenössischen wirtschaftspolitischen Themen.7 Auch die Gründerväter Dr. Rudolf Mü(ue)ller und Ludwig Erhard wohnten den Veranstaltungen bei. Herbert Gross wurde die Verantwortung für die Herausgabe eines Beratungsbriefes übertragen. Dieser informierte interessierte Unternehmer über die aktuellen Erkenntnisse und Ansichten der WIPOG. Die Briefe waren ein Instrument der „wissenschaftlich fundierten Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit“ im Sinne der sozialen Marktwirtschaft (Schwartz 1992).

Eine weitere Initiative, die PR für die Idee der sozialen Marktwirtschaft betreiben wollte, war die WAAGE – Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs e. V., in der Erhard und Gross ständige Mitglieder waren.8

Die starke Vernetzung von Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Medien fand aber nicht nur auf nationaler Ebene statt. Der Einfluss von Gross wird auch in seiner Teilnahme an einer der informellen, privaten (manche sagen auch: geheimen) Bilderberger Konferenzen nachvollziehbar. Seit ihrer Gründung im Mai 1954 im Hotel de Bilderberg in Oosterbeck (Niederlande) lädt das vertrauliche, diskrete Netzwerk jährlich ca. 100 einflussreiche Persönlichkeiten der westlichen Welt ein, um über die globale Wirtschaft zu debattieren und die Beziehungen der transatlantischen Mächte zu stabilisieren.9

Autor(en): J.P.T.L.

Anmerkungen

1 Neßhöver 2006. Dort auch ein beim ersten Bundespresseball 1951 getexteter Spruch der Handelsblatt-Redakteure: „Was Erhard still am Busen hegt, wo Vater Staat die Hand drauflegt, das kannst du schon – dazu auf Spesen – im Handelsblatt von gestern lesen“.

2 Vgl. zum zeithistorischen Kontext z. B. Schildt 1999, S. 9.

3 Erhard war „mit solchen Gedanken und öffentlichen Kommunikationspraktiken stark und unmittelbar beeinflusst von den Pionieren und Nestoren der deutschen Public-Relations-Theorie […], von dem Journalisten Herbert Gross […], von Albert Oeckl […] oder Hans Edgar Jahn“ (Löffler 2002, S. 255).

4 Der Personenkreis wurde in Anlehnung an eine Marine-Einheit aus dem Kapp-Putsch von 1920 halbernst als „Brigade Erhard“ bezeichnet (Mierzejewski 2004, S. 122).

5 Löffler 2002, S. 279.

6 Erster Chefredakteur war Erhard Knoth. Vgl. Absatzwirtschaft 2012.

7 Auf Drängen der WIPOG wurde 1949 die Frankfurter Allgemeine Zeitung ins Leben gerufen, für die Gross kurze Zeit bis 1950 schrieb, bevor der Herausgeber seinen Artikel über die Tagung des BDI als der Linie nicht entsprechend ablehnte (von Pufendorf 2009).

8 Vgl. Schindelbeck 1999.

9 Vgl. Medosch 2000. Namhafte deutsche Teilnehmer der jüngeren Zeit waren u. a. Helmut Kohl, Angela Merkel, Josef Ackermann, Axel Springer, Hubert Burda und Jürgen Schrempp. Auch: http://bilderberger-konferenzen.de.tl/ oder http://www.spiegel.de/politik/ausland/bilderberg-club-der-maechtigen-trifft-sich-in-watford-a-904456.html