Grundzüge moderner Meinungspflege
Meinungspflege zwischen Achtung des Individuums und Führungsanspruch der Unternehmer
Gross distanzierte sich in seinen Auffassungen von öffentlicher Meinung klar von massenpsychologischen Sichtweisen (Le Bon). „Meinungspflege, so wie sie hier verstanden werden soll, will alle Massenmeinung und ihre dunkle Irrationalität auflösen. Sie wendet sich allein an die Persönlichkeit des einzelnen und spricht ihn an als Mensch zum Menschen, als Vernunft zur Vernunft, als Gewissen zum Gewissen.“ So sehr damit die Rolle des freien, souveränen Individuums auch betont werden mag, der unmittelbar nachfolgende Satz akzentuiert erklärende, bewahrende, tröstende und nicht emanzipative Funktionen von Kommunikation: „Sie versucht, ihm die Welt von seinem Lebens-, seinem Arbeits- und Interessenbereich aus sinnvoll und dadurch verständlich und erträglich zu machen.“ (Gross 1952, S. 14)
Sechs Seiten weiter bekannte sich der Autor unmissverständlich zum grundsätzlich „konservativen Grundzug“ der Meinungs-„Pflege“: Sie könne nur von Gruppen betrieben werden, die „sich mit der bestehenden Ordnung identifizieren oder doch die Identität wiederherstellen wollen. Aber auch in der Interpretierung des Gegebenen können durchaus dynamische Kräfte wirken. Doch eine Umsturz und grundsätzliche Änderungen anstrebende Gruppe kann niemals Meinungspflege treiben, sondern nur Propaganda zur Beseitigung des Bestehenden.“ (S. 21)
Zur „Meinungspflege“ gehöre „das Spiel mit offenen Karten, die Partnerschaft der Öffentlichkeit durch Mitwissen, der Reflex des Unternehmensablaufs im Spiegel der ‚anderen‘ Interessen“, aber auch „der Anspruch einer Schicht auf politische und soziale Führung, der Anspruch des Unternehmers auf Lösung der gesellschaftlichen Probleme im Rahmen seiner Institution, der Unternehmung“ (Gross 1952, S. 36).
Einzelne Unternehmer und die Verbände
Dieser Führungsanspruch der Unternehmerschicht musste sich zwangsläufig gegen die Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsseite richten, er war aber auch als Warnung vor einem (Wieder-) Erstarken und einer Verselbstständigung von Verbändestruktur – einschließlich auf Wirtschaftsseite – und Staatsbürokratie in Deutschland gemeint:
Es sei nur hingewiesen auf das Aneinander-Emporranken von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie von Fachverbänden und Dienststellen der Ministerien. Die Funktionäre auf beiden Seiten werfen einander die Bälle zu, und es kommt schließlich zu einem selbstständigen Funktionärsgespräch, das den Ausgangspunkt für eine Funktionärswirtschaft bildet, die nur allzu leicht im Kommissarstaat enden kann.
(Gross 1952, S. 67)
Gross wollte die Hauptverantwortung für die kommunikative Vertretung unternehmerischer Interessen bei den einzelnen Unternehmern belassen. Dennoch schrieb er den Verbänden einige kommunikative Aufgaben zu: 1. „Werbung für einen ganzen Industriezweig“, 2. „wirtschaftspolitische Auswertung der Gesamtleistung“, 3. „Aufgabe der wirtschaftspolitischen Gesamtvertretung“, 4. „Selbstwerbung von Verbänden und Kammern“, 5. „Weckung und Förderung der Meinungspflege seitens der einzelnen Mitglieder“ sowie „Pflege der öffentlichen Meinung (…) durch Wahrnehmung des (…) Gesamtinteresses“, 6. „Weckung der Einzelinitiative der Mitglieder“ (Gross 1952, S. 67-73).
Eigenschaftsprofil des Beauftragten bzw. Beraters für Meinungspflege
Gross (1952, S. 66) sah als Subjekt der Meinungspflege die Unternehmerpersönlichkeit an. Dieser könne sich aber eines „Funktionärs“ bedienen, der „damit eine Funktion im Dienste an der Unternehmung erhält“. Dieser Funktionär vollende sich aber „nicht im politischen Kommissar“.
Der ideale Berater in Fragen der Meinungspflege sei weder Werbefachmann noch Wirtschaftspolitiker, so Gross (1952, S. 54). Er müsse „Interpret der öffentlichen Meinung sein“ und wissen, wie man sie „erreichen und auf lange Sicht beeinflussen kann“. Dabei sei er mit einem Anwalt oder Steuerberater vergleichbar, der nicht bei Rechts- oder Regelverletzungen behilflich sein dürfe (S. 54).